Einheit der Partei bewahren – antikapitalistisch agieren
Referat der 3. Tagung der 19. Bundeskonferenz der Kommunistischen Plattform
Stephan Jegielka, Bundessprecher der KPF
Während der Proteste im Hambacher Forst wurde eine um einen Baum sitzende Gruppe junger Menschen interviewt. Sie würden, so sagten sie, hier sitzen bleiben, bis sie abgeräumt werden. Friedlich. Wogegen sich ihr Protest richte, fragte der Journalist. »Gegen den Kapitalismus, die RWE und die Umweltzerstörung«, lautete die Antwort. In diesem Land gibt es wieder ernst zu nehmende progressive Bewegungen. Denken wir nur an die 240.000 Menschen, die am 13. Oktober gegen Nazis auf die Straße gingen. Denken wir an etliche andere Aktionen gegen Rechts. Denken wir an massenhafte Solidaritätsbekundungen für Flüchtlinge, etwa die der Seebrücke, oder an »We’ll Come United« in Hamburg, »Ausgehetzt« in München oder »Wir sind mehr« in Chemnitz. Denken wir an die Zehntausende, die gegen die Verschärfung von Polizeigesetzen demonstrieren. Denken wir an die großen Proteste am 8. Juli 2017 gegen den G20-Gipfel in Hamburg, an Demonstrationen gegen steigende Mieten und gegen andere soziale Grausamkeiten. Und: Die Anzahl der Menschen nimmt zu, die in den kapitalistischen Verhältnissen Ursachen für die Probleme sehen, deretwegen sie auf die Straße gehen. Die einzige in den Parlamenten vertretene Partei, die hier anknüpfen kann und muss, ist DIE LINKE. Nur sie hat einen antikapitalistischen Anspruch. Auch wenn manche ihrer Repräsentanten darüber nicht so gerne reden. Denn Antikapitalismus wird hierzulande gerne gleichgesetzt mit Mangel an Politikfähigkeit. Wir meinen: Politikfähigkeit heutzutage bedeutet, aufzuklären über die gesellschaftlichen Ursachen all der Ungeheuerlichkeiten, die zunehmend die Zivilisation begleiten und letztlich gefährden. Politikfähigkeit heutzutage setzt unabdingbar Antikapitalismus voraus. Wir sollten die Losung der französischen Kommunisten übernehmen: »Der Planet brennt, die Völker leiden, und das Kapital frisst sich voll.« Die antikapitalistische Stoßrichtung der Proteste in Frankreich macht Hoffnung und unsere solidarischen Wünsche gelten der Linken dieses Landes. Nur sie kann verhindern, dass die neue französische Bewegung von den Rechten vereinnahmt wird. Das ist ein Prozess und auch Bernd Riexinger sollte keine vorschnellen Urteile darüber abgeben.
Am 13. August 2018 dokumentierte die junge Welt einen Offenen Brief des kürzlich verstorbenen ägyptischen Wirtschaftswissenschaftlers Samir Amin. Er schreibt: »Der globale Kapitalismus, der in seine Niedergangsphase eingetreten ist, verbindet eine gleichsam totalitäre ökonomische und wirtschaftliche Macht mit einer immer größeren Aggressivität und verschärft in beunruhigender Weise das Risiko eines allgemeinen Krieges. In dieser zugespitzten Krise wollen die imperialistischen Länder des historischen Westens (USA, Westeuropa, Japan) den Schwellenländern nicht gestatten, sich aus dem Rahmen zu befreien, den sie diesen auferlegt haben, und den Status einer unterdrückten Peripherie zu verlassen. Die Spannung zwischen dem Westen und Russland, China und dem Iran ist keine flüchtige Erscheinung, sondern das Epizentrum einer neuen gewaltsamen Aufteilung der Welt zugunsten der westlichen Bourgeoisien. Unsere Antwort darauf als Emanzipationsbewegungen der Völker entspricht nicht dieser Gefahr. Unsere Kämpfe zerfasern, sind bruchstückhaft oder zu sehr auf nationale Fragen konzentriert. Wir haben das Ziel einer globalen Umgestaltung fallengelassen, … selbst das Ziel der Beseitigung des Kapitalismus ist nicht präsent, obwohl mehr und mehr sichtbar wird, dass dieses System die Menschheit in ihren Untergang führt.«
Ausgehend von dieser Lagebeschreibung fordert Samir Amin den Aufbau einer Gegenmacht auf globaler Ebene; die Revitalisierung des marxistischen Internationalismus. Er fordert eine neue Organisation vom Typ einer Internationale der Arbeiter und der Völker. Letzteres klingt utopisch und ist es gegenwärtig wohl auch – was nicht heißt, dass eine solche Zielstellung nicht dennoch formuliert werden muss. Sehr heutig hingegen ist Amins Forderung nach einem marxistischen Internationalismus. Ohne diesen gibt es nicht mehr die Spur einer Chance. Der Internationalismus unserer Tage ist undenkbar ohne die Aufklärung darüber, dass das kapitalistische System der Menschheit keine historische Perspektive mehr bieten kann und dass gerade im hundertsten Jahr der Novemberrevolution Luxemburgs Worte aktueller sind denn je: »Sozialismus oder Barbarei«.
… man darf den Russen glauben, dass sie es ernstnehmen
Im Kampf gegen die Barbarei gibt es gegenwärtig keine wichtigere Aufgabe als das Ringen um den Weltfrieden. Davon zeugt auch jüngst wieder die Ankündigung Trumps, aus dem INF-Vertrag auszusteigen. Die daraus über kurz oder lang resultierende Stationierung von landgestützten Kurz- und Mittelstreckenraketen würde aufgrund extrem verkürzter Vorwarnzeiten die Gefahr eines Atomkrieges in Europa wesentlich erhöhen.
Ein anderes Beispiel von vielen: Am 8. Oktober 2018 hat die deutsche Luftwaffe eine weitere Kriegsübung über Deutschlands Nordosten und den angrenzenden Seegebieten gestartet. Im Mittelpunkt steht auch hier – anderen NATO-Manövern, z.B. in Norwegen, gleich – ein etwaiger militärischer Konflikt in Osteuropa. »Man wolle testen, ob ›der Standort Laage‹ bei Rostock auf einen Waffengang im Osten vorbereitet sei, erklärte der zuständige Geschwader-Kommandeur.«[1] Es ist unglaublich, im 75. Jahr der Schlacht von Stalingrad solche Worte von einem deutschen Offizier zu hören. Aber es ist wahr. Es ist unabdingbar, den Friedenskampf im bevorstehenden EU-Wahlkampf zum zentralen Thema zu machen. Das schließt die Entlarvung des aggressiven NATO-Pakts unter Führung der USA ebenso ein wie die Forderung nach der Wiederherstellung vernünftiger Beziehungen zu Russland. Die LINKE darf, gerade auch im Zusammenhang mit den Vorkommnissen im Asowschen Meer, keinerlei Zweifel daran aufkommen lassen, wo sie in der Russlandfrage steht. Auch deshalb müssen zu diesem Thema auf dem LINKEN-Parteitag in Bonn im Februar 2019 Beschlüsse gefasst werden, die der Grundstimmung an der Parteibasis entsprechen. Die vorherrschende Russophobie, die auch manchen Protagonisten unserer Partei nicht unbeeinflusst lässt, darf bei uns keinen Platz finden. Der von den Mainstream-Medien unverhohlen propagierte Russlandhass zeugt von Geschichtsvergessenheit und ist brandgefährlich.
