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Wider die Vorkriegszeit-Ideologie

Bericht des Bundessprecherrates von Thomas Hecker, Bundessprecher der KPF

 

Am 19. Januar 2024 erklärte der SPD-Kriegsminister Boris Pistorius im Gespräch mit dem Tagesspiegel, da ein russischer Angriff auf ein NATO-Land, etwa auf »unsere Freunde im Baltikum«, in »einem Zeitraum von fünf bis acht Jahren« möglich sei, gelte es, »wieder mit der Gefahr leben« zu lernen und sich vorzubereiten – »militärisch, gesellschaftlich und beim Zivilschutz«.[1] Und schon ist der neue »Operationsplan Deutschland« in Arbeit. Ein sogenannter Verteidigungsplan für einen möglichen Krieg mit detaillierten Vorgaben für militärische und zivile Stellen. Die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley, setzte der laufenden psychologischen Kriegsvorbereitung die vorläufige Krone auf, indem sie in einem Tagesspiegel-Interview vom 12. Februar 2024 mitteilte, sie rechnete mit baldigen Debatten über Atombomben für die EU. Ihre Ausführungen ließen nicht den Schluss zu, sie selbst könnte zu den Gegnern dieses Wahnsinns gehören. Und im Übrigen: Auch von der AfD, die sich als so friedliebend inszeniert, hört man nichts gegen deutsche Atomwaffen.

Vor der Abreise zur Ukraine-Unterstützerkonferenz in Paris am 26. Februar dieses Jahres warnte der Ministerpräsident Robert Fico des NATO-Landes Slowakei vor einer »gefährlichen Eskalation der Spannungen« mit Russland. Die Tagesordnung der Konferenz lasse einem »einen Angstschauer über den Rücken laufen«, so Fico.[2] So geht es jedem, der die Welt mit wachen Augen beobachtet. Man mag kaum noch Nachrichten sehen oder hören oder in die Zeitung schauen. Da eilt der Bundeskanzler – ebenfalls Sozialdemokrat – zum ersten Spatenstich für eine neue Rheinmetall-Munitionsfabrik. Dergleichen sei »dringend erforderlich«, denn, so Olaf Scholz wörtlich, »wir leben nicht in Friedenszeiten«. Rheinmetall kann ein fröhliches Lied davon singen. Der Aktienkurs dieser Mordwaffenfabrik an der Frankfurter Börse betrug am 15. Oktober 2014 34,81 Euro und am 13. April 2024 539,00 Euro. Eine Kurssteigerung auf mehr das Fünfzehnfache in weniger als zehn Jahren.

Um die Bundeswehr – wie Pistorius es bezeichnet – »kriegstüchtig« zu machen, sind 85,5 Milliarden Euro im Verteidigungsetat 2024 eingeplant. Das ist der höchste Wehretat aller Zeiten. CDU-MdB Roderich Kiesewetter meint sogar, es sei ja völlig klar, »dass wir eher 300 Milliarden statt 100 Milliarden benötigen, damit die Bundeswehr kriegstüchtig wird«.[3] Mit noch anderen Worten: Die deutschen Militärausgaben haben sich seit 2015 fast verdoppelt. Und da sind die als Bundeswehr-Sondervermögen bezeichneten Kriegskredite nicht mal eingerechnet.[4]

Die Wehrbeauftragte des Bundestages Eva Högel mahnt Ideen und Konzepte zum Thema Wehrpflicht an.[5] Und ausgerechnet der Cheflobbyist der deutschen Rüstungsindustrie Hans-Christoph Atzpodien hat zusammen mit dem SPD-Wirtschaftsforum und der IG-Metall am 9. Februar 2024 ein Positionspapier vorgelegt, in dem die Bundesregierung zu langfristiger und umfassender Rüstungspolitik aufgefordert wird.

Die Zivilklausel an den Universitäten soll abgeschafft werden. Der Deutsche Städte- und Gemeindetag sorgt sich, dass im Falle eines Krieges die Bunker nicht ausreichen würden. In der ZDF-Kindernachrichtensendung »Logo« wird auf »kindgemäße« Weise für Tauruslieferungen in die Ukraine geworben. Und der Luftwaffenchef Ingo Gerhartz sagt in dem skandalösen Telefonat zwischen vier deutschen Generälen, welches russische Medien veröffentlichten, man müsse »einfach mal probieren«, ob man an der russischen Abwehr vorbeikomme. Er hätte ebenso sagen können, man müsse einfach mal probieren, ob der Einsatz der Taurus-Waffe zum Dritten Weltkrieg führt.[6]

Und der über Atomwaffen verfügende NATO-Partner Macron wird nicht müde, über einen eventuellen Einsatz von französischen Soldaten in der Ukraine zu reden. Er überholt Scholz in Sachen Kriegstüchtigkeit. Scholz zeigt bisher in puncto Taurus-Lieferungen immerhin Vernunft. Jeden Tag erreichen uns beängstigende Informationen. Die Kriegsvorbereitungen laufen in erschreckendem Ausmaß und Tempo. Anlässlich des NATO-Jubiläums sprach der britische Kriegsminister von einer Vorkriegswelt und Polens Regierungschef Tusk stellte etwa zeitgleich in einem Interview fest, Europa müsse sich daran gewöhnen, dass eine neue Ära begonnen habe, die Vorkriegszeit. Der Krieg sei »kein Konzept mehr aus der Vergangenheit«. Niemand stelle mehr infrage, dass man sich gemeinsam verteidigen müsse.[7] Soweit der Scharfmacher aus Polen. Wer der erwartete Aggressor sein würde, teilt man uns tagtäglich mit: »Der Russe« ist es. Bekanntermaßen hat der uns ja schon zweimal überfallen. Und jeder weiß: »Der Russe« ist im vergangenen Vierteljahrhundert erschreckend nah an die Grenzen der NATO gerückt.

Die Realität ist eine andere: »Zum Jahreswechsel gab es weltweit 216 militärische Konflikte zwischen Staaten, politischen, religiösen und ethnischen Parteien, darunter 42, die als Kriege eingestuft waren.«[8] Tut nichts: Der Russe ist an allem schuld. Nur der Chinese ist noch so schlimm.

Grüner Bellizismus

Während wir hier tagen, läuft seit Ende Januar das größte NATO-Manöver seit dem Ende des Kalten Krieges. Der Bundessprecherrat hat sich am 21. Januar hierzu geäußert.[9] Das aggressive Bündnis probt mit 90.000 Soldaten den »Ernstfall«. Räumlich erstreckt sich das Manövergebiet in einem weiten Bogen um den Westen Russlands – von Norwegen über das Baltikum bis nach Rumänien. Dieses Manöver dauert noch bis Mai an, gesetzt den Fall, es wird kein heißer Krieg daraus. Es sei wiederholt: Pistorius – und bei weitem nicht nur er – prognostiziert die Möglichkeit eines russischen Angriffs auf ein NATO-Land in einem Zeitraum von fünf bis acht Jahren. In einem Zeitraum von fünf bis acht Jahren – dass bedeutet nichts anderes, als dass ein Weltkrieg, denn um nichts anderes würde es sich dann handeln, ab sofort denkbar ist. Und natürlich, auch das sei wiederholt, würde »Der Russe« der Angreifer sein. Den Menschen das einzureden, ist zum Hauptanliegen der bürgerlichen Agitation und Propaganda geworden.

Kaum jemand hebt sich in dieser Frage so sehr als kollektiver Agitator und Propagandist hervor, wie die Protagonisten der Grünen. Am 12. Februar dieses Jahres war Anton Hofreiter Gast im ARD-Morgenmagazin. So einen Grad an Selbstentlarvung findet man nicht jeden Tag. Wir wollen daher das vierminütige Interview, welches Michael Strempel mit ihm führte, hier wiedergeben[10]. Die USA, so Strempel zu Beginn, sei ein wackliger Partner. Er, Hofreiter, würde nun sagen, wir Deutsche müssten viel, viel mehr tun und dafür müssten wir auch viel, viel mehr Geld ausgeben. Die Schuldenbremse sei ein Sicherheitsrisiko geworden. Hofreiter erhält das Wort:

»Am Ende sozusagen kommt man halt dazu, dass die USA – da liegen gerade 56 Milliarden Militärhilfe für die Ukraine auf Eis – und man muss sich darüber im Klaren sein, dass wir diese Milliarden für die Ukraine nicht nur geben, damit sich die Ukraine verteidigen kann, sondern, das muss man immer wieder betonen, weil die Ukraine die Sicherheit von ganz Europa schützt, vom ganzen demokratischen Europa. Nämlich – es ist allgemein bekannt inzwischen, dass der russische Präsident Angriffe auf weitere Länder, zumindest wenn das mit der Ukraine aus seiner Sicht gut geht, vorhat, und deshalb müssen wir, haben wir das genuine Eigeninteresse, wenn die USA ausfallen, dass wir dann einspringen. Denn wir können nicht wollen, dass Russland weitere Länder angreift.«

Strempel fragt dazwischen:

»Das Nicht-Wollen ist das eine. Das Es-sich-leisten-können ist das andere. 56 Milliarden kommen gerade nicht aus den USA. Wir sind schon mit Abstand der größte Zahler in Europa. Glauben Sie ernsthaft, dass es in Deutschland eine Unterstützung dafür gäbe, zig Milliarden zusätzlich für die Ukraine und die Stärkung des Militärs auszugeben?«

Hofreiter erwidert:

»Ich glaube, am Ende wird es diese Unterstützung geben müssen, nämlich der Preis, den wir sonst zu bezahlen haben, ist extrem hoch. Der Preis ist dann, dass die Gefahr massiv zunimmt, dass Russland weitere Länder angreift und am Ende die NATO direkt in den Konflikt verwickelt werden kann. Man muss sich darüber im Klaren sein: Die Ukraine fordert im Moment oder braucht relativ wenig von uns. Sie braucht nur – in Anführungsstrichen – Waffen und Geld. Das Kämpfen machen die ukrainischen Soldaten. Wenn die NATO direkt angegriffen wird, dann werden da NATO-Soldaten involviert. Das heißt: Die Ukraine stellt auch unsere Sicherheit her.«

Der Moderator unterbricht.

