Friedenspolitische Grundsätze der Linken wichtiger denn je
Bericht des Bundessprecherrates von Ellen Brombacher, Bundessprecherin der KPF
Am 24. Oktober 2024 schrieb Wolfgang Hübner im nd: »Der Optimismus, mit dem nicht wenige Linke-Mitglieder vom Parteitag in Halle nach Hause fuhren, dürfte aufgebraucht sein. Denn die neue Parteispitze bekam nicht einmal drei Tage Schonfrist: Am Mittwoch erklärten fünf namhafte Berliner Linke, darunter drei Ex-Senatoren, ihren Austritt aus der Partei. In der Begründung geht es maßgeblich um Differenzen bei den Themen Distanzierung von Antisemitismus und Unterstützung für die Ukraine«.[1] Soweit Wolfgang Hübner. An anderer Stelle im nd wird aus der Erklärung der fünf Ausgetretenen zitiert: »›Seit einiger Zeit ist es uns immer weniger möglich, uns in unserem Landesverband für unsere inhaltlichen Positionen und unsere strategischen Orientierungen einzusetzen … Dies erlebten wir nicht zum ersten Mal bei einer klaren Positionierung zum Antisemitismus, sondern zum Beispiel auch bei der Frage der Solidarität mit der Ukraine‹. Eine sachlich inhaltliche Klärung dieser Frage sei in der Partei aktuell nicht mehr möglich, so die Ausgetretenen.«[2]
Zunächst einmal: Der Optimismus ist nicht aufgebraucht. Wir haben in unserer Erklärung vom 21. Oktober 2024 »Eingeleitete Kurskorrektur konsolidieren« eine vorsichtig positive Einschätzung des Halleschen Parteitages vorgenommen, die wir heute nicht wiederholen wollen. An dieser Bewertung ändert der Austritt derjenigen, die ihre politische Heimat im Netzwerk »Progressive Linke« hatten, nichts. Es kommt wohl nur bei wenigen Genossinnen und Genossen gut an, wenn man einen Parteitag verlässt, weil der eigene Antrag nicht unverändert geblieben ist. Es kommt nicht gut an, wenn man beim Hinausgehen der auf dem Parteitag verbleibenden großen Mehrheit der Delegierten den Mittelfinger zeigt, wie auf dem Berliner Landesparteitag am 11. Oktober 2024 geschehen. Und es dürfte auch nicht auf allzu viel Verständnis stoßen, dass ein kulturvoll erstrittener, mit großer Mehrheit angenommener Nahost-Kompromissantrag mit Parteiaustritten beantwortet wird. Dass die betreffenden Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses ihre Mandate nicht zurückgeben wollen, dürfte ebenso auf großes Unverständnis stoßen. Wurde doch erst kürzlich, im Kontext mit dem Austritt von Alexander King – jetzt BSW – durch die Berliner Linke beschlossen, dass Mandate zurückzugeben sind, wenn man der Partei den Rücken gekehrt hat.
Nicht am Nasenring durch die antideutsche Manege führen lassen
Manche mögen sich jetzt einen großen Streit wünschen, in dem die Ausgetretenen doppelter Standards und diejenigen der Inkonsequenz bezichtigt werden, die nunmehr gute Miene zum bösen Spiel machen. Wir wollen diese Auseinandersetzung nicht. Die fünf und weitere sind gegangen. Niemand hat sie dazu aufgefordert. Doch nun sind sie weg. Keiner in der Linken sollte ihnen helfen, parteilos weiter in der Partei und in der Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses Stimmung machen zu können, indem wir uns auf die von Lederer und anderen gewollten Debatten einlassen.
Der auf dem Halleschen Parteitag gefasste Beschluss »Deeskalation und Abrüstung in Nahost – für Frieden, Völkerrecht – gegen jeden Rassismus und Antisemitismus« ist frei von Antisemitismus. Kritik an der barbarischen Kriegsführung der Netanjahu-Regierung ist nicht antisemitisch und Kritik am Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 ist weder antipalästinensisch noch antimuslimisch. Wer mit dieser, nur scheinbar widersprüchlichen Feststellung nicht leben kann, hat sich nicht einen Moment mit der tiefen Tragik des Nahost-Konflikts befasst. Und wer mehr als 40.000 tote Palästinenser in Gaza mit dem 7. Oktober 2023 faktisch rechtfertigt, der sollte zumindest einen Moment lang über seine Vorstellungen von Menschlichkeit nachdenken. Dennoch: Über diese Fragen kann sachlich geredet werden, unter der Voraussetzung, dass niemand unter den Diskutierenden das Leid der eigentlich Betroffenen instrumentalisiert. Aber wir sagen auch deutlich: Die Partei Die Linke liefert keine Gründe, ihr Mangel an Klarheit vorzuwerfen, wenn es um ihren Kampf gegen Antisemitismus geht.
Ein Vergleich sei erlaubt: Die PDS und später die Linke war nie völlig frei von Antikommunisten und auch nicht von Mitgliedern, die – oft ohne es zu wollen – besonders in Geschichtsdebatten Äußerungen machten, die antikommunistisch gefärbt waren. Aber niemals war die PDS oder später die Linke eine antikommunistische Partei. Und ebenso war unsere Partei nie antisemitisch verfasst. Das wissen auch diejenigen, die uns Antisemitismus vorwerfen. Sie wollen uns vielmehr eine nicht endende Debatte zu diesem so schmerzlichen Thema aufzwingen, um uns dann jede unqualifizierte, oft dumme und in Einzelfällen auch antisemitisch gefärbte Formulierung einzelner Linken-Mitglieder zuvörderst in den sozialen Medien vorzuhalten, verbunden mit dem empörten Aufschrei, sie hätten es ja immer schon gesagt. Wir können uns dann entscheiden, ob wir unglaubwürdig Dummheiten verteidigen oder schweigen. In beiden Fällen gießen wir Wasser auf die Mühlen derjenigen, die unsere Partei als antisemitisch denunzieren. Wir können Fairness nicht erzwingen, aber wir können bestimmen, auf welche Diskussionen wir uns einlassen und welchen Debatten wir uns verweigern. Hier sei ein Beispiel aus dem Jahr 2013 zum Vergleich herangezogen. Selbst die schlimmsten Prügeleien der Polizei vermochten es nicht, der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration den Garaus zu machen. Nun sollte die Demonstration gespalten werden. Sie wurde als »stalinistisch« denunziert, mit der Begründung, auf der Demo würden Stalinbilder getragen. Ja, es gab im Rahmen der Demonstrationen, an denen seinerzeit jährlich zwischen 12.000 bis 15.000 Linke teilnahmen, zwei oder drei Stalinbilder und die MLPD z.B. war und ist nicht bereit, darauf zu verzichten. Die Relation von fünfstelligen Teilnehmerzahlen und nicht einmal einer Handvoll Bilder interessierte die Spalter nicht und so riefen sie zu einer, die »wahren Werte« der undogmatischen Linken vertretenden Gegenveranstaltung auf. Hinter den Aufrufenden stand schon damals nicht zuletzt Klaus Lederer. Im Demo-Bündnis kam es zu kontroversen Diskussionen. Die einen meinten, wir sollten uns der Auseinandersetzung offensiv stellen. Damit meinten nicht alle das Gleiche. Die anderen vertraten die Auffassung, gerade darauf legten es die Spalter an und deshalb sollten wir auf ihre Angriffe nicht reagieren und stattdessen alles für eine optimale Mobilisierung tun. Letzteres war die mehrheitliche Position. Wir bezeichneten die Spalter nicht einmal als Spalter. Wir ließen sie hetzen und arbeiteten an der Mobilisierung. Das Resultat: Die LL-Demo war stärker als in den Jahren zuvor und auf der Gegenveranstaltung waren nicht einmal 500 Teilnehmer. Man muss nicht über jeden hingehaltenen Stock springen und zumindest die KPF wird sich nicht auf eine Endlosdiskussion über das Thema Antisemitismus einlassen. Wir weichen der Problematik nicht aus, aber wir lassen uns von niemandem am Nasenring durch die antideutsche Manege führen.