Russlands Präsident Putin hat die Verhinderung des Dritten Weltkrieges zur Hauptaufgabe der Politik erklärt. Und man darf den Russen glauben, dass sie es ernst meinen. Keine sowjetische Familie blieb im Zweiten Weltkrieg ohne Opfer. Führen wir uns kurz vor Augen, wie die US-Administration und US-amerikanische Spitzenpolitiker mit dem Thema Krieg umgehen.
Die sogenannten Verteidigungsausgaben im kommenden US-Haushalt betragen 637 Milliarden US-Dollar. Der Militäretat der NATO-Staaten betrug 2017 etwa das Vierzehnfache dessen der Russischen Föderation[2]. Aber es ist nicht »nur« die materielle Wucht der unter US-amerikanischer Führung laufenden Kriegsvorbereitungen, die ein Horrorszenario darstellt. Es ist nicht minder die Ideologie jener, die die Hand am Drücker haben. Und da ist nicht nur Trump gemeint. Der über reichlich Kriegserfahrungen verfügende sogenannte US-Verteidigungsminister Mattis äußerte sich 2005, befragt nach seinen Motiven für seine Kampfeinsätze im Irak und in Afghanistan: »Es macht Spaß, ein paar Leute zu erschießen. Du gehst nach Afghanistan und gerätst an Leute, die ihre Frauen fünf Jahre lang verprügeln, weil sie sich nicht verschleiert haben. Solche Leute sind ohnehin keine richtigen Männer mehr. Also macht es unheimlich viel Spaß, sie zu erschießen.«
Jeder nachdenkliche Mensch versteht: Äquidistanz ist absolut fehl am Platze. Das müssen wir auch in den bevorstehenden Debatten in Vorbereitung der Wahlen zum EU-Parlament deutlich machen.
Grundlegende Revision des EU-Primärrechts erforderlich
Nicht zuletzt in Anbetracht der rasanten Aufrüstungsschritte in der EU – auch Merkel hat sich nun im EU-Parlament für die Bildung einer europäischen Armee ausgesprochen – ist die Frage nach der Stellung unserer Partei zur Europäischen Union gerade in den kommenden sechs Monaten von zentraler Bedeutung.
In unserem 2011 beschlossenen Parteiprogramm, dessen Revision von namhaften Vertretern des fds am Vorabend des Leipziger Parteitages verlangt wurde, wird die Frage gestellt: »Wie wollen wir die EU grundlegend umgestalten?«. »Die EU«, so heißt es im Programm, »braucht einen Neustart mit einer vollständigen Revision jener primärrechtlichen Grundelemente der EU, die militaristisch, undemokratisch und neoliberal sind.« Diese Formulierung ist faktisch der Kern der im Parteiprogramm bezogen auf die EU erhobenen Forderungen und entwickelten Vorstellungen.
Damit könnten wir uns auch heute noch identifizieren, ja diese Forderungen und Vorstellungen sind heute aktueller denn je. Was in der LINKEN fehlt, davon zeugt auch der momentane Entwurf des EU-Wahlprogramms, ist die profunde, klassenbezogene Analyse der Verfasstheit der EU. Anstelle dessen werden Mythen gepflegt. Die Gründung der EU sei eine Schlussfolgerung aus den mörderischen Weltkriegen gewesen. Diese Schlussfolgerungen und die ihnen innewohnenden Werte würden gerade verraten. Wir sagen: Die EU und deren Vorläufer waren nie ein Friedensprojekt, sondern vor allem als Konkurrenzunternehmen zu den ehemals sozialistischen Staaten in Europa gedacht. Das bestätigte jüngst der Präsident des EU-Parlaments Tajani, der die Existenz der EU als Grund für »den Sieg über den Kommunismus in Europa« benannte. Und was das angebliche Friedensprojekt betrifft: Der Jugoslawienkrieg bezeugte schnell nach dem Untergang des europäischen Frühsozialismus den zunehmend imperialistischen Charakter der EU.
Gerade weil – wie wir meinen – der Charakter der EU vorwiegend reaktionär ist, wird mit vollem Recht angezweifelt, ob die Forderung nach einem Neustart, samt neuer Verfassung, überhaupt realistisch sei. Aber wenn nicht – was ist dann realistisch? Eine nicht zuletzt von der europäischen Rechten gepriesene Rückkehr zu mehr Nationalstaatlichkeit? Und wenn dies eine Alternative wäre, wäre die dann eher links oder doch eher rechts? Die Antwort ergibt sich doch wohl aus der uns allen bekannten Situation. Denken wir nur an die kürzlich in Vorbereitung der Wahlen zum Europäischen Parlament von Italiens Lega-Chef Salvini und der französischen Rechten Le Pen geschmiedeten faschistischen Allianz. In diesem Kontext erklärte Salvini: »Ein Austritt aus dem Euro steht nicht auf der Tagesordnung«. Es gehe um den »Aufstieg eines Europas der Nationen«.[3] Sie wollen, wie auch die AfD und andere faschistoide Kräfte in der EU, die volle Bewegungsfreiheit für das Kapital unter nationalistischer Flagge. Denn sie benötigen das Völkische ebenso wie den Rassismus – zur totalen Verneblung der Klassenfrage. Wären also rechts ausgerichtete Nationalstaaten ein Fortschritt im Vergleich zu einer rechts ausgerichteten EU unter dann unvermeidlich deutscher Vorherrschaft? Oder umgekehrt? Es ist doch wohl die Wahl zwischen Pest und Cholera. Müssen, ja dürfen wir uns als Linke an dieser beteiligen? Wohl kaum.
Anstelle der Mitwirkung an Pseudodebatten gilt es, Haltung zu zeigen. Die beginnt mit einer marxistischen Einschätzung der EU, so wie sie Professor Gregor Schirmer am 19.11.2018 in der jungen Welt vornahm. Darin heißt es u.a.: »Ihrem gesellschaftlichen Charakter nach ist die EU eine monopolkapitalistische Organisation. … Ihre Praxis in den internationalen Beziehungen muss man als imperialistisch bewerten. Die EU befindet sich seit einigen Jahren im Dauerzustand der Krise, … Noch hält die EU diese Dauerkrise aus. … Die arme ›Peripherie‹ im Süden und Osten wird durch die exportstarken Konzerne des reichen ›Kerns‹, vor allem Deutschlands niederkonkurriert und deindustrialisiert. … Ein ›Neustart‹ der EU in Richtung auf ein soziales, friedliches und demokratisches und gerechtes Europa erfordert eine grundlegende Revision ihres Primärrechts.«[4]
Damit, liebe Genossinnen und Genossen, wären wir wieder beim Parteiprogramm. Doch noch einmal Gregor Schirmer: »Ein Neustart kann nur erreicht werden, wenn in den Mitgliedsstatten, vor allem in den mächtigen, grundlegende gesellschaftliche Veränderungen erkämpft werden.«
Was heißt das für uns? Wir müssen wieder verstärkt antikapitalistische Politik machen, besonders im Zeitalter der Digitalisierung, deren soziale Folgen unter ungebremst kapitalistischen Verhältnissen nicht beherrscht werden.