»Werden Sie mal konkret. Was stellen Sie sich vor? Ein neues 100-Milliarden-Paket, wie es für die Bundeswehr schon mal gegeben hat? Wie soll das praktisch aussehen, Ihrer Meinung nach?«

Hofreiter:

»Ja, am Ende brauchen wir ein neues 100-Milliarden-Paket. Auch für die Bundeswehr brauchen wir direkt mehr Geld. Wir haben bei der Artillerie nur noch für mehrere Stunden – mehrere Stunden, nicht Tage! – Munition. Das heißt, wir haben da auch weiterhin ein Riesenproblem, trotz dem 100-Milliarden-Paket in der Vergangenheit. Weil da einfach die letzten Jahrzehnte so viel verschludert worden ist, und ich gebe da ganz offen zu: Ich hab das in der Vergangenheit auch nicht so gesehen. Ich war auch 2014, beim ersten Angriff Russlands auf die Ukraine, noch der Meinung, dass man mit Putin verhandeln kann. Ich hab mich da sehr grundlegend geirrt über die Natur des Regimes Putin. Aber jetzt sozusagen sollten wir es eigentlich erkannt haben und müssen wir handeln und wir müssen auch für die erweiterte Sicherheit mehr Geld ausgeben. Unsere Brücken sind in sehr schlechtem Zustand. Das hat was mit Verlegekapazitäten zu tun. Die müssen 100 Tonnen ablasten können.[11] Unsere Cybersicherheit und so weiter und so fort. Deswegen, es langt auch nicht nur für die Bundeswehr, sondern wir müssen auch mehr für den erweiterten Sicherheitsbegriff tun.«

Die letzte Frage des Moderators:

»Haben Sie das Gefühl, dass Sie in der eigenen Ampel gehört werden, oder sind Sie der einsame Rufer in der Wüste?«

Hofreiter:

»Ich glaube, ich bin in der Koalition nicht der einsame Rufer in der Wüste. Aber wir brauchen eine deutliche Mehrheit, um dieses Geld zu mobilisieren, und manche sagen, man will priorisieren. Ja, aber wir sprechen von Dutzenden und Aberdutzenden Milliarden. Und das kriegen Sie nicht mit priorisieren. Und deshalb bin ich der Meinung, dass man am Ende nicht darum herumkommt, die Schuldenbremse aufzuheben.«

Wider den alten und neuen Russenhass

Den Kern dieser Hofreiter-Aussage machen zwei Sätze aus. Sie lauten:

»Nämlich – es ist allgemein bekannt inzwischen, dass der russische Präsident Angriffe auf weitere Länder, zumindest wenn das mit der Ukraine aus seiner Sicht gut geht, vorhat, und deshalb müssen wir, haben wir das genuine Eigeninteresse, wenn die USA ausfallen, dass wir dann einspringen. Denn wir können nicht wollen, dass Russland weitere Länder angreift.«

Es kann nicht allgemein bekannt sein, dass Russland Angriffe auf weitere Länder vorhat. Der Satz müsste heißen:

»Es ist allgemein bekannt, dass der Westen spätestens seit dem 24. Februar 2022 behauptet, Russland wolle weitere Länder angreifen.«

Und es ist allgemein bekannt, dass Russland spätestens seit der Putin-Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2007 – schon damals nicht zuletzt vor dem Hintergrund der wortbrüchigen NATO-Osterweiterung – gefordert hat, die russischen Sicherheitsinteressen nicht zu negieren. Und es ist allgemein bekannt, dass der Westen das Gegenteil davon tat und tut. Und nicht nur das. Russland werden Dinge zum Vorwurf gemacht, die für den Westen seit dem frühen Kalten Krieg Selbstverständlichkeiten waren und sind. Denken wir nur an den Vietnamkrieg, an Jugoslawien, Afghanistan, den Irak oder Libyen. Und das sind nur einige Staaten, die im Rahmen der 75-jährigen Existenz der NATO von dieser oder einzelnen ihrer Mitgliedsstaaten mit Krieg und Regime-Wechseln überzogen wurden. »Einer Studie der Brown University in den USA [zufolge] hat allein der sogenannte War on Terror, dem sich die NATO nach den Terroranschlägen in den USA am 11. September 2001 anschloss, direkt oder indirekt 4,5 Millionen Menschen das Leben gekostet.«[12] Julian Assange hat besonders über diese Verbrechen berichtet. Sein Schicksal ist den in der BRD Herrschenden vollkommen gleichgültig. Es wäre zumindest schön, wenn all diese Fakten hierzulande allgemein bekannt wären und nicht so getan würde, als sei ein völkerrechtswidriger Krieg eine russische Erfindung.

Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so. Vor allem in den alten Bundesländern fällt die russophobe Manipulation bei vielen Menschen auf fruchtbaren Boden. Natürlich gab es einige aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft heimkehrende Lehrer, die den Krieg gegen die Sowjetunion geläutert ablehnten. Dennoch: In kaum einer Schule, nur selten an Universitäten, in kaum einer Partei oder gesellschaftlichen Organisation wurde seit dem Kriegsende 1945 darüber gesprochen, was die faschistischen Horden – traumatisierend bis in die Gegenwart wirkend – in der Sowjetunion anrichteten. Nicht über die 27 Millionen sowjetischen Kriegstoten, nicht über die Blockade Leningrads und die alleine dort verhungerten und erfrorenen eine Million Menschen, nicht über die weit mehr als 600 niedergebrannten Dörfer in Belorussland. In jedem einzelnen fand ein Massaker an den Dorfbewohnern statt. Nicht über die mehr als drei Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen, die in deutsch-faschistischen Stalags einen grausamen Tod fanden. Nicht darüber, dass die Sowjetunion vertragsbrüchig am 22. Juni 1941 überfallen wurde, in einem weiten Bogen vom Westen Russlands her. Mit der am 5. März 1995 eröffneten ersten Wehrmachtsaustellung wurde in den alten Bundesländern erstmalig zur Kenntnis genommen, welche monströsen Verbrechen Hitlers Armeen nicht zuletzt in der Sowjetunion begingen. Die Hetze, die daraufhin gegen diese Ausstellung entfaltet wurde, und wie deren Ende in der ursprünglichen Gestaltung damit eingeleitet wurde, ist uns noch in Erinnerung.

Das Aufmarschgebiet des heutigen NATO-Manövers gab es schon einmal. Das alles und vieles andere mehr haben die meisten im Westen Deutschlands nie erfahren und stattdessen am sogenannten Volkstrauertag der fernab für die Heimat Gefallenen gedacht. Und in den Klassenzimmern hingen, zumindest bis 1968, Karten von Deutschland in den Grenzen von 1937. Ganz anders in der DDR. Doch auch die im Osten Deutschlands nach der Wende Geborenen wissen über die ungeheuren Verbrechen, die Millionen Deutsche in der Sowjetunion begingen, nur, wenn Eltern oder Großeltern es ihnen erzählt haben. Deshalb ist es mancherorts so leicht, Menschen einzureden, wer die Sicherheitsinteressen Russlands für legitim hält und die NATO-Osterweiterung für illegitim, sei ein Putinknecht oder ähnliches. Wir sagen es nicht zum ersten Mal: Der Russenhass, mit dem wir von morgens bis abends auf widerliche Weise konfrontiert werden, zeugt davon, dass die in Deutschland Herrschenden, denen jedes diesbezügliche Schuldbewusstsein fehlt, noch nicht einmal ahnen, was Reue und Demut im Kontext mit dem deutsch-faschistischen Vernichtungskrieg in der Sowjetunion erfordern würden. Sie scheinen eher zu meinen, jetzt sei die Zeit gekommen, in der man endlich einmal über die Russen sagen könne, was man immer schon – seit der Niederlage, wie sie es nannten und nennen – sagen wollte. Umso wichtiger sind alle Stimmen, nicht zuletzt hörbar auf den diesjährigen Ostermärschen, die sich gegen die Russophobie wenden.