Elke Breitenbach brüllte damals schon, wir sollten vom Mikro gehen
Der zweite Austrittsgrund, den Klaus Lederer und weitere Ehemalige angaben, ist, dass in der Partei »eine sachlich-inhaltliche Klärung dieser Frage« – gemeint ist der Ukraine-Krieg – »… aktuell nicht mehr möglich« sei. Worum geht es Lederer und anderen? Sie wollen keinerlei Diskussion über die Vorgeschichte des Ukraine-Krieges; keine Erwähnung der wortbrüchigen NATO-Osterweiterung, keine Erwähnung des geopolitisch folgenreichen Maidan-Putsches, keine Erwähnung der russischen Sicherheitsinteressen und gerade in diesem Kontext schon gar keine Erinnerung an das vom deutsch-faschistischen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion erzeugte, tiefsitzende Trauma. Wir müssen hingegen offen sagen, dass es geschichtsvergessen ist, anzunehmen, dass nach diesem grauenhaften Morden des deutschen Faschismus in der Sowjetunion die NATO-Osterweiterung nicht als Bedrohung wahrgenommen werden muss. Von 16 NATO-Mitgliedern zur Zeit der Auflösung des Warschauer Vertrages wuchs die Zahl auf 36, fast alle in Osteuropa. Dort werden jährlich Großmanöver mit bis zu 50.000 Mann abgehalten. Wie soll Russland das wohl bewerten?
Kriegsvorbereitung geht stets mit der Entmenschlichung des potenziellen Gegners einher. Damals wie heute. »Jeden Tag aufregendere Nachrichten über die russischen Kriegsvorbereitungen gegen Deutschland.« Das schreibt Victor Klemperer am 24. August 1936 in sein Tagebuch. Und am 5. August 1936 lesen wir ebenda: »Interessant war mir und charakteristisch für den Kleinbürger die Angst vor Russland … Sie nehmen alles in Kauf aus Angst vor Russland.« Soweit Klemperer. Fünf Jahre später überfiel Hitler die Sowjetunion. Heutzutage soll Deutschland 2029 kriegstüchtig sein. Wie sich die Dinge gleichen! Wir müssen uns dem Russenhass ebenso entgegenstellen wie jeder Art von Volksverhetzung. Auch das ist Friedenskampf, den wir im Bündnis mit der Friedensbewegung wesentlich stärker als bisher auf der Straße führen müssen. Zurück zu den Vorwürfen der Ausgetretenen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg. Sie wollen natürlich keine Debatte über den Maidan-Putsch und die bewusste Ignorierung des Minsker Abkommens. Sie wollen die Herauslösung dieser und weiterer Ereignisse aus den historischen Zusammenhängen, um es all denen, die in der Linken programm- und beschlusswidrig Waffenlieferungen in die Ukraine fordern, leichter zu machen. Für uns war und bleibt die Frage, ob die Linke Waffenlieferungen in die Ukraine, in der mittlerweile ein Stellvertreterkrieg zwischen Russland und der NATO stattfindet, ablehnt oder befürwortet, die entscheidende, wenn es um unsere friedenspolitische Verlässlichkeit geht. Wir sind nicht bereit, den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands in der Ukraine entkontextualisiert zu bewerten und seinen geopolitischen Charakter zu leugnen. Diese Position haben wir bereits auf dem Berliner Landesparteitag im April 2022 vertreten – und Elke Breitenbach brüllte damals schon, wir sollten vom Mikro gehen –, und von dieser Position werden wir nicht abrücken.
Damit verlöre Die Linke ihren antimilitaristischen Charakter
Wenngleich Jan van Aken sich auf dem Halleschen Parteitag und danach eindeutig gegen Waffenlieferungen ausgesprochen hat, möchten wir auf Äußerungen von ihm eingehen, die er am 23. August in einem nd-Interview machte und die wir nicht unkommentiert lassen wollen. Er sagte: »Beim Thema Ukraine zum Beispiel gibt es nicht die einfache Antwort. Nicht jeder, der für Waffenlieferungen ist, ist gleich ein Kriegstreiber und nicht jede, die dagegen ist, gleich Putinfreundin. … Die wichtige Frage ist gar nicht ›Waffenlieferungen ja oder nein?‹ sondern: Wie kommst du zu Diplomatie?« Weiter Jan van Aken: »Da ist noch nicht alles versucht worden, deshalb bin ich gegen Waffenlieferungen. Ich bin aber auch dagegen, die Waffenlieferungen abrupt zu stoppen und zu sagen, jetzt ist Frieden, die Ukraine muss ihr verlorenes Land abgeben.«[3]
Wir wiederholen es: Doch, liebe Genossinnen und Genossen, die Frage »Waffenlieferungen – ja oder nein?« ist die wichtige, ja die entscheidende Frage und nicht diejenige, wie Befürworter oder Ablehner von Waffenlieferungen tituliert werden. Es geht auch nicht, gegen Waffenlieferungen zu sein, ohne sie übergangslos – ein anderes Wort für abrupt – zu stoppen. Wir werden uns der Diskussion stellen müssen, ob nicht die soeben wiedergegebene Position einleuchtend und die unsere hingegen dogmatisch sei. Ja, es klingt schlüssig, zu sagen, nicht die Frage der Waffenlieferungen sei wesentlich, sondern die, wie man zur Diplomatie käme. Doch diese anscheinende Plausibilität hat eine gewaltige Lücke in puncto Dialektik, die Parteipraxis betreffend. Wenn es in Anbetracht der Programm- und Beschlusslage nicht legitim ist, Waffenlieferungen zu fordern, und gleichzeitig erklärt wird, Programmwidrigkeit sei nicht so wichtig – und nichts anderes steckt hinter dieser scheinbaren Toleranz – dann geht es weiter wie bisher. Die Ergebnisse dieses Schlingerkurses liegen auf der Hand. Und dass Menschen in der Friedensfrage wissen wollen, wo sie dran sind, ist durch die Wahlerfolge z.B. des BSW durchaus belegt. Als Kommunistinnen und Kommunisten in der Linken bleiben wir dabei: Wir verteidigen das Parteiprogramm und aktuelle Beschlusslagen. Und wir werden in bevorstehenden programmatischen Debatten keinen Deut von den programmatisch derzeit geltenden friedenspolitischen Grundsätzen abweichen. Die immer wieder aufgestellte Behauptung, das im Jahr 2011 beschlossene Parteiprogramm sei durch die Zeit überholt, entspricht deshalb nicht den Realitäten, weil eineinhalb Jahrzehnte später die im Programm fixierten friedenspolitischen Prinzipien aktueller denn je sind. Wer das heute infrage stellt, verbirgt die eigentliche Absicht. Die besteht darin, der NATO zukünftig verteidigungspolitische Legitimität nicht länger abzusprechen und sich zur Westbindung der BRD zu bekennen. Damit verlöre Die Linke weitgehend ihren antimilitaristischen Charakter. Zumindest der alte Parteivorstand wollte die Partei schon einmal entsprechend orientieren. Davon zeugte der Umgang mit dem Antrag »Schluss mit der Kanonen-statt-Butter-Politik«. Dieses sich ohne Wenn und Aber gegen das Wiedererstarken des deutschen Militarismus richtende Papier sollte durch einen Ersetzungsantrag politisch enorm entschärft werden. Es sei daran erinnert: Der Ersetzungsantrag erhielt nicht die erforderliche Mehrheit und der ursprüngliche ebenfalls nicht. Damit gab es keinen entsprechenden Parteitagsbeschluss.