In gegebenen Strukturen um gesellschaftlichen Fortschritt kämpfen
Zurück zur notwendigen Haltung. Uns geht es – von faschistischen Verhältnissen abgesehen – nicht darum, welchen kapitalhörigen Strukturen wir den Vorzug geben, sondern darum, den Kapitalismus und den Imperialismus zu entlarven, zu bekämpfen und letztlich zu überwinden. Natürlich ist dieser Kampf immer konkret und natürlich hat er seinen Ausgangspunkt in den konkreten Nationalstaaten. Doch das ist nicht damit zu verwechseln, im Ringen um soziale Verbesserungen oder den Frieden pauschal auf den Nationalstaat zu setzen. Ebenso wenig bringt das Gegenteil davon: Die Verklärung der EU als ursprünglich auf die Erhaltung des europäischen Friedens ausgerichtete, sogenannte Wertegemeinschaft. Um welche Art »Wertegemeinschaft« es sich handelt, zeigt eindringlich die mangelnde Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen – bei gleichzeitiger Bereitschaft, vor allem im Rahmen der NATO, Kriege zu führen, Waffen in Krisengebiete zu liefern und wirtschaftlich arme Länder bis aufs Blut auszubeuten, wie das dem griechischen Volk aufgezwungene Martyrium exemplarisch beweist. Das Ringen vieler Menschen in Griechenland um nationale Souveränität muss uns eines bedingungslos abverlangen: Die Solidarität der hiesigen LINKEN mit diesem vor allem durch das deutsche Kapital geschundenen Land. Über ihre politische Zukunft müssen die Völker selbst entscheiden. Die große Schwierigkeit für uns besteht in Folgendem: Dieses Recht auf Souveränität ist ebenso zu akzeptieren, wie wir die EU in ihrer jetzigen Verfasstheit ablehnen. Aber die Forderung nach einem allgemeinen Zurück zu mehr Nationalstaatlichkeit vernebelt die Klassenfrage ebenso wie die Mystifizierung der EU, und sie brächte vermutlich auch keine nur halbwegs soziale und friedliche Lösung. Der Wunsch, mit einem Schritt zurück hinter eine einmal überschrittene historische Linie den Fortschritt zu befördern, ist wohl eher voluntaristisch. Also bleibt im Wesentlichen nur, in den gegebenen Strukturen um gesellschaftlichen Fortschritt zu kämpfen und den Vormarsch der europäischen Rechten zu stoppen. Das wird nicht gelingen, wenn wir uns ihrer Demagogie annähern. Und noch etwas: Auf einer von der AKL organisierten Podiumsdebatte über die Sammlungsbewegung Aufstehen am 11. September 2018 in Berlin sagte einer der Initiatoren von Aufstehen, Genosse Ralf Krämer, dass alle sozialen Errungenschaften bisher im Rahmen des vielgescholtenen Nationalstaates durchgesetzt worden sein. »Übernational findet das nicht statt, da gibt es keine Demokratie und keinen Sozialstaat«, betonte er. Und im »durchschnittlichen Bewusstsein« gebe es nun mal den Wunsch nach einem Sozialstaat im Stil der früheren SPD-Kanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt. Es funktioniere wohl kaum, so Ralf Krämer, das Kommunistische Manifest oder Das Kapital von Karl Marx auf der Straße zu verteilen »wie islamistische Bewegungen den Koran«.[5] Mit Letzterem stimmen wir überein, nicht nur wegen der drei Bände des Kapitals. Im Zusammenhang mit der Erinnerung an Brandt und Schmidt möchten wir darauf verweisen, dass beide agierten, als es in Europa noch den frühen Sozialismus gab, der trotz seiner Schwächen dem Kapital schon ein sozialeres und friedlicheres Verhalten aufzwang, als es dessen eigentlicher Natur entspricht. Damit ist es nun vorbei. Das hat primär mit dem fehlenden nichtkapitalistischen Korrektiv zu tun und nur sekundär mit Nationalstaat oder EU. Die Agenda 2010 war doch wohl ein deutsches Produkt. Und die rigiden Polizeigesetze, gegen die so viele Menschen auf die Straße gehen, sind auch keine EU-Maßgaben.
Hauptkettenglied erkennen und ergreifen
Nichts hat sich an der Aktualität der von Lenin vor hundert Jahren getroffenen Feststellung geändert: »Das Kapital ist eine internationale Kraft. Um sie zu besiegen, bedarf es des internationalen Bündnisses der Arbeiter …« Im hundertsten Jahr der deutschen Novemberrevolution, der Gründung der KPD, im Wissen um die bedeutenden Siege im Kampf gegen den Kapitalismus und zugleich im Wissen um die fundamentale Niederlage des europäischen Sozialismus ist uns bewusst, welch steiniger Weg vor uns liegt, und dass wir nicht wissen können, ob wir unser Ziel erreichen. Aber – wir dürfen uns in diesem System nicht einrichten.
Wenn diese Sichtweise zutreffend ist, dann gibt es keinen Grund, den EU-Teil des Parteiprogramms prinzipiell in Frage zu stellen, denn die dort fixierte Richtung, in die gekämpft werden muss, entspricht den Notwendigkeiten. Und nur im Kampf macht man die Erfahrung, wie weit man kommt. Ist dabei, wie es immer wieder geschieht, eine faktische Orientierung auf eine Art Rückkehr zum Rheinischen Kapitalismus eine taugliche Orientierung? Wir meinen, eine solche Orientierung wäre voluntaristisch. Es sei wiederholt, weil es kaum noch gesagt wird: Eine Grundvoraussetzung für die Existenz des Rheinischen Kapitalismus war die Existenz der europäischen sozialistischen Staaten. Die zwangen dem europäischen Kapitalismus eine gewisse Attraktivität auch für die sogenannten kleinen Leute auf. Es stellt sich doch zwangsläufig die Frage, warum ausgerechnet seit 1990 im Kapitalismus zustande gekommene, prinzipielle soziale Errungenschaften sukzessive den Bach runtergehen und im Gefolge dessen sich die Rechten einer Schwemme gleich ausbreiten. Und nicht minder stellt sich die Frage, warum Kriege seither wieder zum politischen Alltag gehören.
Wir haben in ungezählten Diskussionen diese Fragen gestellt. Eine halbwegs überzeugende Antwort von jenen, die den heutigen Zustand der EU abstrakt und damit ahistorisch beklagen, bekamen wir nie.