Die Russen haben den Westen spätestens seit Putins Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2007 aufgefordert, ihre Sicherheitsinteressen zu respektieren und einen NATO-Beitritt der Ukraine als rote Linie bezeichnet. Der Krieg, den Russland jetzt in der Ukraine führt, ist völkerrechtswidrig – von den Russen aber wohl begonnen mit dem Gedanken »Nie wieder ist jetzt!« Längst schon ist ein Stellvertreterkrieg daraus geworden, täglich befeuert von modernen NATO-Waffen. Die Münchener Sicherheitskonferenz hat das erneut überdeutlich vor Augen geführt. Dabei ist anzunehmen, dass die NATO-Strategen wissen, dass Russland keinen Angriff auf die NATO plant. Sie wollen die maximale Schwächung der russischen Föderation, um optimale Ausgangsbedingungen für die Auseinandersetzung mit dem Hauptfeind, der Volksrepublik China, zu schaffen. Es geht nach wie vor um jene Strategie, die Zbigniew Brzeziński in seinem 1997 erschienen Buch »Die einzige Weltmacht« entwickelt hat, um die unerfüllbare strategische Absicht der USA zu realisieren, einzige Weltmacht zu bleiben. Nicht Russland gefährdet den Weltfrieden, sondern der US-Imperialismus und die ihm folgenden Vasallen, nicht zuletzt die deutsche Bundesrepublik.

Es scheint vergessen: Kaum war der deutsche Faschismus besiegt – in erster Linie durch den aufopferungsvollen Kampf der Sowjetunion – da signalisierte die USA dem sozialistischen Staat: Wir sind die Stärksten. Wir werden nun die Welt beherrschen. Das Signal: Die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Seither tobte und tobt mehr oder weniger der Kalte Krieg. Die Sowjetunion und der europäische Sozialismus haben diesen ökonomisch nicht überlebt. Nunmehr geht es dem US-Imperialismus mit der NATO im Schlepptau darum, Russland zu zerstückeln. Man muss das Vorgehen Russlands in der Ukraine nicht für richtig halten, um ohne Wenn und Aber die Russlandpolitik des Westens und die NATO abzulehnen. Friedenskampf heißt für uns Linke nicht zuletzt, über diese Zusammenhänge aufzuklären, so schwierig das auch ist.

DIE LINKE ist Friedenspartei

An dieser Stelle eine Bemerkung, den friedenspolitischen Charakter der LINKEN betreffend. Auf dem BSW-Gründungsparteitag erklärte Oskar Lafontaine, im Bundestag gebe es keine Partei mehr, die sich für gute Löhne und Renten, für Frieden und Abrüstung einsetze. Lafontaine wörtlich: »Nein, alle sind für Krieg und Militarisierung.«[13] Hat er Recht? Ist die LINKE für Krieg und Militarisierung? Wir halten nichts von Beschönigungen. Es ist schlimm genug, dass es in unserer Partei führende Mitglieder gibt, die Waffenlieferungen in die Ukraine befürworten, so nicht wenige auf dem Netzwerktreffen der sogenannten Progressiven Linken am 24. Februar 2024. Bodo Ramelow äußerte am 25.02.2024: »Mir fällt kein Argument ein, mit dem wir der Ukraine die Lieferung von Waffen verweigern. Ein Staat ist überfallen worden. Dieser Staat muss sich verteidigen können. Dieser Spagat zerreißt mich innerlich. Aber damit muss ich leben.«[14]

Es ist schlimm genug, dass es Protagonisten der LINKEN gibt, die auf dem Augsburger Parteitag verhindern wollten, dass sich dieser für einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza ausspricht. Wir nehmen denen ihre Empathie für die am 7. Oktober 2023 grausam ermordeten Jüdinnen und Juden nicht ab, wenn sie so gar kein Erbarmen mit der so entsetzlich geschundenen palästinensischen Zivilbevölkerung haben. Denn: Gegen einen sofortigen Waffenstillstand zu sein, ist erbarmungslos. Wir glauben nicht, dass instrumentalisierte Empathie ein echtes Mitgefühl sein kann.

Und wir meinen zugleich, dass die Analyse der sich immer gefährlicher zuspitzenden Situation im Nahen Osten – sei es durch den völkerrechtswidrigen Angriff Israels auf die iranische Botschaft in Syrien, sei es durch die anschließenden Vergeltungsschläge seitens des Iran und wiederum Israels – dass diese Analyse die komplexen Interessen reflektieren muss, die derzeit dort zerstörerisch aufeinanderprallen. Moralisierende Reden helfen da kaum weiter; es sei denn, es handelt sich um die Forderung an alle beteiligten Seiten, den Konflikt nicht weiter zu eskalieren.

Zurück nach Europa. Es gibt Stimmungen in der Partei, dass in Anbetracht des Ukraine-Krieges unser Verhältnis zur NATO überdacht werden müsse. Das wäre der ultimative Tabubruch. Doch das ist bisher in der Partei eine Minderheit. Eine Minderheit, die es seit Mitte der neunziger Jahre gibt. Seither versuchen Regierungssozialistinnen und -sozialisten per Beschluss durchzusetzen, dass unsere Partei die BRD-Staatsräson anerkennt – also die NATO- und EU-Bündnisverpflichtungen. Das ist bis heute nicht gelungen, weil es in der PDS und später in der LINKEN immer Genossinnen und Genossen gegeben hat, die der Mehrheitsstimmung in der Partei Öffentlichkeit verliehen und dafür sorgten, dass dieser Mehrheitsstimmung auf Parteitagen immer wieder Beschlusscharakter verliehen wurde.

Auch Sahra, Sevim, Andrej, Oskar und weiteren heutigen BSW-Mitgliedern ist es zu verdanken, dass bis heute die friedenspolitischen Grundsätze der LINKEN bewahrt wurden. Aber das gibt ihnen, in diesem Falle Oskar Lafontaine, nicht das Recht, unserer Partei nunmehr ihre friedenspolitische Ausrichtung abzusprechen. Ja mehr als das: Die LINKE zur Kriegspartei zu erklären. Das ist – sehr zurückhaltend formuliert – unredlich. Über das Warum kann nur spekuliert werden. Ist es, weil man den Ruf, einzige Friedenspartei zu sein, unbedingt in Anspruch nehmen will? Ist es, weil die Anerkenntnis, dass die LINKE nach wie vor Friedenspartei ist, die Frage aufwerfen könnte, warum man nicht in der Partei um den Erhalt dieses Markenkerns weitergekämpft hat? Sei‘s drum. Wir jedenfalls werden in der LINKEN darum ringen, dass sich die NATO-Verharmloser nicht durchsetzen, denn, es sei wiederholt, wir übersehen nicht, dass bekannte Protagonisten der LINKEN immer wieder öffentlich gegen unsere friedenspolitische Beschlusslage verstoßen, ohne auf harten Widerstand des Parteivorstandes zu treffen. Der Kampf um den Erhalt der friedenspolitischen Grundsätze unserer Partei bleibt im Mittelpunkt unseres Wirkens und markiert zugleich das Ende der Fahnenstange.

Und wir sind in diesem Kampf nicht alleine. Das zeigte erneut die Beratung der Vertreter der Zusammenschlüsse auf Einladung der Bundesgeschäftsführer am 13. Februar 2024. Wir hatten dort dezidiert gefordert, dass die LINKE ihre friedenspolitischen Grundsätze konsequenter und lauter vertreten muss, und fanden für diese Forderung eine breite Unterstützung. Die von Özlem Demirel und Thorben Peters angeregte Wiederaufnahme einer engeren Zusammenarbeit zwischen Zusammenschlüssen, die sich besonders vor Bundesparteitagen um einen gemeinsamen Nenner und um gemeinsames Agieren bemühen, wird von der KPF voll und ganz mitgetragen. Unsere Überlegung, im Herbst eine gemeinsame Friedenskonferenz durchzuführen und deren Ergebnisse in den Parteitag vom 18. bis 20. Oktober hineinzutragen, wird unterstützt. Nicht nur für uns bedeutet der Kampf um den Erhalt unserer programmatischen friedenspolitischen Grundsätze gegenwärtig in erster Linie:

  1. Beibehaltung der programmatischen Forderung nach Auflösung der NATO.
  2. Keine Waffenlieferungen in die Ukraine, nach Israel und in andere Kriegs- und Krisengebiete.
  3. Strikte Beibehaltung der auf dem Augsburger Parteitag zum Krieg in Gaza beschlossenen Positionen.
  4. Forderung nach diplomatischen Lösungen für die Ukraine und Gaza.
  5. Kampf gegen die total geschichtsvergessene Russophobie.
  6. Schonungslose Entlarvung des Zusammenhangs von Kapitalismus, Kriegsvorbereitung, Sozialabbau und Umweltzerstörung.

Diese Positionen müssen sich im Bundestagswahlprogramm wiederfinden. In den dazu bevorstehenden Auseinandersetzungen dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren, dass manche derjenigen, die die friedenspolitischen Grundsätze unsere Partei gerne loswürden, eine teils neue Linie der Argumentation fahren. Vor ein paar Jahren sagten sie, Frieden sei nicht das Thema, dass die Menschen umtreibt. Dann versuchten sie es im Kontext mit dem Ukraine-Krieg mit der NATO-Verharmlosung. Auch das wird eher schwieriger. Nunmehr empfehlen sie, Themen zu meiden, die spalten. Und natürlich sind damit vor allem die Kriege in der Ukraine und in Gaza gemeint. Wir sollten, so empfehlen sie, die Themen in den Vordergrund stellen, wo wir uns einig sind. Mit anderen Worten: Wir sollen unsere Stimme nicht mehr gegen Waffenlieferungen erheben, während Ministerpräsident Ramelow in regelmäßigen Abständen wiederholen darf, dass er keine Gründe sieht, sie nicht zu liefern. Diese schleichenden programmatischen Veränderungen werden wir nicht mitmachen.