Die Erinnerung an die Blutspur des deutschen Militarismus stört das schöne Bild vom geläuterten Deutschland
Ist also nichts geschehen? Hätten wir es auch lassen können mit dem von uns initiierten, sehr breit getragenen Antrag? Nein, es war absolut richtig, ihn so, wie er war, zu stellen. Erstens, weil er breit getragen wurde. Zweitens weil vierzig Prozent Zustimmung für unseren Antrag bei sehr vielen neuen, jungen Delegierten keine Kleinigkeit war. Drittens, weil die Positionen des alten Parteivorstandes auch keine Mehrheit fanden und viertens, weil der Ersetzungsantrag entlarvend war; so fiel den weitgehenden Streichungen auch folgende Textstelle zum Opfer:
»Der deutsche Militarismus hat im vergangenen Jahrhundert maßgeblich nicht nur unseren Kontinent zweimal ins Verderben gestürzt. Sowohl im Zusammenhang mit dem Ersten als auch dem Zweiten Weltkrieg sahen die hierzulande Herrschenden in der militärischen Gewalt das wichtigste Mittel zur Lösung außenpolitischer Fragen. Das kostete im Ersten Weltkrieg mehr als 15 Millionen Menschen das Leben. Der deutsche Faschismus machte den deutschen Militarismus zu einer unfassbar grausamen, chauvinistischen Ausgeburt des Völkerhasses und des Völkermords. Sechs Millionen europäische Jüdinnen und Juden wurden industriell ermordet. Eine halbe Million Sinti und Roma fielen dem Völkermord zum Opfer und 27 Millionen Bürgerinnen und Bürger der Sowjetunion überlebten den Vernichtungskrieg Hitlerdeutschlands nicht. Insgesamt kamen im Zweiten Weltkrieg mehr als 65 Millionen Menschen um.«
Warum soll an die in zwei Weltkriegen vom deutschen Militarismus begangenen monströsen Verbrechen nicht erinnert werden? Warum nicht an die mörderische Symbiose von Militarismus und Faschismus? Warum nicht an den Zusammenhang von Krieg und Völkermord? Gedankenlosigkeit? Wohl kaum. Wir haben es vermutlich vielmehr mit folgendem Denk-Muster zu tun: In unserer Gegenwart gibt es Demokratien. Da haben die Guten das Sagen. Zu denen gehört das geläuterte Deutschland. Dann gibt es die Autokratien. Da haben die Bösen das Sagen. Zu denen gehören Russland und China. Blöderweise sind diese Länder in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts von zwei heute lupenreinen Demokratien, Deutschland und Japan, grauenhaft massakriert worden. Beide lupenreinen Demokratien müssen sich derzeit kriegstüchtig machen, weil ihre damaligen Opfer sie jetzt massiv bedrohen. Das wird uns jedenfalls von morgens bis abends erzählt. Die Erinnerung an die Blutspur des deutschen Militarismus stört das schöne Bild von dem geläuterten guten Deutschland und stört auch die zunehmend kritiklosere Befürwortung der angestrebten Westbindung und NATO-Verharmlosung. Man weiß um die Wirksamkeit von Traditionslinien und spricht daher nicht so gerne darüber. Umso mehr sind wir verpflichtet, Geschichtsvergessenheit nicht zuzulassen.
Wir müssen ohne Wenn und Aber aussprechen, dass der deutsche Militarismus nicht nur in der Geschichte den Weltfrieden bedrohte und zwei Weltkriege vom Zaun brach, sondern auch gegenwärtig im Bündnis mit der sich im Schlepptau des aggressiven US-Imperialismus befindlichen NATO aktiv an Kriegsvorbereitungen arbeitet. Wir müssen unmissverständlich sagen, dass zur Herstellung deutscher Kriegstüchtigkeit, die regelmäßig von deutschen Politikern und der Bundeswehr-Generalität gefordert wird, nicht zuletzt die ideologisch-psychologische Kriegsvorbereitung gehört.
Auch in diesem Punkt kann der deutsche Militarismus unserer Tage an beängstigende Traditionen anknüpfen. Manfred Weißbecker schrieb in der jW vom 31. August 2024 anlässlich des 85. Jahrestages des Beginns des Zweiten Weltkrieges:
»Einen entscheidenden Beweis für die unter den Deutschen vorherrschende Kriegsfurcht, eine fehlende Kriegswilligkeit, hatte Hitler ein knappes Jahr zuvor selbst geliefert. Erhalten blieb der Text einer Rede, die er am 10. November 1938 vor rund 400 Pressevertretern gehalten hatte. Diese Rede darf als ein enthüllendes und die Nazis bloßstellendes Schlüsseldokument gelten. In ihrem Mittelpunkt stand ›die Aufgabe einer langsame(n) Vorbereitung des deutschen Volkes‹ auf einen Krieg. Offenherzig bekannte Hitler, ›jahrzehntelang fast nur vom Frieden‹ geredet zu haben, weil ›nur unter der fortgesetzten Betonung des deutschen Friedenswillens und der Friedensabsichten‹ eine Aufrüstung möglich gewesen sei. Weiter heißt es: ›Es ist selbstverständlich, dass eine solche jahrzehntelang betriebene Friedenspropaganda auch ihre bedenklichen Seiten hat; denn es kann nur zu leicht dahin führen, dass sich in den Gehirnen vieler Menschen die Auffassung festsetzt, dass das heutige Regime an sich identisch sei mit dem Entschluss und dem Willen, den Frieden unter allen Umständen zu bewahren.‹ … Hitler warnte davor, zu viel Gerede über den Frieden könne ›nur zu einer falschen Beurteilung der Zielsetzung dieses Systems führen‹. Nein, es würde … ›vor allem auch dahin führen, dass die deutsche Nation, statt den Ereignissen gegenüber gewappnet zu sein, mit einem Geist erfüllt wird, der auf die Dauer als Defaitismus gerade die Erfolge des heutigen Regimes nehmen würde und nehmen müsste‹.« Goebbels sagt es zu Kriegsbeginn 1939 weniger kryptisch. »Die ›seelische Bereitschaft‹ der Massen sei eine Bedingung für den Krieg, ›wie lange er auch dauern sollte‹.«[4]
Noch einmal zurück zur Rede Adolf Hitlers am 10. November 1938. An jenem Tag ging von 1.400 deutschen Synagogen und Gebetsräumen noch der Brandgeruch aus. Tausende jüdische Geschäfte, Wohnungen und Friedhöfe wurden am 9. November 1938 gestürmt und zerstört. 300 jüdische Menschen nahmen sich in der Pogromnacht das Leben und 30.000 wurden in Konzentrationslager deportiert. Auch das – und nicht zuletzt das – war Kriegsvorbereitung. Krieg gegen andere Länder beginnt stets mit Krieg im Innern; gegen all jene, die zu Feinden erklärt werden, die von der Propaganda entmenschlicht werden. Egal, ob sie widerständig sind, wie z.B. Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter oder Christen, oder ob sie einfach nur zu Gegnern gemacht werden – in diesem Falle aus so genannten rassischen »Gründen«. Der erste Feind, gegen den man sich völkisch zusammentut, lebt im eigenen Land. Heutzutage tut sich das bürgerliche Parteienspektrum unter faktischer Führung der AfD völkisch gegen Menschen mit Migrationshintergrund zusammen, zuvörderst gegen Asylbewerber und Flüchtlinge. Die Wucht dieser hasserzeugenden Propaganda ist so gewaltig, der Diskurs in Deutschland ist rassistisch derart aufgeheizt, dass eine generelle ausländerfeindliche Stimmung erzeugt wird. Die geht einher mit hemmungsloser Verbreitung von Russenhass.
Es ist unglaublich, was wir da schlucken sollen
Soll das alles ein Vergleich der Bundesrepublik Deutschland mit Hitlers Reich sein? Natürlich nicht. Das wäre eine Verharmlosung des deutschen Faschismus. Andererseits scheuen wir uns nicht, zu sagen: Der deutsche Militarismus ist kein anderer geworden. Die Rüstungsschmiede Rheinmetall, stellvertretend für andere genannt, ist keine andere geworden, und deutsche Kriegstüchtigkeit war nie defensiv und wird es auch zukünftig nicht sein. Wie lange in Anbetracht der Kriegsvorbereitungen die Reste der bürgerlichen Demokratie, die auch wir verteidigen, noch funktionieren, wissen wir nicht. Die jüngsten Wahlergebnisse sind rote Warnleuchten. Wir haben uns hierzu in der Erklärung »Erste Überlegungen der KPF nach den EU-Wahlen« sowie in der »Erklärung der KPF zu den Ergebnissen der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen« geäußert und möchten auf Wiederholungen verzichten. Auch wenn es mancherorts, nicht nur hierzulande, nicht alle verstehen: Faschisten waren nicht nur in der Vergangenheit gefährlich und sind es nicht nur in der Ukraine.
Im Zusammenhang mit den Debatten über eine Verharmlosung der NATO sei noch auf eine weitere Argumentationslinie verwiesen. So fixiert Martin Schirdewan im nd-Artikel »Zukunft der Linken: Eine sozialistische Gestaltungspartei«[5] am 20. August 2024, wie er sich den zukünftigen Umgang mit den friedenspolitischen Grundsätzen der Linken vorstellt.
Tatsächlich stünde Die Linke spätestens jetzt vor einer Richtungsentscheidung. Die Frage sei, so Schirdewan: »Nehmen wir als moderne linke Partei die Herausforderungen einer krisenhaften Weltordnung an und wollen sie glaubwürdig gestalten oder versuchen wir, ihnen aus dem Weg zu gehen?« Dann erfolgt eine längere, nennen wir es »Umschreibung« dessen, was Schirdewan unter glaubwürdiger Gestaltung einer krisenhaften Weltordnung versteht.