Angenommen also, es stimmte, dass ohne den europäischen Sozialismus auch kein Rheinischer Kapitalismus denkbar war. Fordern wir dann – salopp gesagt – die Rückkehr zum Warschauer Vertrag gleich mit und zum Zwecke des sozialen Neustarts der BRD die Wiederherstellung der DDR? Die Absurdität dieser Überlegungskette liegt auf der Hand. Es gibt in der Geschichte eben kein einfaches Zurück. Natürlich hatte Lenin schon 1915 Recht in seiner Schrift »Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa«. Aber da gab es weder ihre Vorläufer noch die heutige EU. Nun ist diese EU aber da. Sie ist da, wie der Warschauer Vertrag nicht mehr existiert. Und Politik macht man nicht, indem man sich das eine weg- und das andere zurückwünscht. Politik macht man, indem man das Hauptkettenglied erkennt und ergreift. Und das ist heute der Kampf um die Verhinderung eines 3. Weltkrieges und der erneuten faschistischen Barbarei. Das ist heute der Kampf gegen absolute und relative Armut. Das ist heute der Kampf gegen Digitalisierung ohne soziale Rücksichten. Wir haben es nicht allein mit Arbeitsplatzabbau, sondern auch mit Tendenzen zu schlechteren Arbeitsbedingungen, zu schlechterer Qualität der Produkte und zu noch stärkerer Belastung der Umwelt zu tun – im internationalen wie im nationalstaatlichen Rahmen. Auch wenn bezüglich der Digitalisierung gerne das Gegenteil behauptet wird. Unsere Aufgabe, das ist heute das Ringen um bestmögliche Bedingungen vor allem für Familien, insbesondere für deren Kinder und deren Bildung – für Bildung überhaupt. Das ist heute der Kampf um menschenwürdiges, bezahlbares Wohnen und die Chance auf Löhne und Gehälter, durch die die Gefahr von Altersarmut gebannt wird. Das ist heute der Kampf gegen die Zweiklassenmedizin und für ein Alter in Würde, bestmögliche Pflege inklusive. Das ist heute der Kampf um den Erhalt der verbliebenen Reste der bürgerlichen Demokratie. Dieser alltägliche Kampf kann Fortschritte erbringen und muss zugleich an die Grenzen des Systems stoßen. Das ist die untrennbare Verbindung zwischen den tagespolitischen Kämpfen und dem Antikapitalismus und Antiimperialismus. Alles andere, um abwandelt an Rosa Luxemburg anzuknüpfen, ist Quark.
Solidarität und Internationalismus – unverzichtbare Größen
Der Kampf um Frieden und gegen Faschismus ist untrennbar mit der Zurückweisung jeglicher Form von Rassismus verbunden. Die KPF hat sich seit 2015/2016 dazu mehrfach sehr prinzipiell öffentlich geäußert, so auch mit der Erklärung vom 26. Februar 2018 »Der Osten – im Prekären eingerichtet? Die KPF zum Aktionsplan Ost«.
Wir möchten – weil sie sehr deutlich macht, wie umstritten bestimmte Grundsätze unter Linken derzeit sind – aus einer Reaktion auf diese Erklärung zitieren.
»Nicht ihr, liebe Genossen«, … habt »in dieser Frage (gemeint ist das sogenannte Flüchtlingsproblem) ›das Ohr an der Volksmasse‹. Auch der Begriff ›Modernisierungsverlierer(in)‹ trifft es doch gar nicht, … , fast alle haben PCs, Handys etc., nutzen das Internet – es sind auch nicht einfach ›Kapitalismusopfer‹, sondern wohl eher spezifische ›Opfer der kapitalistischen Restauration in der DDR, gerade in der folgenden Phase der immer weiteren Öffnung gegenüber den Weltmärkten … ›Refugees welcome‹ geht nicht. … ›No borders anymore‹ ist die Hoffnung des weltweit vagabundierenden Kapitals, nicht die der Arbeiter und weiteren Werktätigen.«
»Klar:«, so der E-Mail-Schreiber weiter »Für Asylbewerber, für Kriegsflüchtlinge – zunächst für die Dauer der Repression oder des Krieges im Heimatland – muss die ›Einwanderung‹ möglich sein, wenn auch vielleicht nicht die ›Weiterwanderung‹ von einem in ein anderes Fluchtland; aber andererseits muss es für die Arbeitsmigration, speziell aus der Sahelzone, Regelungen und Begrenzungen geben, vor allem aber Arbeitsplätze und Verdienstmöglichkeiten in der Sahelregion selbst! Und unbedingt umfangreiche Hilfe für die Menschen in den Flüchtlingslagern entlang der syrischen Grenzen – das Geld ist ja da, es wird nur falsch eingesetzt. … Lehnt ein Einwanderungsgesetz also besser nicht ab – ›besser schlecht geregelt als gar nicht‹. Es kommt darauf an, was man daraus macht.«
Soweit der Auszug aus der E-Mail. Haben diese Gedankengänge ihre Berechtigung? Wir meinen, das ist zu kurz gedacht. Wir müssen die Frage beantworten: Sind Solidarität und Internationalismus eventuell verzichtbare Größen? »Stopp«, würde uns jetzt vielleicht der E-Mail-Schreiber zurufen. »Niemand verlangt das. Es geht nur darum, Realitäten anzuerkennen. Stimmt es etwa nicht, dass die nicht durch die Flüchtlinge verursachten Probleme dennoch durch diese vertieft werden? Wollt ihr etwa behaupten, es sei gleich, ob 50.000 Flüchtlinge kommen oder eine Million? Wollt ihr etwa behaupten, die Forderung nach offenen Grenzen sei realistisch?«
Wir behaupten gar nichts. Bleiben wir bei der Forderung nach offenen Grenzen. In der PDS hieß es in allen Parteiprogrammen: Offene Grenzen für Menschen in Not. Das war eine sehr humanistische Forderung, wenn man davon ausgeht, dass Menschen, die nicht in Not sind, ihre Heimat wohl kaum verlassen wollen. Und wenn Perspektivlosigkeit und Hunger ebenso als Not verstanden werden wie Terror und Krieg.