Die AfD ist NATO-Partei

Es ist eine historische Erfahrung: Zur Kriegsvorbereitung gehören immer auch konformitätserzeugende Manipulation und Repression. Beides erleben wir auch gegenwärtig in erschreckend zunehmendem Tempo. Viele Indizien hierfür ließen sich aufführen. Wir möchten uns auf einen konkreten Punkt beschränken, auf das brutale Vorgehen der Polizei gegen die Demonstration im Rahmen der Luxemburg-Liebknecht Demonstration am 14. Januar 2024. Wir hatten – wie seit 1996 – aktiv im Bündnis mitgearbeitet, welches ab September regelmäßig tagte und in dem eine konstruktive Atmosphäre herrschte. Das Anmelder-Gespräch bei der Polizei wies keine Besonderheiten auf. Wir wurden dort gefragt, ob Palästinenser an der Demo teilnehmen werden. Wir bejahten dies und sagten dazu, dass wir mit ihnen im Kontakt sind.

Vorab sei gesagt: Die palästinensischen Genossinnen und Genossen haben sich während der gesamten Demonstration sehr diszipliniert verhalten und die Demo-Leitung hat sich dafür bei Ihnen ebenso bedankt, wie bei den Abgeordneten, die uns unterstützten – bei Sevim Dağdelen und Ferat Koçak – sowie bei den Demo-Sanitätern. Es würde unseren heutigen Bericht überfordern, versuchten wir, im Einzelnen zu schildern, wie es zu dem brutalen Polizeieinsatz am 14.01.2024 kam. Am 22. Januar 2024 gab es hierzu in dem Auswertungstreffen des Bündnisses eine gründliche, ehrliche Diskussion. Wir wollen hier die zwei Hauptschlussfolgerungen wiederholen, die dort gezogen wurden.

Es muss gelingen, dass die Kommunikation innerhalb der Demonstration gerade dann gewährleistet wird, wenn es zu Zwischenfällen kommt. Das war kaum gegeben. Und: Wir müssen konsequenter daran arbeiten, dass nicht einzelne Formationen innerhalb der Demonstration in Situationen, in denen gemeinsames Handeln dringend erforderlich ist, machen, was sie wollen. Auch das war am 14. Januar ein Problem und hat es der Polizei erleichtert, die Demonstration anzugreifen. Wir haben keine Illusionen: Wir werden diese Schlussfolgerungen immer nur bedingt umsetzen können, aber wenn wir nicht darum ringen, sind wir mitverantwortlich für Situationen, wie wir sie im Januar erlebt haben.

Der BSW-Bundestagsabgeordnete Klaus Ernst, der es besser wissen sollte, sagte im Januar in einem Interview:

»Bei der Kritik an zu wenig Sozialausgaben und Investitionen in die Wirtschaft sowie zu viel Geld in die Rüstung gebe es ›momentan nur eine Partei, die da ab und zu auch mal was Richtiges sagt, das ist die AfD‹.«[15]

Das entspricht nicht den Tatsachen. Die AfD ist – es wird kaum wahrgenommen – eine NATO-Partei. Im ihrem 2016 beschlossenen Grundsatzprogramm heißt es unter anderem:

»Die Mitgliedschaft in der Nato entspricht den außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands, soweit sich die Nato auf ihre Aufgabe als Verteidigungsbündnis beschränkt. Wir setzen uns dafür ein, den europäischen Teil der atlantischen Allianz deutlich zu stärken. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es unabdingbar, die militärischen Fähigkeiten der deutschen Streitkräfte wiederherzustellen, um Anschluss an die strategischen und operativen Erfordernisse zu finden. Diese von der AfD geforderte Wiederherstellung soll nicht nur die Landesverteidigung als zentrale Aufgabe der Bundeswehr sicherstellen, sondern die deutschen Streitkräfte auch in erforderlichem Maß zur Bündnisverteidigung und Krisenvorsorge befähigen. Die AfD sieht im Bestreben, Verpflichtungen gegenüber den Nato-Bündnispartnern berechenbar zu erfüllen, eine wichtige Aufgabe deutscher Außen- und Sicherheitspolitik, um auf diesem Weg mehr Gestaltungsmacht und Einfluss zu entfalten. Wir treten dafür ein, dass jedes Engagement in der Nato im Einklang mit den deutschen Interessen steht und einer zielgerichteten Strategie entspricht. Die Nato muss so reformiert werden, und die Streitkräfte der europäischen Partnerstaaten sind so zu restrukturieren, dass sie die Sicherheit in Europa und an seiner Peripherie gewährleisten können.«[16]

Nazis sind die Kampfreserve des Kapitals

»Mehr Gestaltungsmacht und Einfluss … entfalten«, das will die AfD für die BRD im Rahmen der NATO. Das ist kein Contra, sondern Vormachtstreben – eine deutsche imperialistische Tradition. Wenngleich sich diese NATO-Partei heutzutage als friedensstiftend darbietet – ja förmlich verkauft –, indem sie einige Positionen zu Russland einnimmt, die manche in der LINKEN am liebsten komplett räumen würden, ist die AfD – wenn auch fälschlicherweise von nicht wenigen Menschen als solche gesehen – alles andere als eine Friedenspartei. Als Olaf Scholz am 27. Februar 2022 die »Zeitenwende« verkündete und im Bundestag über das 100 Milliarden schwere Sondervermögen für die Bundeswehr abgestimmt wurde, stimmten dem alle Fraktionen zu, mit Ausnahme der LINKEN. Auch die AfD sagte ja. Sie ist eben nicht antimilitaristisch. Und: Sie ist schon gar nicht sozial. Sie kennt im Wesentlichen nur einen Sündenbock im Kontext mit Problemen in diesem Land. Schuld an der Misere hatten bei den Hitlerfaschisten die Juden. Und heute? Heute sind es Ausländer, vor allem Asylbewerber und Flüchtlinge, denen die Schuld an allen im Lande existierenden Problemen gegeben wird. Und die AfD wendet sich an die Gleichen wie seinerzeit die Nazis. Man lese die »Wartesaal«-Trilogie von Lion Feuchtwanger.

Und die bürgerlichen Parteien, auch jene, die sich so gerne als linksliberal bezeichnen, und die konformistischen Medien rufen pseudoantifaschistische Losungen, betreiben asoziale Politik und predigen in einem Atemzug Abschiebung im großen Stil. Und sie schieben ab, und sie hetzen. Subtiler als die AfD, aber sie hetzen. Denken wir nur an die Kriminalstatistik 2023. Und sie diskriminieren, z.B. durch die Einführung von Bezahlkarten. Kein Geld soll abfließen ins Ausland. Wo kommen wir denn da hin, sagen sich Ampelkoalition, AfD und BSW in gemeinsamer Abstimmung, wenn irgendwelche nichtregelbasiert eingereisten Afrikaner ihren Familien deutsche Euros schicken, damit die hin und wieder mal satt werden? Hinzu kommt, so der Ökonom Bernd Raffelhüschen, dass auch Bürgergeldempfänger ihre Leistungen als Gutschein erhalten sollten. So werden Asylsuchende zum Experimentierfeld für Empfänger staatlicher Transferleistungen im Allgemeinen. Und noch etwas: Damit im armen Süden Kindern nicht die Freiheit genommen wird, arbeiten zu gehen, möglichst in Kobaltminen, boykottierte Deutschland das Lieferkettengesetz. Wo kommen wir denn hin, wenn sich deutsche Firmen darum kümmern sollen, ob Importiertes vielleicht durch Sklavenarbeit produziert wurde? Gerade die mit solchen zynischen Entscheidungen und Maßnahmen durch die aktuell Regierenden beförderten Stimmungen machen Faschisten groß. Die Kampfreserve des Kapitals. Damals wie heute.

Und es sind die gleichen Argumentationsmuster. Damals wie heute. Ein Zitat aus Hitlers 1925 erschienenen Machwerk »Mein Kampf« soll das belegen. Das Zitat lautet:

»Dass aber Millionen im Herzen den Wunsch nach einer grundsätzlichen Änderung der heute gegebenen Verhältnisse tragen, beweist die tiefe Unzufriedenheit, unter der sie leiden. Sie äußert sich in tausendfachen Erscheinungsformen, bei dem einen in Verzagtheit und Hoffnungslosigkeit, beim anderen in Widerwillen, in Zorn und Empörung, bei diesem in Gleichgültigkeit und bei jenem wieder in wütendem Überschwange. Als Zeugen für diese innere Unzufriedenheit dürfen ebenso die Wahlmüden gelten, wie auch die vielen, zum fanatischen Extrem der linken Seite sich Neigenden. Und an diese sollte sich auch die junge Bewegung in erster Linie wenden. Sie soll nicht eine Organisation der Zufriedenen, Satten bilden, sondern sie soll die Leidgequälten und Friedlosen, die Unglücklichen und Unzufriedenen zusammenfassen, und sie soll vor allem nicht auf der Oberfläche des Volkskörpers schwimmen, sondern im Grunde desselben wurzeln.«

Rein formal kann die AfD auch mal etwas Richtiges sagen. Manipulativ ist es immer. Im Osten, das wissen sie, funktioniert der Russenhass bei der DDR-Generation nur sehr bedingt. Die soziale Erfahrung und die DDR-Erziehung zur Völkerfreundschaft und zur Liebe zur Sowjetunion stehen immer noch millionenfach dagegen. Dem trägt man Rechnung, verbunden mit dem wirtschaftlich vernünftigen Argument gegen die antirussischen Wirtschaftssanktionen. Die AfD hat nichts gegen den deutschen Militarismus, dessen unerhörte Verbrechen in ihren Augen ein Fliegenschiss in der deutschen Geschichte sind. Sie hat nichts gegen monströse Rüstungsausgaben, findet sie eher noch zu niedrig. Sie hat nichts gegen Krieg, wenn es um deutsche Interessen geht. Sie hat nur damit ein Problem, wenn letztlich US-amerikanische Interessen auf deutsche Kosten bedient werden. Diese deutsch-nationale Sicht mag taktisch ein kurzzeitiger geostrategischer Vorteil sein. Für uns hier im Land sind die Faschisten der politische Hauptfeind, denn perspektivisch sind sie diejenigen, die die optimalen Bedingungen für Profitmaximierung bieten, wenn die Reste der bürgerlichen Demokratie diese nicht mehr gewährleisten können. Wer diesen Zusammenhang hierzulande ausblendet, einer toxischen Bündnisbreite willen, hat den ursächlichen Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus ebenso wenig begriffen, wie diejenigen, die diesen Zusammenhang leugnen.