Um Kryptisches bereinigt, sei eine knappe Zusammenfassung dieser »Umschreibung« versucht. In wahlentscheidenden Fragen, so Schirdewan, wirkten wir abstrakt oder naiv. Wir müssten auch sehen, wofür die Linke nicht gewählt wurde. Da stünde die Außenpolitik (sic!) ganz oben. Wir blieben, so Schirdewan weiter, – auch friedenspolitisch – bei unseren Grundwerten, müssten diese aber »politisch wirksam, konzeptionell glaubwürdig und uns weniger angreifbar machen«. Glaubwürdig sei die Linke, wenn sie die Bedrohung durch Putins Regime als real betrachtet und die Notwendigkeit der Abschreckung akzeptiert. Davon leite sich eine linke Vision einer eigenständigen EU-Sicherheitspolitik ab – statt weiter im Windschatten der USA und ihrer Interessenpolitik zu segeln. Wir brauchten ein plausibles Sicherheitskonzept jenseits des Dogmatismus. Die Lösung: Strikt auf Landesverteidigung und Nichtangriffsfähigkeit verpflichtete EU-Armeen. Mittelfristig, so Schirdewans Fazit, brauchten wir Abschreckung und damit sich kein militärisch-industrieller Komplex mehr an Konfrontation und Eskalation bereicherte, würde die Rüstungsindustrie verstaatlicht.
Es ist unglaublich, was wir da schlucken sollen. Eine verstaatlichte Rüstungsindustrie? Eine irrwitzige Vorstellung; Rheinmetall-Chef Pappberger liefe Gefahr, sich totzulachen, läse er das nd. EU-Armeen, die strikt auf Landesverteidigung und Nichtangriffsfähigkeit verpflichtet sind? Nur Österreich und die Inselstaaten Irland, Malta und Zypern sind nicht in der NATO. Will Schirdewan die NATO-Verpflichtungen – also die BRD-Staatsräson – mal eben außer Kraft setzen, oder existiert sie gar nicht mehr, weil er dieses aggressive Bündnis im gesamten Artikel nicht einmal erwähnt? Gibt es für ihn die Bedrohung der EU durch, wie er es nennt, »Putins Regime«, nicht aber die Bedrohung Russlands durch die komplette Einkreisung seiner und der Belorussischen Westgrenzen durch die NATO? Wir sind – gemeinsam mit vielen andern – überzeugt: Ohne diese wortbrüchige Einkreisungspolitik und die Bereitschaft, die Ukraine in die NATO aufzunehmen, gäbe es den Ukrainekrieg wohl nicht. So schreiben Günter Verheugen und Petra Erler in ihrem Buch »Der lange Weg zum Krieg: Russland, die Ukraine und der Westen – Eskalation statt Entspannung«, man müsse Russland »legitime Sicherheitsinteressen« zugestehen – »und ja, damit ist auch die Ausdehnung der NATO bis vor Russlands Haustür gemeint, deren Bedrohlichkeit der Westen partout nicht anerkennen möchte«. Und an anderer Stelle heißt es bei Verheugen und Erler: »So wie Russland völkerrechtswidrig den Krieg wählte, um nationale Ziele zu erreichen, wählten USA, NATO und EU die Kriegsverlängerung, um politische Interessen durchzusetzen. Die Ukraine fügte sich dem Spiel. Damit folgt der Krieg seinen eigenen Regeln der Eskalation«[6].
Der deutsche Militarismus erhebt erneut sein Haupt
Wir wiederholen: Ja, Russlands Ukraine-Krieg ist völkerrechtswidrig. Wir scheuen uns nicht, das auszusprechen. Vielmehr scheuen sich manche führende Linken-Mitglieder, über die Ursachen dieses Krieges zu sprechen. Und sie scheuen sich, darüber nachzudenken, welche durch geschichtliche Erfahrungen gerade mit dem deutschen Militarismus ausgelösten Traumata bis in die heutige Generation hinein prägend sind: In allen früheren Sowjetrepubliken und gerade unter Russen sowie in Belorussland. Und die Menschen dort erleben nun erneut deutschen Hass, der verschwunden schien, der im Osten, wie immer noch zu bemerken ist, auch weitgehend verschwunden war, und dessen Verbreitung nun, angeblich wegen des Einmarsches der Russen in die Ukraine, wieder fröhliche Urstände feiert. Die US-Army konnte seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges machen, was sie wollte: In Korea, in Vietnam, im Irak, in Afghanistan und sonst wo noch. Sie konnte die mörderischsten Putsche mitorganisieren, beispielsweise in Indonesien und in vielen lateinamerikanischen Staaten; zu keinem Zeitpunkt wurde in den BRD-Medien Hass gegen die USA gesät, wurden US-amerikanische Sportler von internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen oder wurden gar Wirtschaftssanktionen verhängt. Und weil das so ist und weil wir nicht geschichtsvergessen sind, stellen wir uns der Russophobie und jeglichem Geschichtsrevisionismus konsequent entgegen. Dazu gehört auch, dass wir offen sagen: Wir halten es für Kriegspropaganda, Russland zu unterstellen, es bereitete einen Angriff auf Deutschland vor. In Anbetracht der deutschen Geschichte sind derartige Unterstellungen mehr als perfide. Doch der Geschichtsrevisionismus entfaltet sich mit großem Tempo. Ein Beispiel soll für viele stehen.
Die Wehrmacht, dazu hatte man sich nach vielen Vorfällen durchgerungen, galt bis dato im Kontext mit einem Traditionserlass der Bundeswehr als nicht traditionswürdig. Doch im sogenannten Verteidigungsministerium fanden sich unlängst welche, die diesen Erlass erweiterten und Militärs in die Traditionslinie aufnahmen, die die Bundeswehr mitbegründeten, einst aber in Wehrmacht, SS und NSDAP aktiv gewesen waren. Gemeint waren nicht Graf Stauffenberg und seine Mitverschwörer. Vielmehr ist im erweiterten Erlass »von Bewährung im Gefecht die Rede, von militärischer Exzellenz und tapferem Dienen«. Natürlich: Eine fanatische Truppe, die unter dem Motto agierte »Den Tod nehmen, den Tod geben« muss militärisch exzellent gewesen sein. Wer weiß schon noch, dass diese SS-Mörderbande in Nürnberg zur verbrecherischen Organisation erklärt wurde. Ein paar Menschen wohl doch noch. Und so wurde – nach entsprechender Kritik – zunächst die Erweiterung des Traditionserlasses der Bundeswehr zurückgenommen. Die Rehabilitierung exzellenter Offiziere aus Wehrmacht und SS wurde zurückgestellt. Sie kam zu früh. Nicht zu früh kommt Pistorius mit seiner Forderung nach deutscher Kriegstüchtigkeit, nicht zu früh kommt ein »Verteidigungs«-Etat von 90 Milliarden Euro im laufenden Jahr. Nicht zu früh kommt die Ankündigung, auf deutschem Boden US-amerikanische Mittelstreckenraketen zu stationieren, die in wenigen Minuten Moskau erreichen und somit Deutschland im Fall der Fälle zum atomaren Kriegsschauplatz machten. All das und vieles andere mehr ist hierzulande gefährliche Realität geworden. Mittlerweile ist bereits die Rede davon, 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Militärausgaben aufzuwenden. Das wären 124 Milliarden Euro. Der deutsche Militarismus erhebt erneut sein Haupt, so als hätte es die monströsen deutschen Verbrechen im Ersten und in unbeschreiblicher Weise im Zweiten Weltkrieg nie gegeben.