2011 wurde dann das Programm der Linken beschlossen: Offene Grenzen für alle Menschen. Warum auch immer diese Verabsolutierung vorgenommen wurde: Um sie wurde nicht leidenschaftlich gestritten. Sie wurde beschlossen und in den Jahren bis 2015 war sie von keiner besonderen politischen Relevanz. Dann kam in einer uns wohl noch erinnerlichen Situation die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland in sehr großer Zahl und Merkels unbilanziertes »Wir schaffen das« – verbunden mit einer Willkommenskultur, die von den Medien ebenso befeuert wurde wie fünf Monate später die Hysterie um die Vorkommnisse auf dem Kölner Bahnhofsvorpatz in der Silvesternacht. Seither hat dieses mediale Trommelfeuer nicht aufgehört, reißt die Diskussion um die Flüchtlinge, Asylbewerber und ganz allgemein die Migranten nicht mehr ab, wenngleich seit 2016/17 nicht mehr annähernd so viele kommen, wie in dieser kurzen Zeit vom Sommer 2015 bis ins erste Halbjahr 2016. Der CDU-Ministerpräsident von NRW, Armin Laschet, hat sich kürzlich so dazu geäußert: »Ich halte es jedenfalls für einen Fehler, auch aktuell wieder den Eindruck zu erwecken, die Migration sei das größte aller Probleme. Diese Analyse ist sachlich und politisch falsch …« Wir ergänzen, sachlich richtig ist: Inzwischen wurde die Asylgesetzgebung brutal verschärft und für Seehofer als Innenminister trifft zu, was Shakespeare den Oberkämmerer Polonius im Gespräch mit Hamlet sagen lässt: »Ist dies schon Tollheit, hat es doch Methode.« Von dieser Entwicklung profitiert vor allem die AfD. Sie hat für alle Probleme in diesem Land das große Patentrezept: Weg mit den Fremden. Dann werden die Deutschen ihre Probleme schon lösen. Das Klima im Land wird zunehmend vergiftet. Ein wichtiges Indiz dafür ist, dass die AfD-Argumentationsmuster zunehmend von den bürgerlichen Parteien und den Medien sowohl übernommen als auch bedient werden. Wären völkische und rassistische Stimmungen nicht inzwischen eine Massenerscheinung, dann wäre die faktische Anbiederung an Rechtsaußen so nicht notwendig. Umso wichtiger war es, dass am 13. September 2018 allein in Berlin 240.000 Demonstranten gegen Rechts auf die Straße gingen.
Keine rechten Muster übernehmen
Jegliches hat seine Zeit. In einer Situation, wie der eben beschriebenen, fängt man keine Debatte über die geltende Formulierung im Parteiprogramm an. Tut man es dennoch, so ist das keine akademische Debatte, die es auf dem Programmparteitag 2011 weitgehend noch gewesen wäre, sondern eine Annäherung an den Zeitgeist.
Muss man Verständnis dafür haben, dass sehr viele Hiesige – darunter ein beträchtlicher Teil des Mittelstandes – die Flüchtlinge als Konkurrenten betrachten? Sagen wir es mal so: Es ist erklärbar, dass eine solche Sicht existiert. Schon Hegel lehrte uns, das Bestehende zu begreifen, rechtfertige es aber nicht einfach. Zu unterscheiden sei in ihm vielmehr, was vernünftig und damit notwendig sei, und was nicht.[6] Wo wird den Menschen klipp und klar gesagt, wer ursächlich verantwortlich ist für die Probleme im Land? Das wären ja dann antikapitalistische, antiimperialistische, also vernünftige Antworten. Das wiederum wäre wider die Kapitalinteressen. Wie praktisch hingegen ist die Kanalisierung aller Unzufriedenheiten und Missstimmungen auf die Flüchtlinge. Also: Erklären zu können, warum das faschistische Gift nicht nur wirkt, sondern systematisch benötigt wird, bedeutet nicht, Verständnis aufzubringen für rassistische Stimmungen. Das ist noch nicht einmal primär eine Frage der Moral. Es ist die Frage, was bei wem mehr Ängste erzeugt: Die zweifellose Vertiefung von existierenden Problemen durch die Notwendigkeit, Ressourcen für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen, oder die rassistischen Stimmungen, die, anknüpfend an diese Probleme – bei Verschweigen der eigentlichen Ursachen – in immer größerem Maße erzeugt werden.
Diese Frage muss sich jeder beantworten, der sich zu den Linken zählt. Und die Antwort kann und darf nicht heißen, dass wir den Rechten ihren Einfluss entziehen, wenn wir auch nur im Entferntesten deren Muster übernehmen. Unsere Antwort ist klar: Die Welt ist aus den Fugen, weil der Kapitalismus nicht mehr in der Lage ist, eine Zivilisation, die den Namen auch verdient, zu erhalten. Die Jagd nach dem Profit – das unveräußerliche Prinzip kapitalistischer Daseinsweise – zerstört die Umwelt, produziert Waffen und Kriege und lässt die Schere zwischen Reich und Arm immer weiter auseinander gehen. Eine der Hauptfolgen dieser der Kapitalverwertung innewohnenden Destruktivität und des zunehmenden Chaos sind die zunehmenden Flüchtlingsbewegungen und ebenso die gezielte Abschaffung der bürgerlichen Demokratie unter der Flagge der Terrorbekämpfung. Die internationale Linke ist gegenwärtig nicht in der Lage, diese Entwicklung aufzuhalten. Schmerzhaft erleben wir das in diesen Monaten z.B. in Brasilien. Erfolgreich vereinigte der Faschist Bolsonaro fast die gesamte Wählerschaft des bürgerlichen Lagers auf sich. Deren traditionelle Parteien PSDB und MDB stürzten bei den Wahlen auf 4,7 und 1,2 Prozent ab. In den letzten Wochen vor den Wahlen hatten sich große Teile des brasilianische Finanzkapitals und der Wirtschaftsverbände offen hinter seine Kandidatur gestellt. Mit harter Hand wolle er das Land säubern. Soziale Bewegungen werde er verbieten und die Mehrheit seines Kabinetts werde aus Militärs bestehen, so Bolsonaro, der offen die brasilianische Militärdiktatur verteidigt und sich für die Folter ausspricht. Das gleiche Schicksal sollen letztlich die Menschen in Kuba, Venezuela und Nikaragua erleiden. Ihnen gehört unsere Solidarität und wir fordern diese ebenso vom Parteivorstand und der Bundestagsfraktion der LINKEN ein.
Das uralte Prinzip: Teile und herrsche
Daran mitzuwirken, die Rechtsentwicklung aufzuhalten, ist eine unserer vornehmsten, unbeschreiblich schweren Aufgaben. Für den politischen Alltag ziehen wir daraus folgende Schlussfolgerungen:
1. Der Streit über offene Grenzen für alle Menschen ist letztlich unredlich. Die Debatte wird innerparteilich entweder zum Zweck instrumentalisiert, jene moralisch zu disqualifizieren, die sagen, es könnten schließlich nicht alle kommen, oder zu dem Zweck, jenen mangelnden Realismus vorzuwerfen, die angeblich alle reinlassen wollen. Angeblich deshalb, weil so manche jener, die abstrakt alle reinlassen wollen, sehr konkret an Abschiebungen beteiligt sind. Erinnert sei hier nur an die Erklärung des Berliner Flüchtlingsrates über besonders brutale Abschiebungen am 6. Juni 2018[7]. »Sieht so der von ›Rot-Rot-Grün‹ angekündigte Paradigmenwechsel in der Abschiebepolitik aus?«, wird in der Erklärung gefragt. Nein – es geht in diesen Debatten nicht nur um Flüchtlinge. Es geht um die Instrumentalisierung des Themas.