Notwendiger gesellschaftlicher Protest und Instrumentalisierung zugleich

Wir haben uns gerade auf den zwei jüngsten KPF-Bundeskonferenzen intensiv mit Fragen des Antifaschismus befasst und wollen heute nichts davon wiederholen. Allerdings ist mit den landesweiten Anti-AfD-Massendemonstrationen, vor allem im Januar und Februar dieses Jahres, die Diskussion darüber aufgekommen, wie diese Manifestationen zu bewerten sind. Deshalb nehmen wir zunächst – leicht gekürzt – Anleihe bei der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR). Sie sind wohl unverdächtig, Antifaschismus zu manipulativen Zwecken missbrauchen zu wollen. In deren Newsletter vom 2. Februar 2024 heißt es unter anderem:

»Mit großer Aufmerksamkeit verfolgt die FIR die aktuelle politische Entwicklung in der BRD, wo in den vergangenen Wochen eine breite zivilgesellschaftliche Mobilisierung gegen die extreme Rechte zu erleben ist. Eine Presseveröffentlichung über ein Treffen von Funktionären der ›Alternative für Deutschland‹ (AfD), dem Frontmann der Identitären Bewegung in Österreich und anderen Vertretern rechtskonservativer Gruppen in einer Villa in Potsdam, auf dem über die Ausweisung von Millionen Menschen aus Deutschland fantasiert wurde, löste diesen Massenprotest aus.

Bis heute sind über zwei Millionen Menschen in allen Teilen der Bundesrepublik gegen die extreme Rechte, gegen die AfD und für eine weltoffene Gesellschaft auf die Straße gegangen. … Massenaktionen fanden nicht nur in den Großstädten statt. Auch in den östlichen Bundesländern, in denen die AfD bei zum Teil 30% Zustimmung (laut Demoskopen) steht, kamen in Dresden, Erfurt, Freiberg, Halle, Leipzig, Magdeburg und selbst Pirna, wo ein AfD-Oberbürgermeister gewählt worden war, viele Tausend zusammen. ...

Schon einmal waren in der BRD viele tausend Menschen auf den Straßen gegen Rechts, als im Jahre 2000 der damalige Bundeskanzler Schröder zum ›Aufstand der Anständigen‹ rief, als es einen Brandanschlag gegen eine Synagoge in NRW gab. Doch diesmal folgen sie keinem Regierungsappell, auch wenn sich auf manchen Kundgebungen Regierungsvertreter zeigen. Es ist eine zivilgesellschaftliche Bewegung, die die Menschen auf die Straße treibt. Organisationen, wie Gewerkschaften oder Parteien, die in der Vergangenheit zu solchen Massenaktionen mobilisierten, wurden von der Bewegung überrollt. Neue Akteure melden die Aktionen an, Medien berichten über die geplanten Aktionen und viele bislang nicht politisch engagierte Menschen sind auf der Straße. Auf den Kundgebungen sieht man selbst gebastelte Schilder mit Losungen, nur wenige Partei- und Organisationsfahnen. In Metropolen, wo es eine entwickelte politische Szene gibt, werden die bekannten Antifa-Transparente gezeigt. In vielen anderen Städten aber sieht man mehr Pappschilder oder kleinere Symbole gegen Rechts. …

Tatsächlich wurde auf diesen Kundgebungen in manchen Redebeiträgen vollkommen zurecht auch die gegenwärtige Bundesregierung kritisiert, die mit ihrer Politik Mitverantwortung für den Aufstieg der extremen Rechten trägt. Es ist nicht nur die extreme Rechte, die von ›Remigration‹, also Vertreibung, spricht, sondern eine ganz große Koalition sorgt für eine Verschlechterung der Aufnahmebedingungen für Migranten und schafft auf europäischer Ebene gesetzliche Grundlagen, diese schnell wieder abschieben zu können. Kritisiert wurde die populistische Propaganda z.B. des CDU-Chefs Merz, der behauptete, Arztpraxen seien überfüllt, weil Geflüchtete sich dort mit Zahnersatz versorgen. Auch heißt es, man müsse die ›Flut der Migranten‹ stoppen, lehne die ›Verunstaltung‹ der Sprache durch das Gendern ab und wolle Arbeitslosen gerne das bisschen Bürgergeld kürzen – nicht anders als die AfD.

Interessant ist die Reaktion der Medien. Zum einen hilft die Berichterstattung über die Massendemonstrationen bei der Mobilisierung auch in abgelegenen Orten. Die Medien vermitteln Bilder, die die zivilgesellschaftliche Welle über das ganze Land trägt. Gleichzeitig erlebt man Versuche, die Aktionen aus der Mitte der Gesellschaft zu delegitimieren. Und es ist nicht nur die Springer-Presse, von der man es in Deutschland gewohnt ist, dass sie demokratische Bewegungen, Gewerkschaften und Antifaschismus als Feindbilder behandelt. Selbst etablierte Medien behaupten, dass der zivilgesellschaftliche Protest von ›Klima-Chaoten‹ und ›Israel-Hassern‹ unterwandert sei. Die Tatsache, dass in den Ansprachen nicht nur die AfD, sondern auch das Handeln der Regierenden kritisiert wurde, ist Anlass für solche Vorwürfe.

Die FIR begrüßt den gesellschaftlichen Protest gegen die extreme Rechte in Deutschland. Er ist eine gute Voraussetzung, die politische Stimmung der Akzeptanz der AfD zu ändern und damit die Gefahr des Vormarsches zu stoppen. Solche Proteste, die jüngst auch in Wien stattfanden, sind im Sinne des FIR-Appells zur Europawahl, gegen die extreme Rechte ›auf internationaler Ebene bestehende Initiativen, soziale Organisationen, Gewerkschaften und Bewegungen zu vernetzen, um eine gemeinsame politische Stimme für Europa zu werden‹.«

Soweit die Einschätzung der FIR, die voraussichtlich bei all jenen weitgehend Bestätigung findet, die an solchen Kundgebungen teilnahmen. Doch auch unter Linken, so bei manchen in der KPF, gibt es Stimmen, die das Moment der Instrumentalisierung dieser Demonstrationen für entscheidend halten, und sie somit skeptisch betrachten oder auch ablehnen. Manche sind auch der Auffassung, diese würden nur von bestimmten Milieus getragen. Letzteres ist in Anbetracht der genannten Zahlen wohl eher unwahrscheinlich. Der Vorwurf der Instrumentalisierung hingegen ist nicht von der Hand zu weisen. Politiker, die – zumindest objektiv – durch ihr Agieren Nazis Steilvorlagen liefern, inszenieren sich als lupenreine Antifaschisten und nehmen dem Anliegen der Demonstrationen einen Teil der Glaubwürdigkeit.

Deutschland soll in der Welt einen guten Eindruck machen, vor allem im Interesse der Wirtschaft. Die Demonstrationen sollen einem Rauchvorhang gleich die immer brutaler werdende Abschiebepolitik vernebeln und damit zugleich die Verantwortung dieser von den bürgerlichen Parteien betriebenen Politik für massiv zunehmenden Rassismus. Und Bellizismus ist auch nicht gerade ein Charakteristikum des Antifaschismus. Eine von Russenhass getriebene Annalena Baerbock mit ihrem Nazioffizier-Opa Waldemar, den sie verehrt, ist keine glaubwürdige Zeugin in Sachen Antifa. Summa summarum: Wir stellen die Existenz von Manipulationen, die dem Anliegen der Anti-Nazi-Demos faktisch ins Gesicht schlagen, nicht infrage. Aber – sind diese Manifestationen deshalb abzulehnen? Hat es keinen Wert, wenn Menschen mit Migrationshintergrund sich solidarisch aufgehoben fühlen? Hat es keinen Wert, wenn Millionen gegen Nazis auf die Straße gehen? Ist das Gefühl, dass sehr viele Menschen für Humanität eintreten, nichts wert?