Nicht um den heißen Brei herumreden
Es ist wichtig, dass auf dem Halleschen Parteitag der von unserem Genossen Artur Pech initiierte Dringlichkeitsantrag mit großer Mehrheit angenommen wurde, die Unterstützung des gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen gerichteten Berliner Appells betreffend. Ebenso war es wichtig, dass – dazu waren zwei Sitzungen erforderlich – der von der KPF sowie Christine Buchholz, Margit Glasow und Jan Richter eingereichte Antrag, die Friedensdemonstration am 3. Oktober 2024 zu unterstützen, vom alten Parteivorstand angenommen wurde. Es ist auch gut, dass von den vier durch die KPF eingereichten Änderungsanträgen an den Leitantrag drei angenommen wurden. Nachdem ursprünglich in dem abschließenden Teil des Leitantrages, der sich auf die zentralen Themen des Bundestagswahlkampfes fokussiert, der Frieden nicht einmal als Begriff auftauchte, heißt es jetzt:
»Zentral ist dabei nicht minder der Kampf um die Erhaltung des Weltfriedens sowie gegen die in rasantem Tempo fortschreitende Militarisierung, die alle Bereiche der deutschen Gesellschaft durchdringt. Wir kämpfen gegen die Stationierung modernster US-amerikanischer Waffensysteme auf deutschem Boden, die in Minuten Moskau erreichen können. Deutschland würde im Fall der Fälle zum Ziel russischer Atomraketen werden. Wir sind, gerade in unserer Zeit, für die im Parteiprogramm geforderte Auflösung der NATO. Wir sind ohne Wenn und Aber gegen Waffenlieferungen in die Ukraine und nach Israel. Wir sind ohne Wenn und Aber für diplomatische Lösungen überall in der Welt, wo Kriege Menschenleben kosten und Länder zerstören. Von deutschem Boden darf kein Krieg ausgehen und darf kein Völkerhass verbreitet werden: Kein Antisemitismus, kein Rassismus und keine Russophobie. Deutschland trägt die entscheidende Verantwortung für zwei Weltkriege und millionenfachen Völkermord. Das verpflichtet in besonderer Weise zur Friedensliebe und zur Völkerfreundschaft.«
Wir überschätzen diese Ergebnisse unseres gemeinsam mit anderen Parteilinken geführten Kampfes nicht. Aber, wir sind auch nicht bereit, uns ausschließlich über das unsägliche Abstimmungsverhalten von Carola Rackete zu erregen und zu übersehen, dass es durchaus entgegengesetzte Tendenzen in unserer Partei gibt. Schimpfen kostet nur Nerven, Fortschritte zu erzielen kostet Nerven und sehr viel Arbeit. Aufwand und Ergebnis stehen oft in keinem Verhältnis zueinander. Und doch gibt es für uns nur diesen Weg. Wir müssen unsere eigenen Positionen immer wieder qualifiziert öffentlich machen und uns der Abstimmung in der Partei stellen und wir müssen, bezogen auf einige in der Linken, die eine ganz andere Richtung anstreben, der Überlegung folgen, die Ulrike Meinhof zugeschrieben wird: »Wir können sie nicht zwingen, die Wahrheit zu sagen; aber wir können sie zwingen, immer unverschämter zu lügen.« Wesentliche Voraussetzung dafür ist, genau die Positionen und taktischen Finessen all jener zu kennen, die den Eindruck erwecken, am Erhalt unserer friedenspolitischen Prinzipien nicht länger interessiert zu sein.
Wir müssten, so hören wir in regelmäßigen Abständen, an unserer programmatischen Weiterentwicklung arbeiten, und wir müssten strategische Entscheidungen treffen; das sei unaufschiebbar. Welche strategischen Entscheidungen anstehen, wird offengelassen. Warum agiert man so? Weil man grundlegende Veränderungen ankündigen will und gleichzeitig im Dunkeln bleiben soll, welche das sein sollen. Später dann kann man sagen: Wir haben doch kein Geheimnis daraus gemacht, dass es anders werden muss. Man will aber die Auseinandersetzung darüber, ob das von großen Teilen in der Partei so gewollt ist, nicht führen. Denn man ist sich sicher: Dann wird es schwierig. Man weiß ja schließlich, dass die bundeswehr- und atomwaffenfreundliche, in sozialen Fragen reaktionär agierende, faschistoide AfD nicht zuletzt so viele Stimmen erhielt, weil sie sich – mit völkischem Bezug – gegen die Ukraine-Politik des deutschen Establishments stellt. Gegen diese Ukraine-Politik steht auch das BSW. Bekanntermaßen hat nicht zuletzt dies die Linke bei den EU-Wahlen eine knappe halbe Million Stimmen gekostet, die an das BSW gingen. Wie konsequent das BSW bei seinen friedenspolitischen Positionen bleibt, wird sich zeigen. Vertrauenserweckend sind bestimmte Aussagen in den Koalitionsverträgen in Brandenburg und Thüringen nicht. Nehmen wir nur eine Formulierung heraus:
»Wir stimmen darin überein, dass für Frieden und Sicherheit die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes von großer Bedeutung ist und die Fähigkeit der Bundeswehr zur Verteidigung gestärkt werden muss. Deswegen stehen wir zur Bundeswehr und ihren Standorten in Brandenburg. Wir unterstützen die Entwicklung dieser Standorte, den Ausbau der zivilen Infrastruktur sowie die Ansiedlung entsprechender Wirtschaftsunternehmen.«[7]
Zurück zur Linken: Wir dürfen nirgendwo zulassen, dass gerade in der Friedensfrage um den heißen Brei herumgeredet wird. Sowohl in den Debatten um das Bundestagswahlprogramm als auch später – nach den Bundestagswahlen – in den programmatischen Diskussionen muss Transparenz gewährleistet werden. Das ist zugleich die entscheidende Voraussetzung für kulturvoll verlaufende Auseinandersetzung.
Die KPF wird sich, ausgehend von der Beschlusslage, deren Notwendigkeit wir infrage stellen, aber die nun einmal gilt, aktiv an der bevorstehenden Programmdebatte beteiligen. In unserer täglichen Arbeit konzentrieren wir uns ebenso wie in programmatischen Diskussionen auf folgende Schwerpunkte.
Die Linke muss hör- und sichtbar wieder stärker als Friedenspartei erkennbar sein. Sie muss ihren Widerstand gegen die forcierte Militarisierung Deutschlands und die damit verbundene extreme Aufrüstung massiv verstärken. Unsere antifaschistische und friedenspolitische Verpflichtung – nicht zuletzt in den Wahlkämpfen der kommenden 84 Tage – ist es, gegen die stetig wachsende und mit zunehmend völkischer Ideologie verbundene Kriegshysterie, Aufklärung über wirtschaftliche und politische Interessen zu setzen. So ungeheuer schwer das auch ist.
Die Luxemburg-Liebknecht-Demonstration muss eine kraftvolle werden
Ein weiterer Schwerpunkt unseres Wirkens gerade im laufenden Wahlkampf ist, über den untrennbaren Zusammenhang zwischen Kriegsvorbereitungen und den zunehmenden sozialen Verwerfungen auch hierzulande aufzuklären. Zu nutzen sind auch reaktionäre Äußerungen, wie die folgende von Jasper von Altenbockum in der FAZ vom 15. März 2024[8]: »Wenn jahrzehntelang das eine, das Soziale bevorzugt wurde, kommt der Augenblick, in dem das andere, die Verteidigung Maßstäbe setzt.« Von Altenbockum fordert, dass »Schluss sein muss« mit einer Politik, die »alle Ansprüche gleichermaßen befriedigt« – darunter »spendable Projekte« wie »Kindergrundsicherung, Bürgergeld, Rentenversprechungen«. Das ist Zynismus in Reinkultur. Als seien es Spenden und nicht die erarbeiteten Steuergelder, mit denen Sozialpolitik finanziert wird. Die Herstellung von Kriegstüchtigkeit zerstört die Öffentliche Daseinsvorsorge, lässt die Mittel für Wohnungen, Schulen, Krankenhäuser, für Bildung und Kultur, für Erwerbslosenunterstützung noch weiter schrumpfen und gefährdet auf Dauer auch das Rentenniveau all jener, die bisher noch mit ihrer Altersversorgung zufrieden sein können. Denn 85 Milliarden Euro jährlich für Aufrüstung und Waffenlieferungen sollen bereitgestellt werden.
Die Linke muss Schluss machen damit, die sozialen Probleme mehr oder weniger unabhängig von den Rüstungsausgaben behandeln zu wollen. Kriegsvorbereitungen und die daraus resultierenden Folgen, nicht zuletzt auf sozialem Gebiet, sind kein Thema, das taktischen Wahlerwägungen untergeordnet werden kann. Nicht zuletzt der tobende Wirtschaftskrieg und die daraus folgende extreme Steigerung der Energiepreise macht – wir gebrauchen hier ausnahmsweise diesen Begriff – den »Wirtschaftsstandort Deutschland« kaputt. Spätestens das Vorgehen des VW-Konzerns wirft ein Schlaglicht auf diese Tatsache. Und VW ist keine Ausnahme. Die Liste der Konzerne mit massivem Stellenabbau wird immer länger. Thyssenkrupp, Bosch, Ford, diverse Zulieferer der Autoindustrie. Beinah täglich kommen neue Hiobsbotschaften hinzu. Es wird sich in absehbarer Zukunft zeigen, ob zum Beispiel die »Kampfansage von historischem Ausmaß«[9], wie es der VW-Betriebsrat bezeichnet, eine klassenkämpferische Antwort erhält, nicht nur bei VW, oder ob die Entwicklungen zunehmen werden, die es dem Staat erlauben, Klassenkämpferisches zunehmend zu unterdrücken und das Völkische in das Zentrum staatlichen Agierens zu rücken; mit allen Konsequenzen, die das zur Folge hätte. Wir wollen teilhaben an den Klassenkämpfen, nicht zuletzt auf der Straße. Die Luxemburg-Liebknecht-Demonstration, die die KPF als Teil des Bündnisses mit vorbereitet und am 12. Januar 2025 mitgestaltet, muss eine antikapitalistische, antimilitaristische, antifaschistische und antirassistische Manifestation werden, getragen vom Gedanken der internationalen Solidarität und des Kampfes für eine sozialistische Zukunft. Und wir sagen es offen: Wir rechnen mit Provokationen. Die Auflagen der Polizei müssen uns nicht gefallen. Aber wer dagegen verstößt, riskiert, dass die Demonstration zerschlagen wird. Das wäre in Anbetracht der größten linken Manifestation in Deutschland ein Erfolg der Herrschenden. Das kann niemand wollen und wir appellieren daher an die Disziplin aller Demo-Teilnehmenden. Wir müssen viele werden. Bitte mobilisiert in Euren Bundesländern zur LL-Ehrung zum Friedhof der Sozialisten nach Berlin-Friedrichsfelde.