2. Das ist unerträglich, wenn wir uns vor Augen führen, worum es für ungezählte Menschen in ihrem Alltag geht. In der jungen Welt vom 11. August 2018 schreibt Gerhard Feldbauer über einen Streik der Erntehelfer in Italien[8] und dessen Folgen. Die Vorfälle zeigten, wie Migranten in Süditalien unter menschenunwürdigen Bedingungen schuften müssten und wie Sklaven gehalten würden. In Apulien müssten die vor allem aus Afrika, aber auch aus Polen, Bulgarien und Rumänien stammenden Erntearbeiter unter der sengenden Sommerhitze von über 40 Grad Celsius bis zu zwölf Stunden täglich schuften. Sie lebten in Elendsquartieren ohne fließendes Wasser und Toiletten, hätten keinerlei gesundheitliche Betreuung, seien Gewalt, die Frauen sexuellen Belästigungen, ausgesetzt. Die meisten seien einem »Caporalato« genannten mafiösen System organisierter Schwarzarbeit unterworfen. Sie verdienten oft kaum mehr als einen Euro pro Stunde, während der Tariflohn das Sechsfache betrüge. Zudem würde den Arbeitern noch ein Teil des Einkommens als Miete für die Elendsunterkünfte abgezogen. Die Zahl der so ausgebeuteten Landarbeiter würde allein in Apulien auf etwa 100.000 geschätzt.
3. Dieses Beispiel verdeutlicht schulbuchmäßig den Zusammenhang zwischen extensiver Ausbeutung, die stets Lohndrückerei nach sich zieht, und daraus resultierend in Teilen der einheimischen Bevölkerung die Ablehnung derer, die am meisten geknechtet werden. Es wird den weniger Unterdrückten eingeredet, die noch Elenderen seien schuld, wenn auch ihre Lage stetig schlechter wird. Es ist das uralte Prinzip der Besitzenden: Teile und Herrsche. Das Prinzip wird bedient durch die kapitalistische Praxis und die neoliberale Ideologie, die stetig mit der faschistoiden verschmilzt. Die Medienkonzerne sind in erster Reihe mit von der Partie. Ist es in diesem Kontext eine sinnvolle linke Forderung, Arbeitsmigration abzulehnen, weil sie Konzerninteressen bedient? Wir jedenfalls schließen uns dieser Forderung nicht an. Nicht etwa, weil es nicht stimmte, dass Konzerninteressen bedient werden, sondern weil wir Konzerninteressen gleich noch einmal bedienten, entzögen wir den Ärmsten der Armen unsere Solidarität. Unsere Losung muss bleiben: Ausgebeutete aller Länder vereinigt Euch! Zu keinem Zeitpunkt dürfen wir reaktionäre Stimmungen bedienen, auch nicht mit scheinbar stimmigen Argumenten. Einige wenige Beispiele sollen verdeutlichen, was wir meinen: Natürlich gibt es unter Hartz-IV-Beziehern Menschen, die faul sind. Warum sollte es nur unter den Kuponschneidern Faule geben? Doch wir kämen hoffentlich nicht einmal im Traum auf die Idee, Hartz-IV partiell zu befürworten. Oder – eine ganz andere Ebene: Wir sind gegen die Todesstrafe, auch wenn wir sicher kein Problem damit haben, dass Höß in Auschwitz gehenkt wurde. Aber – in dieser Frage Konzessionen zu machen bedeutet, der Todesstrafe als juristisches Prinzip den Weg zu bahnen. Also lehnen wir sie generell ab. Das Gleiche gilt für unser Verhältnis zur Folter. Die Aufzählung könnte fortgesetzt werden.
4. Was wir brauchen, ist die Diskussion über die Ursachen für den Weltzustand. »Sagen, was ist« bezeichnete schon Rosa Luxemburg als revolutionär. Unsere Anstrengungen müssen sich darauf richten, Menschen ihre Lage bewusst zu machen, zu mobilisieren und dabei darauf zu verzichten, Sündenböcke unter den noch Ärmeren zu suchen, auch nicht indirekt. Der Sündenbock ist das Kapital, welches sich allerdings momentan nicht in die Wüste schicken lässt. So an die Dinge heranzugehen ist ein schweres, vielleicht sogar hoffnungsloses Unterfangen. Schier unüberwindbar scheint die Manipulationsmacht der bürgerlichen Medien. Aber es muss gewagt werden. Wir gebenSabine Eckart, Projektkoordinatorin von Medico International, Recht, wenn sie sagt: »Nur wenn wir uns nicht ›für die Abfederung eines Systems einspannen lassen, das auf Ausgrenzung, Stigmatisierung, Klassifizierung von Menschen und Entsolidarisierung beruht‹, […] nähern wir uns zumindest einer humaneren, gerechten und adäquateren Sichtweise und politischen Praxis an.«[9]
Nicht zu Munde reden, nicht voreilig stigmatisieren
Die Ereignisse in Chemnitz nach dem Mord an einem deutschen Staatsbürger mit kubanischen Wurzeln zeugen in der Endkonsequenz von einer neuen Qualität faschistischer Tendenzen in diesem Land. Es schien, die Rechten hätten auf einen Vorfall wie den vom 26. August im Chemnitz nur gewartet, um ihre Mobilisierungsfähigkeit ebenso unter Beweis zu stellen wie ihre gefährliche Brutalität in Wort und Tat. Die empörten bürgerlichen Medien, die eher hundert Sätze zum Zusammenhang zwischen Nazibrut und Sachsen als auch nur einen zum Zusammenhang zwischen Nazis und dem Zustand des Kapitalismus finden, klären nicht auf. Vielmehr vermitteln sie Menschen, die keine Nazis sind, aber mit den herrschenden Zuständen nicht zurande kommen, den Eindruck, sie alle würden in die rechte Ecke gestellt.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Das Verhalten von Menschen, die glauben gemacht wurden und werden, an all ihren realen oder auch vermeintlichen Problemen seien die Flüchtlinge und Asylbewerber schuld, darf nicht unkritisch beurteilt werden. Wir dürfen diesen im Interesse des Kapitals massenhaft erzeugten Stimmungen nicht nachgeben, wissend, dass es – wie stets – immer Anlässe dafür gibt, dass diese Stimmungen manipuliert werden können. Aber ebenso wenig, wie wir Menschen zu Munde reden dürfen, die der Sündenbock-Manipulation unterliegen, ebenso wenig dürfen wir sie undifferenziert in die rechte Ecke stellen.