Die letzte Instanz ist das Kapital

Wer all das und vieles mehr, was an Positivem zu diesen Demonstrationen gesagt werden könnte, allein unter dem Aspekt ihres Missbrauchs durch die Herrschenden sieht und sich so auch der Erfahrung entzieht, die Stimmung zu erleben, die dort herrscht, und auch die Plakate wahrzunehmen, die von den Kameras eher bewusst nicht erfasst werden, kommt zu einem einseitigen Urteil. Ja, es hat vereinzelt unsolidarisches Verhalten gegenüber Palästinensern gegeben. Und zugleich waren z.B. in Berlin Genossen der »Jüdischen Stimme für den gerechten Frieden in Nahost« mit ihren Plakaten unterwegs. Wir sollten uns, bei allem Kritikwürdigen, zu Massenbewegungen, die ein im Kern fortschrittliches Anliegen vertreten, nicht elitär verhalten und vielmehr mit dafür sorgen, dass dort sichtbar wird: Maßgebliche Gründe für die Rechtsentwicklung liegen in asozialer und bellizistischer Politik. Und dabei sollten wir nie vergessen: Auch diese Politik der Ampel ist nicht die letzte Instanz.

Die letzte Instanz ist das Kapital, das zunehmend den Glauben daran verliert, dass die bürgerliche Demokratie bzw. die von ihr verblieben Reste zukünftig noch in der Lage sein werden, optimale Bedingungen für die Profitmaximierung zu gewährleisten. Wir erleben eine spürbare Zunahme von Streiks. Sie sind Ausdruck dessen, dass für immer mehr Menschen ihre soziale Situation stetig schlechter, zumindest aber gefährdeter wird, und dass sie beginnen, sich intensiver zu wehren. Von gewerkschaftlichen Kämpfen zu Erkenntnissen zu gelangen, dass wieder einmal die Devise »Kanonen statt Butter« die Politik bestimmen soll, kann ein kurzer Weg sein, wenn ökonomische Kämpfe politisiert werden. Deshalb rät das Ifo-Institut den Herrschenden, beim Sozialabbau schonend vorzugehen:

»›Um … eine ›Kanonen-gegen-Butter‹-Debatte zu vermeiden, können die Regierungen beispielsweise damit beginnen, keine neuen sozialpolitischen Maßnahmen oder ineffizienten Subventionen zu verabschieden oder die Mechanismen für automatische Erhöhungen von Sozialleistungen anzupassen‹. Der Industrieverband BDI fordert eine Aufklärungskampagne. Es gelte ›im deutschen politischen öffentlichen Bewusstsein zu verankern‹, dass ohne eine Sicherheits- und Verteidigungsindustrie ›der Erhalt unserer Lebensgrundlagen für ein freiheitliches und nachhaltiges Leben in unserem Land schlicht nicht möglich‹ ist.«[17]

Das ist der unmittelbare Zusammenhang zwischen den komplexen Prozessen – militärisch, politisch und ideologisch – Deutschland kriegstüchtig zu machen und den enormen sozialen Kosten hierfür. Da muss z.B. die Kindergrundsicherung infrage gestellt werden. Allein die europäischen NATO-Mitgliedstaaten und Kanada haben in den vergangenen zehn Jahren mehr als 600 Milliarden US-Dollar für Krieg und Aufrüstung aufgewendet. Und das ist noch erheblich weniger, als die USA in einem Jahr für ihr Militär aufwenden – nämlich 905,5 Mrd. US-Dollar im Jahr 2023.[18] Hier liegen die wohl entscheidenden Gründe dafür, dass der Reichtum Weniger in einem irrsinnigen Umfang wächst.

»Würde einer der fünf reichsten Menschen ab heute jeden Tag eine Million US-Dollar ausgeben, würde es 476 Jahre dauern, bis sein Vermögen aufgebraucht wäre, notiert die … Oxfam-Studie ›Inequality inc.‹. Dagegen müsste ein Sozialarbeiter in den westlichen Staaten im Schnitt 1.200 Jahre in Vollzeit arbeiten, um auf ein Jahresgehalt eines Vorstandsvorsitzenden der 100 umsatzstärksten Unternehmen zu kommen.«[19]

Es ist nicht zu fassen, dass in Anbetracht solchen Reichtums der Wenigen zum Beispiel Menschen, die vom Existenzminimum leben, für die kleinsten Verstöße gegen die Jobcenterauflagen nun wieder ein Strafregime von Sanktionen auferlegt wird. Die Argumente für soziale Einschränkungen sind – unverblümt formuliert – einfach nur verlogen:

»Erstens ›belasteten‹ Sozialleistungen die öffentlichen Haushalte und via Beiträge auch Beschäftigte und Unternehmen. Zweitens hielten sie Menschen davon ab, mehr oder länger erwerbstätig zu sein. Dies wiederum schade dem Wirtschaftswachstum. Das viele Beschäftigte kürzer arbeiten möchten, ist in dieser Sichtweise ökonomisch unbotmäßig. …›Wir sind wieder in einer Situation angekommen, in der das Soziale verantwortlich gemacht wird, für wirtschaftliche Wachstumsschwäche‹, sagt der Sozialforscher Gerhard Bäcker von der Uni Duisburg-Essen.«[20]

Faschistische Gefahr wächst

Es reicht bei weitem nicht aus, wenn die LINKE sich gegen den massiven Sozialabbau wendet. Und letzteres tut sie. Wenn Protagonisten des Kapitals aus guten Gründen eine »Kanonen-gegen-Butter«-Debatte unbedingt vermeiden wollen, dann müssen wir diese gerade führen.

Unsere Partei muss den Zusammenhang von Kriegsvorbereitungen und sozialen Verwerfungen offensiv und hörbar entlarven. Sie muss den Denunziationen trotzen, sie missachte deutsche Sicherheitsinteressen, wenn sie sich gegen den Rüstungswahn und Waffenlieferungen stellt. Und sie muss den Mut aufbringen, zu sagen, dass entgegen der die Tatsachen verzerrenden Propaganda trotz völkerrechtswidrigem Ukraine-Krieg nichts dafür spricht, dass die Russische Föderation NATO-Länder überfallen will. Vielmehr benötigen die NATO-Länder die »Erzählung« über den »aggressiven Russen«, um dem Militarismus als Normalzustand Geltung zu verschaffen.

Ob der deutsche Militarismus wieder vollends die Oberhand gewinnen wird – wie bereits zweimal in der Geschichte – oder ob dies noch gestoppt werden kann, das wird maßgeblich von der deutschen Linken und der Friedensbewegung abhängen. Denn niemand sonst wird über die benannten Zusammenhänge aufklären. Und die entsprechenden Kapitalfraktionen werden alles unternehmen, um ihr verhängnisvolles Agieren in Richtung Kriegstüchtigkeit und Beherrschbarkeit der damit untrennbar verbundenen sozialen Verwerfungen zu gewährleisten. Gesellschaftlich bedeutet dies die Forcierung der Faschisierungstendenzen. Wenn der 10. April 2024 als der Tag in die Geschichte des Europäischen Parlaments eingegangen ist, an dem das individuelle Recht auf Asyl in der EU faktisch abgeschafft wurde, dann markiert dieses Datum zugleich einen Meilenstein in puncto faschistoide Entwicklung.

Yanis Varoufakis hat hierzu besonders treffende Bemerkungen gemacht: »Seine größte Angst … sei der aufkommende Faschismus in Europa. Die ›Komödie der Irrungen‹ werde heutzutage von führenden Politikern weiterbetrieben, die Unzufriedenheit der Massen wachse. Für Faschisten eine wahre Goldgrube: Rassismus, Antisemitismus – und die herrschende Politik mache weiter wie gehabt.«[21]

Wenn es in diesem Lande eine Person gibt, die sozusagen in Personalunion die Interessen von Kapitalfraktionen und legaler, einflussreicher faschistoider Politik verkörpert, so ist das Roland Hartwig. Der hatte an dem berüchtigten Treffen in Potsdam teilgenommen. Dass Frau Weidel von der AfD ihn als Büroleiter entlassen musste, ist einzig und allein der Tatsache geschuldet, dass der Skandal für heutige Verhältnisse zu groß war. Nichts aus seiner Karriere in Wirtschaft und Politik kann ihr unbekannt gewesen sein. Nachfolgend einige Auszüge aus seinem Lebenslauf.[22]

Nach Abitur und Jura-Studium war Roland Hartwig von 1980 bis 1984 Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg im Breisgau. 1984 trat er in die Rechtsabteilung der Bayer AG in Leverkusen ein. 1997 übernahm er dort die Leitung der zentralen Patentabteilung und 1999 als Chefsyndikus die weltweite Verantwortung für den Bereich Recht und Patente des Bayer-Konzerns. Er war Vorsitzender des Rechtsausschusses des Verbands der Chemischen Industrie.

Zugleich fungierte er als Aufsichtsratsmitglied verschiedener Konzerngesellschaften. 2016 trat er in den Ruhestand und ist seitdem als selbständiger Rechtsanwalt tätig. Hartwig trat im Mai 2013 in die AfD ein, weil ihm CDU und FDP zu weit nach links gerückt waren. Von Juni 2016 bis September 2017 gehörte er dem AfD-Vorstand im Rheinisch-Bergischen Kreis an. Seit Februar 2020 ist er Mitglied im AfD-Vorstand im Rhein-Sieg-Kreis. Bei der Kommunalwahl 2020 trat er für AfD als Oberbürgermeisterkandidat in Leverkusen an. Seit seinem Ausscheiden aus dem Bundestag im Jahr 2021 arbeitete Hartwig als persönlicher Referent für die AfD-Vorsitzende Alice Weidel und galt als deren rechte Hand. Mehrere AfD-Insider im Bundestag bezeichneten ihn als eine Art »inoffizieller Generalsekretär der Partei«. Außerdem ist er Dozent an der vom AfD-Bundesvorstand aufgebauten »Akademie Schwarz-Rot-Gold«. Am 15. Januar 2024 wurde der Arbeitsvertrag Hartwigs als Weidels Referent in »beiderseitigem Einvernehmen« aufgelöst, eine nähere Begründung dafür gab es nicht. Dennoch ist klar, dass sein Ausscheiden in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Teilnahme am Treffen vom 25. November 2023 im Landhaus Adlon in Potsdam stand, mit Teilnehmern der Neuen Rechten, darunter der österreichische Identitäre Martin Sellner. Hartwig soll in diesem Zusammenhang gesagt haben, dass er die Inhalte des Treffens in die AfD-Spitze tragen wolle.