Eine fünf Monate alte Erklärung
Es gibt viele Gründe, warum Die Linke – nicht zuletzt in den bevorstehenden Wahlkämpfen – wieder erkennbarer antikapitalistisch sein muss. In Wort und Tat. Wir halten es mit Gesine Lötzsch, die zwischen den Europawahlen im Juni und den Landtagswahlen im September in einem Interview auf die Frage »Hat Die Linke noch eine Zukunft?« antwortete: »Auf jeden Fall! Wir müssen wieder unser Programm lesen, das wir 2011 in Erfurt beschlossen haben.« Das Programm sei 13 Jahre alt, erwiderte der Interviewer. Gesines Reaktion: »Ja, es hat sich in der Zeit sehr viel verändert, doch einige wesentliche Dinge haben sich nicht verändert und um die geht es.« Dann zitiert sie aus der Präambel unseres Programms: »Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der kein Kind in Armut aufwachsen muss, in der alle Menschen selbstbestimmt in Frieden, Würde und sozialer Sicherheit leben und die gesellschaftlichen Verhältnisse demokratisch gestalten können. Um dies zu erreichen, brauchen wir ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem: den demokratischen Sozialismus.«
Auf den Einwurf »Das sind Ziele, die weit in der Ferne liegen…« reagierte Gesine mit den Worten: »Das wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass der Kapitalismus lebensgefährlich ist. Wir leben in einem Gesellschaftssystem, das die Umwelt zerstört, Kriege führt und Arme immer ärmer und Reiche immer reicher macht. Das müssen wir ändern.«
Besonders der rechte Flügel der Partei will solche Änderungen mit offen prokapitalistischen und antikommunistischen Positionen verhindern. Wir gehen an dieser Stelle auf eine fünf Monate alte Erklärung des Netzwerkes »Progressive Linke« näher ein. Nicht, weil sie in den Debatten der letzten Zeit, so auf dem Halleschen Parteitag, eine wahrnehmbare Rolle spielte. Das scheint uns taktischen Erwägungen geschuldet. Wir sind vielmehr sicher, dass das Netzwerk »Progressive Linke« hier Vorarbeit für die programmatische Debatte geleistet hat. In ihrem Papier »Mut statt Angst – für eine erkennbare, demokratische, moderne Linke in Deutschland und Europa!«[10] vom 25. Juni 2024 heißt es unter anderem: »Eigentlich müsste sie (Die Linke) um politische Mehrheiten ringen, um die Demokratie und ihre Errungenschaften zu verteidigen und auszubauen, fortschrittliche Veränderungen zu beschleunigen und dabei sozialen Ausgleich zu gewährleisten.« Zwar heißt es kurz darauf, die Linke müsse aufzeigen, an welche strukturellen und systematischen Grenzen die bestehende Wirtschafts- und Eigentumsordnung dabei stoße und wie diese Grenzen verschoben und überwunden werden könnten – aber welchen Wert hat eine solche Feststellung, wenn sie sich um die konkrete Benennung der Eigentumsfrage herummogelt. Diese Mogelpackung hat mindestens zwei Gründe. Zum einen soll auf Teufel komm raus vermieden werden, das auf kapitalistischem Eigentum beruhende gesellschaftliche System infrage zu stellen. Und zum anderen ist der Verzicht auf das Stellen der Eigentumsfrage zugleich der Verzicht darauf, die Legitimation des europäischen sozialistischen Versuchs des vergangenen Jahrhunderts zu bejahen. Das wird natürlich nicht offen gesagt. Aber umschrieben liest sich das so:
»die (…) im 20. Jahrhundert erwachsende Systemkonkurrenz war zentrale Voraussetzung zur ›Sozialisierung‹ des Kapitalismus. Es entstanden parlamentarische Demokratien mit kapitalistischer Eigentumsordnung und wohlfahrtsstaatlichen Sicherungs- und Umverteilungssystemen«. Mit anderen Worten: Der frühe Sozialismus hat den Kapitalismus – zumindest in Westeuropa und Nordamerika – auch für jene erträglicher gemacht, deren entscheidendes Eigentum ihre Arbeitskraft ist, die sie halbwegs günstig verkaufen konnten. Diesen Zusammenhang, der nur von Ignoranten geleugnet werden kann, kann die »Progressive Linke« natürlich nicht so stehen lassen. Ergo wird in dem Papier formuliert: »Die kommunistische Bewegung ersetzte Demokratie, Gewaltenteilung und bürgerliches Recht durch das Konzept der historischen Mission der Arbeiterklasse, ihrer Avantgarderolle und nicht zuletzt ihrer Diktatur. Wo kommunistische Parteien die Staatsgewalt eroberten, wurde aus der Losung ›Sozialismus oder Barbarei‹ viel zu oft stalinistische Barbarei«.
Hier wird die Katze aus dem Sack gelassen
Soweit das analysefreie, vor Unwissenheit bzw. Ignoranz strotzende Geschwätz über den gewesenen europäischen sozialistischen Versuch. Im Kontext mit dem Kapitalismus kommt die Barbarei trotz zweier Weltkriege, trotz der Shoa, trotz Hiroshima und Nagasaki und trotz weltweit mindestens 60–65 Millionen Menschen, die nach Ende des Zweiten Weltkrieges durch Kriege umgekommen sind, nicht vor. Das stellt die Urteilsfähigkeit der Autoren infrage, die entweder keinerlei Erfahrungen mit der DDR gemacht haben oder aber aus Opportunitätsgründen ein völlig einseitiges Bild der DDR propagieren. Es geht denen auch nicht um Analyse – die all die nichtsozialistischen Züge des gewesenen Sozialismus gar nicht leugnen darf – es geht denen um dessen uneingeschränkte Denunziation. Im Papier klingt das so: Es braucht »den Bruch mit Ideologie und Praxis des ›Leninismus‹ sowie gleichartigen Ideologien und die Anerkennung der Ergebnisse beider historischer Bewegungen, der Aufklärung und der Arbeiterbewegung. Sie sind zivilisatorische Errungenschaften und Anknüpfungspunkte für linke demokratische Politik: Humanistische Standards beruhen sowohl auf der demokratischen Begrenzung von Macht als auch auf der sozialen Begrenzung des Kapitalismus.«
Hier wird die Katze endgültig aus dem Sack gelassen. Der Kapitalismus kann bleiben, aber sozial begrenzt. Das wird festgestellt wider jegliche Alltagserfahrungen mit einem sich sozial immer mehr entgrenzenden Kapitalismus. Es erhebt sich die Frage: Wozu das Ganze in Anbetracht dessen, dass es den europäischen Sozialismus seit mehr als drei Jahrzehnten nicht mehr gibt? Die Antwort geben die sich progressiv nennenden prokapitalistischen »Linken« selbst. Sie schreiben: »Eine demokratische Linke muss stalinistische Verbrechen aufarbeiten und die Verletzung von Menschenrechten durch Regierende demokratischer Staaten klar kritisieren. Sie wird sich niemals mit Diktatoren oder Terrororganisationen solidarisieren.« Das ist die gerade Linie von der Totaldenunziation des europäischen sozialistischen Versuchs und der Verharmlosung der kapitalistischen Ausbeutung hin zur Aufteilung der Welt in böse und liebe Staaten.