Es gibt kein linkes Lager
Gerade im Zusammenhang mit der ideologischen Situation im Freistaat Sachsen gibt es in der LINKEN ein neues Stichwort: Österreichische Verhältnisse verhindern. Gemeint ist damit der Verweis auf die Gefahr eines Zusammengehens von CDU/CSU und AfD. Gibt es die Gefahr? Das kann wohl nicht verneint werden, auch wenn es in naher Zukunft schwer vorstellbar ist. Doch unabhängig vom Zeitpunkt ist es eine mehr als ernsthafte Frage, wie man dieser Gefahr begegnet. Katja Kipping wiederholt regelmäßig, sie wolle alles tun, damit die linken Kräfte gestärkt werden – gemeint sind neben unserer Partei SPD und Grüne – damit es so zu einem Politikwechsel kommen kann. Bei einer Diskussion am 3. Oktober 2018 im Kreuzberger SO36 zum Thema »Aufbruch und Machtwechsel« sagte sie u.a.: »Die Gefahr eines weiteren Rechtsrucks, gar einer Faschisierung besteht real. Dies gilt insbesondere auch hierzulande.« Katja Kipping weiter: Eine fortschrittliche Politik müsse einen Umgang mit dieser Situation finden. Sie könne sich nicht darauf beschränken, nur Opposition gegen den Neoliberalismus zu sein und die Lieder der 2000er Jahre zu intonieren: Sie müsse die Regierungsfrage offensiv stellen und dabei eine ›neue Ordnung‹ auf den Weg bringen. Und immer noch Kipping: »Diese Situation eröffnet aber auch eine Chance. Sie öffnet den Möglichkeitsraum für einen Macht- und Regierungswechsel von links. Eine Regierung gegen den Rechtsblock, – und damit die Option, eine grundlegend andere Politik zur Durchsetzung zu bringen. … Der Träger der neuen Ordnung ist ein neues ›WIR‹: Es sind wir – die Vielen –, die an unterschiedlichen Stellen der Gesellschaft – sei es in Kirchen, Gewerkschaften, NGOs und Vereinen, bei der ›Seebrücke‹, bei Demonstrationen gegen Überwachung oder für Frieden – für eine humane Alternative kämpfen. Es sind aber auch wir, die wir uns von der Politik abgewendet haben und nicht wollen, dass Europa nach rechts rückt. … Natürlich: Für niemanden wird dies ein Spaziergang. Der Weg wird auch innerhalb der jeweiligen Parteien umkämpft sein. Genau deshalb sollen wir jetzt die Zusammenarbeit für fortschrittliche Mehrheiten beginnen. Im Wissen um ihre Unterschiede müssen die verschiedenen Akteure von Gewerkschaften, Kirchen, Bewegungen und Zivilgesellschaft über DIE LINKE und die Grünen bis hin zur SPD in konstruktiver Absicht zusammenkommen.«[10]
Das kann kein vernünftiger Mensch anstreben
Katja Kipping liebt den Begriff »Erzählung«. Dies ist ein erzähltes Märchen, jenseits aller Kräfteverhältnisse, jenseits der im Kapitalismus alles entscheidenden Eigentumsfrage. Es ist in der Situation, in der wir uns befinden, schon unbegreiflich, dass Opposition gering geschätzt wird und anstelle derer ein linkes Lager gesehen wird, wo es keines gibt. Es ist noch gar nicht lange her, da haben Katja und Bernd selbst gesagt, ein solches Lager existiere nicht. Was haben wir seither übersehen, dass uns die Auferstehung desselbigen nicht bewusst ward. Für uns bleibt das Streben von LINKEN, Mitglied einer Bundesregierung zu werden, aus den hinlänglich bekannten Gründen suspekt. Wissend, dass dieser Wunsch von nicht wenigen Repräsentanten unserer Partei geteilt wird und auch unter Teilen der Mitgliedschaft Zustimmung findet. Im Übrigen: Die Position der Sammlungsbewegung zur Regierungsbeteiligung im Bund unterscheidet sich hiervon nicht prinzipiell. Die Sammlungsbewegung betont nur explizit, dass sich alle drei Parteien vorab grundsätzlich verändern müssen und dass genau diese Veränderungen durch die Sammlungsbewegung bewirkt werden sollen. Nun – man wird sehen.
So oder so lässt sich feststellen: Die Führung der LINKEN und die Initiatoren der Sammlungsbewegung streben gleichermaßen Rot-Rot-Grün im Bund an. Dabei wird nicht in der notwendigen Deutlichkeit problematisiert, dass die friedenspolitischen Prinzipien mit dem Kern der Ablehnung von Bundeswehr-Auslandseinsätzen und der Forderung nach Austritt oder Auflösung der NATO sich gegen die Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland richten. Wer aber diese Staatsräson nicht akzeptiert, kann Regierungsverantwortung im Bund nicht übernehmen. Und noch etwas: Der Wunsch nach einer r2g-Koalition schließt bei der LINKEN-Vorstandsmehrheit eine starke Anti-Rassismus-Akzentuierung ein, für die nicht unbedingt zutrifft, dass vom Faschismus schweigen soll, wer vom Kapitalismus nicht reden will. Die Sammlungsbewegung hingegen betont vorwiegend die soziale Komponente. Beides ist notwendig. Allerdings wird die aus beidem resultierende Konsequenz ungenügend in den Mittelpunkt des Kampfes gerückt: Es geht um den Kampf der LINKEN, der AfD ihren Platz als Oppositionsführer im Parlament und auf den Straßen streitig zu machen. Dies ist untrennbar verbunden mit der antifaschistischen und friedenspolitischen Profilierung der LINKEN und ebenso mit der sozialen und der Umweltfrage.
Mit anderen Worten: Die Kommunistische Plattform entzieht sich der linken Spielart von »There ist no alternative«. Wir sind davon überzeugt, dass eine kämpferische, antikapitalistische Opposition notwendig ist, die der AfD und ihren faktischen Vorfeldorganisationen den Nährboden entzieht, sich als die wahre oppositionelle Kraft im Land zu repräsentieren. Wobei sich die AfD fest darauf verlässt, dass ihre programmatischen Positionen kaum bekannt sind. Und es gibt einen nicht minder wichtigen Grund, uns auf die antikapitalistische Opposition zu besinnen: Mit dem nach den Bayern- und Hessenwahlen angekündigten Rückzug Angela Merkels von der Spitze der CDU und dem absehbaren Ende ihrer Kanzlerschaft werden CDU/CSU mit großer Wahrscheinlichkeit noch weiter nach rechts rücken. Nicht umsonst schoss der DAX in die Höhe, nachdem Friedrich Merz bekannt gegeben hatte, er würde für den CDU-Parteivorsitz kandidieren. Sicher nicht ohne wohlmeinenden Rat der Fondsgesellschaft BlackRock oder der Großbank HSBC, die sich an den als »Cum-Ex« bezeichneten Steuerbetrügereien in Millionenhöhe beteiligte. Nicht nur in diesen beiden Wirtschaftsunternehmen mischt Merz mit. Es ist gut, dass er gestern unterlag. Das heißt nicht, dass Annegret Kramp-Karrenbauer eine Lichtgestalt des Fortschritts ist. Zudem spricht vieles dafür, dass in diesem Land schon im Vorfeld der Bundestagswahlen die Winde wesentlich rauer werden, und das nicht »nur« wegen des Endes der Ära Merkel. Vielmehr ist zugleich davon auszugehen, dass die Hochkonjunktur in Europa sich dem Ende zuneigt und eine Rezession immer wahrscheinlicher wird.