Hartwig steht stellvertretend für viele Wirtschaftsprotagonisten, Bundeswehroffiziere, Polizeibeamte, Vertreter des Justizapparates, rechte Professoren und andere Eliten, die die AfD, diese Ansammlung des besonders reaktionären Bürger- und Kleinbürgertums zu einer teils schon faschistischen Partei machen, auf jeden Fall aber in diesem Land zu einem Ankerplatz für faschistoide Kräfte verschiedener Couleur. Unser Antifaschismus wird stets antikapitalistischer Natur sein, in dem Bewusstsein, dass wir auch mit jenen gemeinsam gehen, deren Antifaschismus sich allein aus dem Gefühl der Humanität speist und zugleich in der Überzeugung, dass man die von der AfD Irregeführten nicht einfach abschreiben darf, ohne der Illusion zu verfallen, wir könnten sie alle vor der faschistischen Ideologie retten. Eine starke LINKE jedenfalls ist für Antifaschismus und Antirassismus unabdingbar.

Aktuelle KPF-Entwicklungen

Wir würden uns etwas vormachen, nähmen wir an, derzeit diese starke linke Partei zu sein. Das Gegenteil ist der Fall. Die Partei ringt um ihre Existenz. Wir wollen heute unsere Überzeugung bekräftigen, dass unsere Partei nur dann wieder eine Chance erhalten wird, wenn auf dem Parteitag im Oktober ein Vorstand gewählt wird, der den Charakter und die Zusammensetzung der Gesamtpartei widerspiegelt. Wird die Praxis der letzten Jahre beibehalten, einen Vorstand anzustreben, der im Wesentlichen nur eine Richtung repräsentiert – eine Richtung, die eher die Revision des Parteiprogramms anstrebt als dessen permanente Verwirklichung hinsichtlich der programmatischen Kerninhalte –, so wird eine Stabilisierung unserer Partei verunmöglicht. Die KPF wird alles ihr Mögliche für das Zustandekommen eines Parteitages tun, der nicht durch inzwischen drei spezielle Plenen zerrissen wird, auf dem die Delegierten wirklich zu Wort kommen und nicht nur eine zweistündige Generaldebatte eingeplant ist und auf dem die Kandidaturen für den Parteivorstand breit aufgestellt sein werden.

Nun etwas in eigener Sache. Die KPF hat sich im Kontext mit den sich abzeichnenden Spaltungstendenzen in den letzten Jahren stets ohne Wenn und Aber für die Einheit der Partei eingesetzt. Somit war immer klar, dass die KPF als Struktur im Falle einer Spaltung in der LINKEN verbleiben wird. Der Grund dafür war nicht, dass wir davon ausgehen mussten, dass man uns in einer neuen Struktur mindestens genau so wenig haben möchte, wie so mancher Funktionär uns in der LINKEN nicht gerne sieht. Der Generalsekretär des BSW Christian Leye hat auf dem Gründungsparteitag am 27. Januar 2024 erwähnt, dass der Aufbau der neuen Partei seit zwei Jahren läuft. Wir sagen: Mindestens seit zwei Jahren.

Wie auch immer. Weder Sahra, noch Sevim, noch andere Protagonisten des BSW haben irgendwann auch nur den leisesten Versuch unternommen, mit uns über ihre Absichten zu reden und uns nach unserer Meinung zu fragen. Das hat in Anbetracht dessen, dass Sahra von 1990 bis 2010 in den Medien als die Vordenkerin der KPF galt und ohne unsere Solidarität die ersten Jahre in der PDS politisch wohl kaum überlebt hätte, schon ein gewisses Geschmäckle. Um jedes Missverständnis auszuschließen: Kein Gespräch hätte uns überzeugen können, uns an einer Parteispaltung zu beteiligen. Darum geht es hier nicht. Es geht darum, zu verdeutlichen, dass es keinerlei Interesse an der KPF seitens der BSW-Parteigründer gab. Über etwa eineinhalb Jahre hinweg kam kein Gespräch zwischen Sahra und Ellen zustande, obwohl ein solches im Frühsommer 2022 vereinbart worden war.

Wir erwähnen das hier heute – nicht, weil wir etwa beleidigt wären, dass wir nicht gewollt sind, sondern nur, um öffentlich zu machen, dass die KPF nicht in das BSW-Konzept passt. Dass wir in der LINKEN geblieben sind, ist kein Ausdruck unserer tiefen Zufriedenheit mit dem politischen Agieren unserer Partei. Es ist vielmehr der Ausdruck unserer Überzeugung, dass es, zumindest in nichtrevolutionären Zeiten, zweckmäßiger ist, innerhalb existierender Strukturen zu kämpfen, als diese zu spalten. Und es ist der Ausdruck unserer Achtung vor zehntausenden ehrlichen Parteimitgliedern, mit denen wir uns als Kommunistinnen und Kommunisten in der LINKEN fest verbunden fühlen.

Zurück zur aktuellen Situation in der KPF. So klar es für uns war, dass wir uns an einer Parteispaltung nicht beteiligen werden, so klar war uns auch, dass wir Genossinnen und Genossen an die Partei BSW verlieren werden, wenn deren Gründung feststeht. Deshalb haben wir zwei Wochen vor dem BSW-Gründungsparteitag im Bundeskoordinierungsrat beschlossen, nicht auf irgendeinen Stichtag zu warten, der uns seitens der Landesvorstände verpflichtet, unsere Mitgliederlisten zu überprüfen, sondern das sofort aus eigenem Antrieb zu tun. Wir müssen wissen, wie unsere reale Mitgliedersituation unter den neuen Bedingungen beschaffen ist. Und wir hatten zu keinem Zeitpunkt die Illusion, dass die Mehrheitsposition in der KPF zu Spaltungstendenzen gleichbedeutend damit sein würde, dass die BSW-Gründung nicht auch eine Reihe von Austritten von der KPF zugehörigen Mitgliedern der LINKEN nach sich ziehen wird. Die Überprüfungen in den Ländern sollten im März abgeschlossen werden und wir haben gemeinsam diesen Termin gehalten.

Welche Grundtendenzen haben sich herausgestellt? Insgesamt hat die KPF seit dem 31. Dezember 2022 etwa fünfundzwanzig Prozent ihrer Parteimitglieder verloren, davon maximal ein Zehntel durch Versterben. Von den Ausgetretenen und den wegen Beitragsverweigerung Gestrichenen ist nur ein sehr kleiner Teil 2021 und zu Beginn 2022 ausgetreten. Wir hatten also bis dahin kaum Mitgliederverluste aus politischen Gründen. Das änderte sich bereits Ende 2022 und Anfang 2023 und ist mit Sicherheit nicht vom unverantwortlichen Verhalten des Parteivorstandes im Zusammenhang mit der maßgeblich von Sahra initiierten Friedenskundgebung am 25. Februar 2023 zu trennen. Wir waren bekanntlich seit langem der Auffassung, dass Spaltungstendenzen in hohem Maße von den NATO-Verharmlosern in unserer Partei ausgehen. Allerdings – die Position des BSW, man müsse diese in ein Defensivbündnis umwandeln, zeugt auch nicht gerade von einer realistischen Einschätzung dieses aggressiven Paktes. Doch das nur am Rande.

Zurück zur Situation in der KPF. Die Masse der Austritte konzentrierte sich auf das vierte Quartal 2023, nachdem endgültig klar wurde, dass es eine Parteineugründung unter Sahras Leitung geben würde. Spätestens ab diesem Zeitraum wurde auch gezielt abgeworben. Am deutlichsten zeigt sich das in Rheinland-Pfalz. Dort trat nicht nur der ehemalige KPF-Landessprecher, gleichzeitig Mitglied des Bundeskoordinierungsrates, aus der LINKEN aus und in das BSW ein; er brachte als »Geschenk« auch die Austritte von etwa der Hälfte der KPF-Mitglieder seines Bundeslandes mit zum BSW-Gründungsparteitag, an dem er teilnahm. Einen so hohen Verlust hatten wir in keinem anderen Bundesland zu verzeichnen.