Für die Protagonisten der Progressiven Linken und deren Unterstützer gilt die seit einigen Jahren üblich gewordene Aufteilung der Welt in demokratische und autoritäre Staaten; wir machen täglich die Erfahrung: Wer zu welcher Kategorie gehört, bestimmt der Mainstream des Westens. Argentinien wird sicher nicht mit Sanktionen belegt werden, um nur ein Beispiel zu nennen. Für die »Progressive Linke« ist ihre Lesart der Verteidigung der bürgerlichen Demokratie die letztlich zentrale Frage. Für deren Verteidigung gegen die immer stärker werdenden Faschisierungstendenzen sind nicht zuletzt wir. Aber – wogegen wir sein müssen, ist die Identifikation von Demokratie und Westen und die daraus sich ergebende Schlussfolgerung, dass für die Linke der Westen mit allem, was ihm zuzurechnen ist, z.B. die NATO, das menschenfreundlichste System ist. Es ist kein Zufall, dass im Papier ein klarer Schnitt »mit dem raunenden Antikapitalismus« gefordert wird. Stattdessen wird darauf verwiesen, dass es das bürgerliche Recht heute bei entsprechenden parlamentarischen Mehrheiten möglich macht, »für die Transformation zur ›Überlebensfähigkeit‹ bereits jetzt sowohl Marktfreiheiten und Eigentumsrechte wie auch Reichtum zu beschränken und zielgerichtet zu regulieren, um ihn für die notwendigen Veränderungen zu mobilisieren«.
Lebensfremder geht es nicht; trotz des Versuchs, diesen Voluntarismus dadurch zu übertünchen, dass gesagt wird, ohne starke soziale und gesellschaftliche Kämpfe ginge das nicht. Mit keinem Wort wird auch nur angedeutet, wer hierzulande die Interpretationshoheit über Begriffe hat. Es sind die gewaltigen, im Interesse der Bourgeoisie agierenden Medienkonzerne. Diese Konzerne bestimmen darüber, wer in den Augen sehr vieler von ihnen manipulierter Menschen zu den Guten und wer zu den Bösen gehört. Sie charakterisieren den Untergang des europäischen Sozialismus als einen Sieg der Demokratie, wenngleich auf der Hand liegt, dass es ein Sieg des Kapitals war. Tut nichts. Dann ist das Kapital eben demokratisch. Diese Lesart übernimmt die »Progressive Linke«, indem sie formuliert: »Die Selbstbefreiung der Bürger*innen in Osteuropa von der Diktatur ebnete den Weg dafür, dass sich ehemals kommunistische Linke mit den universellen Menschenrechten und der Demokratie versöhnen.« So kann man die Versöhnung mit dem Kapitalismus auch umschreiben. Gehört die Herstellung neuer deutscher Kriegstüchtigkeit mehr zu den universellen Menschenrechten oder eher zur Demokratie?
Wir sprechen es offen aus: Die »Progressive Linke« will eine andere Partei. Das »antikapitalistische Raunen« will die »Progressive Linke« nicht, und die inhaltliche Erneuerung, die sie fordern, zielt letztlich auf die Akzeptanz des Kapitalismus, den zu verbessern sie vermeintlich angetreten sind. Alles andere ordnet sich dem unter. Daher spielt auch das Thema Frieden für eine, wie sie es nennen »erkennbare, demokratische, moderne Linke in Deutschland und Europa« eigentlich keine Rolle. Das Wort Frieden kommt bei ihnen fünfmal vor; doch der Hauptfeind steht nicht mehr im eigenen Land und nicht in der NATO. Der Begriff Imperialismus taucht zweimal auf – einmal historisch als »Imperialismus europäischer Nationalstaaten« vor dem ersten Weltkrieg und aktuell ausschließlich im Zusammenhang mit Russland. Die USA vertreten »lediglich« ihre globalen Interessen. Die NATO gibt es nicht, und ebenso wenig kommt der wiedererstarkende deutsche Militarismus vor. Die Erneuerung deutscher Kriegstüchtigkeit scheint nicht zu stören. Das Thema wird nicht behandelt. Vor dem deutschen Militarismus wird – trotz der bereits erwähnten geschichtlichen Erfahrungen – mit keinem Wort gewarnt; dafür aber vor »Vorstellungen einer Friedenssicherung durch akzeptierende Politik gegenüber dem russischen Imperialismus«. Diese Blindheit hinsichtlich der Politik des Westens, von der das Papier zeugt, kann nicht unser politisches Herangehen und Handeln bestimmen. Gerade weil die »Progressive Linke« den endgültigen Abschied vom sozialistischen Charakter der Linken will; weil sie will, dass Die Linke letztlich eine prowestliche, NATO-freundliche Partei wird, werden wir immer für den antikapitalistischen Charakter unserer Partei kämpfen, damit sie unsere Partei bleiben kann. Gleiches gilt für unsere antifaschistischen Grundsätze.
Ein Schritt hin zu einer anderen Herrschaftsform des Kapitals
Heutzutage könnte man zu dem Schluss kommen, es gäbe eine breite antifaschistische Front von rechtskonservativ bis militant links. Der Begriff faschistisch wird beinahe inflationär gebraucht. Sollten wir uns nicht darüber freuen, die wir noch in den 90er Jahren auch in der eigenen Partei für die Verwendung dieses Wortes kritisiert wurden? Eine Relativierung der deutschen Schuld am Holocaust sei das; der Faschismus sei eine italienische Angelegenheit gewesen. Mit diesem billigen Bezug auf das faschistische Italien wurde sogar die Verwendung der Nazi-Selbstbezeichnung »Nationalsozialismus« gerechtfertigt. Ein Begriff von unbeschreiblicher Verlogenheit. Wie kommt es nun, dass es hierzulande heutzutage zum guten Ton gehört, über Faschismus zu reden und sogar den Begriff benutzen zu dürfen? Ist es Einsicht in die Gefahren, die drohen? Wir meinen: Das ist es eher nicht. Denn die drohenden Gefahren werden ja nicht unwesentlich von denjenigen mitproduziert, die vor ihnen warnen. Bellizismus ist per se rechts. Von Abschiebung in großem Stil zu reden, ist rechts. Lager für Asylsuchende in armen und nicht sehr human regierten Staaten errichten zu wollen, ist faschistoid. Menschen, die ausreisepflichtig sind, das Existenzminimum kürzen zu wollen, ist unmenschlich. Nach Afghanistan abzuschieben ist verbrecherisch – auch wenn es Kriminelle betrifft. Es ist ein Präzedenzfall – ein Fall für spätere Fälle. Da trifft es dann keine Mörder, sondern Menschen, die dreimal schwarzgefahren sind. Auch ein Straftatbestand.
All das und vieles andere mehr ist Regierungspolitik, und diese Regierung »sorgte« für asoziale Verhältnisse, die Menschen für faschistische Demagogie so anfällig machen können. Und ein Bundeskanzler Merz würde eine noch reaktionärere Politik betreiben. Worum geht es also? Der Begriff faschistisch wird verantwortungslos instrumentalisiert, um folgende Pseudotheorie – im Telegrammstil beschrieben – möglichst zur Massenstimmung zu machen: Faschisten und andere Extremisten hassen unsere Art, zu leben. Sie wollen unsere Demokratie abschaffen. Unsere Demokratie ist von innen und außen bedroht. Die Bedrohung von außen kommt von den autokratischen Staaten. Der weltweite Kampf zwischen Demokratien und Autokratien muss von den Demokraten gewonnen werden. Und wer steht an der Spitze der Demokraten: Die USA, die EU, die NATO und all diejenigen, die mit diesem westlichen Block verbunden sind. Alle, die für die Aufrechterhaltung der westlichen Vorherrschaft kämpfen, gehören zu den Guten, und alle, die sich dieser Vorherrschaft nicht beugen wollen oder gar widersetzen, sind die Bösen. Und wenn man Faschistin ist, wie die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, und der Ukraine Waffen liefert, ist man gut. Und wenn ein zweifelsfrei Rechter wie Orban vor der Gefahr des Dritten Weltkrieges warnt, ist er schlecht. Hinter der Botmäßigkeit oder auch Unbotmäßigkeit verschwindet der Postfaschismus, oder aber er wird hervorgehoben.
Wir können sehr gespannt sein, wie die Anhänger dieser »Demokratie versus Autokratie« Pseudotheorie mit dem umgehen, was sich derzeit in der westlichen Führungsmacht USA abzeichnet. Im nd vom 14. November 2024 heißt es im Kontext mit der US-Wahl zu den von Trump bekundeten Absichten und dem Horror-Kabinett, welches er zu deren Realisierung um sich versammelt: »Musks Ernennung kündigt Deregulierung, Gleichschaltung und politische Säuberungen an – sie ist ein Schritt hin zu einer anderen Herrschaftsvariante des Kapitals«.[11] Die Dimitroffsche Faschismus-Definition scheint doch nicht ganz falsch gewesen zu sein. Mit den furchteinflößenden gesellschaftlichen Entwicklungen in den USA nimmt die Bedeutung des antifaschistischen Kampfes hierzulande noch weiter zu. Und wir müssen uns dessen bewusst sein: Wer auch immer über Flüchtlinge und Asylbewerber als Verursacher der Probleme im Land redet, weil von Kapitalismus nicht die Rede sein soll, der befördert faschistoide Entwicklungen.
Für uns bleibt der demokratische Sozialismus das Ziel
Und noch etwas: Die inflationäre Verwendung des Begriffs Antifaschismus durch bereits genannte politische Kräfte ist das Einfallstor für eine nicht zu hinterfragende Definition der bürgerlichen Demokratie. Es geht gegen rechts, als sei rechts ein im freien Raum schwebendes Phänomen, als hätte Horkheimer nie gesagt: »Wer aber über Kapitalismus nicht reden will, sollte auch von Faschismus schweigen.«[12] Wir wissen um den Wert der bürgerlichen Demokratie und verteidigen sie gegen die Rechte, mehr als diejenigen, die sich als ihre Bewahrer aufspielen. Das ändert nichts daran, dass Tucholsky auch heute noch Recht hat mit seiner Feststellung aus dem Jahr 1929: »›Republikanisch‹ – das heißt allein noch gar nichts. … republikanisch ist heute so wenig politisches Programm wie der Monarchismus noch eines ist. Das ist vorbei. Zeige mir deine Wirtschaftsform, und ich werde dir sagen, wer du bist.«[13] Wir müssen diese Zusammenhänge aufdecken. Auf unserer Bundeskonferenz im April haben wir unsere bejahende Position zu den millionenfachen Protesten gegen Rechtsextremismus zu Beginn dieses Jahres dargelegt. Unsere heutigen Bemerkungen hierzu sind eine bekräftigende Ergänzung, kein Widerruf.
Wir sind und bleiben konsequente Antifaschisten, Kriegsgegner und Kämpfer für ein würdevolles Leben, welches eine Sozial- und Umweltpolitik voraussetzt, die Würde ermöglicht. Für uns bleibt der demokratische Sozialismus das Ziel, damit unsere Kinder und Enkel eine nachhaltige Chance für ein besseres Dasein erhalten. Alle Illusionen, gerade nach 1990, dass der Kapitalismus ein würdevolles Leben bieten kann, haben sich erledigt. Auch das müssen wir im laufenden Wahlkampf offen aussprechen. Als Kommunistinnen und Kommunisten in der Linken werden wir unsere ganze Kraft dafür einsetzen, bei den aus den bekannten Gründen bereits am 23. Februar 2025 bevorstehenden Bundestagswahlen so gut es nur geht abzuschneiden. Es geht nicht nur – und das wäre schon viel – darum, wieder in den Bundestag einzuziehen. Es geht womöglich um die Existenz unserer Partei. Und die wird gebraucht. Auch, wenn es manchmal nicht so aussieht. Wir möchten, dass auch der heutige Sprecherratsbericht Zeugnis davon ablegt, dass es lohnt, in der Linken und um die Linke zu kämpfen.
Jetzt steht der Wahlkampf im Mittelpunkt
Am 18. Januar 2025 findet in Berlin der Wahlparteitag statt. Auf der Sitzung des Parteivorstands am 7./8. Dezember wird der Entwurf des Wahlprogramms behandelt und bis zum 10. Dezember veröffentlicht, also auch der Parteibasis zugänglich gemacht. Bis zum 2. Januar 2025 können Änderungsanträge gestellt werden. Wir wollen hier nicht weiter darauf eingehen, dass es einigen Protagonisten der Linken lieber gewesen wäre, statt eines außerordentlichen Parteitages[14] einen sogenannten, in der Bundessatzung nicht vorgesehenen, kleinen Parteitag durchzuführen. Es ist gut, dass sich diejenigen durchgesetzt haben, die den Wahlkampf nicht mit einer Satzungswidrigkeit beginnen wollten. Auch daran haben wir als KPF, besonders durch das Wirken unserer Genossin Margit Glasow im Parteivorstand, einen Anteil. Zugleich sind Margit und weitere Mitglieder des Parteivorstands nicht damit durchgekommen, die am 24. November 2024 beschlossene Wahlstrategie friedenspolitisch zu schärfen; ein Indiz dafür, dass die strategischen Fehlleistungen aus dem EU-Wahlkampf immer noch nicht wirklich verstanden sind. Unsere Hauptaufgabe im Erarbeitungsprozess des Wahlprogramms wird es sein – gemeinsam mit Genossinnen und Genossen aus anderen Zusammenschlüssen und Strukturen – dass die friedenspolitischen Aussagen nicht hinter denen des auf dem Halleschen Parteitag beschlossenen Leitantrages zurückbleiben. Zugleich werden uns nicht nur aktiv an der Erarbeitung des Wahlprogramms beteiligen, sondern ebenso am Wahlkampf und später an den nach den Bundestagswahlen beginnenden programmatischen Debatten.
In gut fünf Monaten jährt sich zum 80. Mal die Befreiung der menschlichen Zivilisation von der damaligen Barbarei des Faschismus. Dieser 80. Jahrestag findet in einer Situation statt, in der die Auslöschung der Zivilisation droht und die zunehmend von präfaschistischen Stimmungen geprägt ist. Unser Kampf – ohne jede Garantie auf Erfolg – ist ein Ringen um die Fortexistenz des Lebens auf der Erde. In diesem Sinne bewahren wir das Andenken an die vielen Millionen Menschen, die bei der Zerschlagung des Faschismus ihr Leben einsetzten und millionenfach verloren. Einer von ihnen war der deutsche Kommunist und Spitzensportler Werner Seelenbinder, der am 24. Oktober vor 80 Jahren von den Nazis hingerichtet wurde. Aus seiner Todeszelle soll er den anderen Häftlingen kurz vor seiner Ermordung zugerufen haben: »Genossen! Hier spricht Seelenbinder! Heute Mittag werden wir hingerichtet. Wir sind stark geblieben. Bleibt auch ihr stark! Hitler geht unter. Grüßt die Genossen der Roten Armee!«[15]. Bleiben wir als Kommunistinnen und Kommunisten heute dem Vermächtnis dieser antifaschistisch-kommunistischen Generation treu.
[1] Wolfgang Hübner: »Unbeirrt zerstritten«, nd, 24.10.2024
[2] Marten Bremer: »Prominente Austritte bei Berliner Linken«, nd, 24.10.2024
[3] Pauline Jäckels: »Jan van Aken: ›Jetzt ist Einigkeit angesagt‹«, nd, 23.08.2024
[4] Manfred Weißbecker: »Den Frieden im Mund«, jW, 31.08.2024
[5] Martin Schirdewan: »Zukunft der Linken: Eine sozialistische Gestaltungspartei«, nd, 20.08.2024
[6] Vgl. Stefan Berkholz: »Nur Frieden rettet Leben«, nd, 04.09.2024
[7] »Brandenburg voranbringen – Bewährtes sicher. Neues schaffen.«, Koalitionsvertrag von SPD Brandenburg und BSW Landesverband Brandenburg, Seite 21
[8] Jasper von Altenbockum: »Butter und Kanonen«, Frankfurter Allgemeine, 15.03.2024
[9] Stephan Krull: »Überschattet von Schließungsdrohung«, nd, 29.10.2024
[10] Siehe https://progressive-linke.org/wp-content/uploads/2024/07/Netzwerk-Progressive-Linke-Brief-an-den-PV-250624-A.pdf
[11] Peter Steiniger: »Alle Macht den Oligarchen«, nd, 14.11.2024
[12] Max Horkheimer: »Die Juden und Europa«. In: Studies in Philosophy and Social Science, Band 8. The Institute of social research, New York, 1939
[13] Kurt Tucholsky: »Die Frau mit den Fähnchen« In: Kurt Tucholsky, Werke–Briefe–Materialien, 1929
[14] Vgl. § 17 Absatz 3 der Bundessatzung der Partei Die Linke: »In besonderen politischen Situationen kann ein außerordentlicher Parteitag auf Beschluss des Parteivorstandes ohne Wahrung der Einladungsfristen einberufen werden. Auf einem außerordentlichen Parteitag darf nur über Anträge beraten und beschlossen werden, die unmittelbar mit dem Grund der Einberufung zusammenhängen.«
[15] Ingar Solty: »Das ganz große Ding«, jW, 26.10.2024