Sahra und führende Genossinnen und Genossen, die mit ihr gingen, müssen es mit ihrem Gewissen ausmachen, nicht nur die Bundestagsfraktion der LINKEN gespalten und damit auf den Gruppenstatus zurückgeworfen zu haben, sondern auch Kommunalparlamente im Osten wie im Westen durch Spaltung in ihrer Arbeitsfähigkeit teils massiv eingeschränkt zu haben. Die Prozesse, die sich in der KPF vollzogen haben, betreffen wohl auch andere linke Zusammenschlüsse. Dafür erhalten Gruppierungen wie die sogenannte Progressive Linke sicher eher Zulauf. Mit anderen Worten: Statt die dringend erforderlichen innerparteilichen Auseinandersetzungen zu führen, ist den NATO-Verharmlosern der Weg glatter gemacht worden. Das BSW wird – auf welcher inhaltlichen Grundlage auch immer – sicher zunächst parlamentarische Erfolge erzielen können. Ob zu Lasten der AfD, ist anzuzweifeln. Zulasten der LINKEN geht es allemal.

Wir haben in einem Offenen Brief vom 5. Februar 2024 die Bedingungen formuliert, die in Verantwortung der Parteiführung gewährleistet werden müssen, damit die Partei nicht vor die Hunde geht. Sie müsse endlich den Schuss hören und die Partei auf der Basis des Parteiprogramms zusammenführen, gemeinsam mit allen Kräften in der LINKEN, die das auch wollen. Am 11. März 2024 antworteten Janine Wissler und Martin Schirdewan auf unseren Offenen Brief – wir haben diese Antwort in den Aprilmitteilungen dokumentiert. Die Parteivorsitzenden gehen darin auf unseren Vorschlag ein, »Vertreter unterschiedlicher inhaltlicher Position zu einem offenen Gespräch [einzuladen], um die derzeit dringlichsten zwei Fragen gemeinsam zu beraten: Wie kann man die Partei zusammenführen und wie muss der Parteitag im Oktober beschaffen sein, damit die LINKEN auf dem Boden des geltenden Parteiprogramms die Bundestagswahlen im nächsten Jahr besteht«. Am 12. April 2024 fand ein Gespräch mit der stellvertretenden Parteivorsitzenden und amtierenden Bundesgeschäftsführerin Katina Schubert statt, während dessen wir auch unsere Vorstellungen für ein Treffen nach den Wahlen zum Europäischen Parlament dargelegt haben.

Von Mitgliederverlusten nicht entmutigen lassen

Was steht nun vor uns? Wir dürfen uns von den Mitgliederverlusten nicht entmutigen lassen. Wir müssen alles tun, um zunächst unsere derzeitige Mitgliederstärke zu halten. Einen Lichtblick gibt es: Als wir Anfang März 2024 die KPF-Mitgliederüberprüfung abgeschlossen hatten, mussten wir einen Verlust von siebenundzwanzig Prozent verzeichnen. Inzwischen haben wir eine Reihe von Neueintritten, sodass – wie bereits erwähnt – die Verluste nunmehr fünfundzwanzig Prozent betragen. Es gilt, den Weg fortzusetzen, Genossinnen und Genossen, die unsere Positionen weitgehend teilen, gezielt darum zu bitten, aus Solidarität der KPF beizutreten. Dabei ist es wichtig, darauf zu verweisen, dass die KPF ihr Betätigungsfeld in der Partei sieht und daher eine KPF-Mitgliedschaft, wenn man in der KPF keine Funktionen innehat, keine zusätzliche zeitliche Belastung darstellt. Es sei noch einmal gesagt: Es geht um einen Akt der Solidarität. Um die KPF zusammenzuhalten, ist es notwendig, ein bis zweimal im Jahr eine Landeskonferenz durchzuführen, auf der man sich zur Lage und zu den bevorstehenden Aufgaben verständigt. Diese Praxis hat in den Jahren der Corona-Pandemie vielerorts gelitten und wir müssen überall dahin zurückkehren.

Manche Genossinnen und Genossen, die jetzt in das BSW eingetreten sind oder sich um Aufnahme bemühen, haben ihr Interesse bekundet, in der KPF zu bleiben. Zunächst einmal ist dazu zu sagen, dass unsere Zusammenkünfte stets öffentlich sind. Da unsere Hauptarbeit im Wirken in der Partei besteht, erhebt sich die Frage, worin Mitglieder des BSW den Sinn ihrer weiteren Mitgliedschaft in der KPF sehen. Wir haben auf diese Frage keine Antwort. Zumal die BSW-Satzung Doppelmitgliedschaften noch härter ausschließt als die Satzung der LINKEN. Und eines noch wollen wir, ausgehend von jüngsten Erfahrungen, deutlich sagen: Wir brauchen keine ehemaligen Genossinnen und Genossen, die bewusst unsere Zusammenkünfte nutzen, dafür zu agitieren, in das BSW überzutreten.

Wie sich unser weiteres Verhältnis zur Partei DIE LINKE gestalten wird, wird wesentlich von den bevorstehenden Entwicklungen abhängen. Wir wollen nicht mit einer Partei in den Abgrund gehen, weil deren führende Genossinnen und Genossen keine Nachdenklichkeit kennen und daher nicht lernfähig sind. Wir wollen eine Kurskorrektur, die bewirkt, dass unsere Schwerpunkte wieder klar erkennbar sind: Friedenspartei ohne NATO-Verharmlosung, Klassenpartei ohne maßlos übertriebene Identitätspolitik, internationalistische Partei, weil Solidarität grenzenlos ist, Umweltpartei, ohne elitär auf den sozialen Preis zu pfeifen, antifaschistische Partei, die über Kapitalismus reden will, und sozialistische Partei, weil sie die auf diese Schwerpunkte orientierte antikapitalistische Politik konsequent betreibt. Wir wollen einen Vorstand, der die Partei widerspiegelt sowie zusammenführt, und in dem nicht eine Gruppierung übermächtig die politische Linie bestimmt.

Wenn die LINKE diese Korrekturen nicht hinbekommt, warum auch immer, so wird sie mittelfristig nicht überleben. Wir wollten keine Mitverantwortung für eine Parteispaltung übernehmen, aber wir wollen auf Dauer auch keine Mitverantwortung tragen, wenn diese Partei durch den von manchen angestrebten Verzicht, Anti-NATO-Partei und strikte Antikriegspartei zu bleiben, in den Abgrund geführt wird. Letzteres ist keine Absage an unseren Kampf in unserer Partei DIE LINKE, sondern vielmehr die Aufforderung, diesen Kampf überall, wo wir sind, zu intensivieren.

 


[1] Philip Tassev: »Schießen für den Pass«, jw, 23.01.2024

[2] dpa/Reuters: »Soldaten in die Ukraine: Slowakei sieht Eskalation«, jw, 27.02.2024

[3] Philip Tassev: »Bunker, Bomben Milliarden«, jw, 14.02.2024

[4] Vgl.: Wolfgang Hübner: »Rüstungswahnsinn in Großserie«, nd, 16.02.2024

[5] Philip Tassev: »Bunker, Bomben Milliarden«, jw, 14.02.2024

[6] Vgl.: Reinhard Lauterbach: »Verschweigen und ablenken«, jw, 07.03.2024

[7] nd: »Krieg als Konzept«, nd, 05.04.2024

[8] Herfried Münkler: »Der Ukraine-Krieg führt zu einer neuen Weltordnung«, der Freitag, 22.02.2024

[9] Bundessprecherrat der KPF: »Der Wahnsinn muss ein Ende haben«, 21.01.2024

[11] »Ablastung« ist der Fachbegriff für eine nachträgliche Lastenreduzierung gegenüber dem ursprünglichen Zustand. Bezogen auf Fahrzeuge, bedeutet »Ablastung« die Verringerung des zulässigen Gesamtgewichts gegenüber dem ursprünglichen serienmäßigen Zustand – z.B. aus steuerrechtlichen oder zulassungsrechtlichen Gründen oder zur Umgehung gewichtsabhängiger Beschränkungen wie Sonntagsfahrverbot oder LKW-Maut. Bezogen auf Brücken, bedeutet »Ablastung« die (aufgrund des schlechten Zustands behördlich verfügte) Reduzierung des zulässigen Gesamtgewichts der Fahrzeuge, die (gleichzeitig) die Brücke befahren dürfen. Im Kontext des Interviews erschließt sich der Sinn des Satzes »Die müssen 100 Tonnen ablasten können.« nicht und zeugt von einer gewissen Ahnungslosigkeit.

[12] nd/Agenturen: »Freiheit mit Bomben«, nd, 04.04.2024

[13] Wolfgang Hübner, »Sahra Wagenknecht: ›Wir werden keine Linke 2.0‹«, nd, 28.01.2024

[14] Josef Seitz: »Schwarzer Sonntag für Miosga - Ramelow-Talk verliert sich in tiefer Belanglosigkeit«, Fokus Online, 26.02.2024

[15] Wolfgang Hübner, »Sahra Wagenknecht: ›Wir werden keine Linke 2.0‹«, nd, 28.01.2024

[16] Grundsatzprogramm der Alternative für Deutschland, Beschlossen auf dem Bundesparteitag in Stuttgart am 30.04./01.05.2016

[17] Stephan Kaufmann: »Ukraine-Krieg: Militärische Umverteilung«, nd, 09.02.2024

[18] Vgl.: Arnold Schölzel: »Kriegskarneval in Brüssel«, jw, 15.02.2024

[19] Gerrit Hoekman: »Raubritter im Luftkurort Davos«, jw, 19.01.2024

[20] Eva Roth: »Sozialpolitik: Wer wird ärmer?«, nd, 09.02.2024

[21] Stefan Berkholz: »Yanis Varoufakis: Der Mythos lebt«, nd, 20.02.2024

[22] Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Roland_Hartwig – abgerufen am 05.02.2024