Kehren wir noch einmal zur Ausgangsfrage zurück, im Kontext mit Katja Kippings Lösungsvorschlag zur Verhinderung österreichischer Verhältnisse. Liegt die Alternative vor allem im parlamentarischen Bereich? Nehmen wir für einen Moment an, dies wäre der Fall. Müsste DIE LINKE – zunächst auf Länderebene – dann auch bereit sein, notfalls mit der CDU zu koalieren, um Schwarz/Blau zu verhindern? Die Diskussion darüber ist bereits im Gange. Eines sei vorab festgestellt: Schwarz/Rot unter Einbeziehung der LINKEN wird – aus Gründen, auf die hier im Einzelnen einzugehen zu weit führen würde – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nie eine Option für die alten Bundesländer sein. Praktisch stünde diese Frage nur für den Osten. Und für die LINKEN-Mitgliedschaft im Osten lässt sich bis dato ebenso mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, dass ein Großteil das nicht mitmachen würde. Austritte sind auch eine Form von Gegenwehr. Thüringen und andere Ost-Bundesländer zeigen, dass die Genossinnen und Genossen bereit sind, sehr dicke Kröten – z.B. in puncto Geschichte – zu schlucken, wenn es um das Zusammengehen mit SPD und/oder Grünen geht. Bei der CDU wäre für sehr viele die rote Haltelinie überschritten. Die Rettung vor österreichischen Verhältnissen via schwarz-rot wäre eine Selbstmordaktion. Der Weg für die Nazis wäre dann zeitversetzt freier denn je. Das kann kein vernünftiger Mensch anstreben.
Parteiprogramm verteidigen
Nicht nur die roten Haltelinien sind ein Grund, das geltende Parteiprogramm zu verteidigen. Als Petra Pau im April dieses Jahres öffentlich erklärte, es sei Zeit für eine linke Programmdebatte, reagierten wir sofort und sagten u.a.: »Das geltende Parteiprogramm wurde in diesem Jahrhundert erarbeitet, auf dem Parteitag in Erfurt vom 21. bis 23. Oktober 2011 mit 96,9 Prozent beschlossen und beim Mitgliederentscheid vom 17. November bis 15. Dezember 2011 mit 95,8 Prozent bestätigt. Haben wir uns etwa 2011 ein Programm gegeben, welches ›alte linke Antworten‹ gibt, oder hat sich vielleicht die Lage in den seither vergangenen sechseinhalb Jahren so fundamental verändert, dass die seinerzeit richtigen Antworten nun ›längst nicht mehr reichen‹? Wir meinen: Vor der Schlussfolgerung muss die Analyse erfolgen.« Und noch etwas: Im geltenden Parteiprogramm gibt es notwendigerweise Kompromissformulierungen zu Problemen, die im Falle einer einseitigen Festlegung spaltende Polarisierungen zur Folge hätten. Das betrifft ganz besonders die unterschiedlichen Bewertungen eines auch von Siemens-Chef Joe Kaeser geforderten bedingungslosen Grundeinkommens. Anfang Oktober erschien im nd zweimal eine teure Anzeige, in der die BAG Grundeinkommen einen Mitgliederentscheid über das BGE fordert. Um das entsprechende Verfahren in die Wege leiten zu können, brauchen die Initiatoren die Unterschriften von 3.500 Genossen. Kommt es zum Mitgliedervotum, so wäre das auch der Auftakt zu einer erneuten Programmdebatte. Wir werden in den Januarmitteilungen 2019 einen Artikel von Christoph Butterwegge zum BGE dokumentieren. Gerade in Anbetracht der aktuellen Lage können wir weder eine Grundsatzdiskussion zum BGE, noch über eine Konzeption zur Erarbeitung einer Einwanderungsgesetzgebung gebrauchen. Wir haben uns inhaltlich zu diesen Fragen in entsprechenden Erklärungen und auf der Bundeskonferenz im April dieses Jahres deutlich positioniert. Das Schreiben, welches wir zum Thema Einwanderungsgesetzgebung am 29. Oktober 2017 an den Parteivorstand schickten, veröffentlichen wir nunmehr in den Mitteilungen 12/2018.
Mit Geduld analysieren
Seit dem Sommer dieses Jahres nimmt der allgemeine Disput über die Notwendigkeit einer Sammlungsbewegung Konturen an. Wer sich als Teil der Bewegung verstanden wissen will oder auch nur an ihr interessiert ist, kann seit dem 4. August seinen Namen in ein elektronisches Formular eintragen und seine E-Mail-Adresse hinterlassen. Bereits einen Monat später, als Sahra am 4. September auf einer Pressekonferenz die inhaltlichen Schwerpunkte von Aufstehen erläuterte, hatten sich mehr als 100.000 Menschen eingetragen, zum Ende September nach übereinstimmenden Zeitungsberichten 150.000. Wovon zeugen diese Zahlen? Zunächst von einer dem Bedürfnis nach gesellschaftlicher Veränderung getragenen Stimmung. Zugleich zeugen sie von dem tiefen, verständlichen Wunsch nach einer starken Linken, nach der Einheit der Linken. Die Hoffnung, dass diese Wünsche durch die Bewegung Aufstehen realisiert werden könnten, wird auch verursacht durch die Tatsache, dass die Partei DIE LINKE zu häufig schon als Teil des Establishments wahrgenommen wird. Doch die Sammlungsbewegung reflektiert nicht nur Stimmungen. Sie wirft auch Fragen auf. Wie könnte eine demokratische Willensbildung in einer heterogenen, vorwiegend virtuellen Struktur vor sich gehen, die in sich nicht strukturiert ist? Oder – sollte es zu einer Strukturierung von Aufstehen kommen, und solcherlei geschieht durchaus – entstehen dann nicht Parallelstrukturen zur Partei DIE LINKE und was machte das aus der Partei und der Bewegung, nicht zuletzt unter dem Aspekt, dass die Protagonistin der Sammlungsbewegung zugleich Fraktionsvorsitzende der LINKEN ist? Ist es politisch zweckmäßig, nicht geringe intellektuelle Kapazitäten auf die Sammlungsbewegung zu konzentrieren und den Kampf um Veränderungen in der LINKEN kaum noch zu führen? Wird die Entwicklung von Aufstehen zu einer Schwächung der LINKEN und im äußersten Fall zu einer faktischen Spaltung führen?
Diese Fragen sind berechtigt und können doch noch nicht beantwortet werden. Es hat daher wenig Sinn, wenn diejenigen, die der Sammlungsbewegung mit Skepsis begegnen, den Befürwortern ihre Zweifel einreden wollen. Ebenso wenig sinnvoll ist es, wenn Befürworter von Aufstehen die Skeptiker als Bedenkenträger bezeichnen. Jede und jeder muss für sich entscheiden, ob er sich in die Sammlungsbewegung einbringen will. Eine ganz andere Frage ist die, wenn Parteizusammenschlüsse oder Gliederungen Erklärungen pro oder kontra abgeben. Man kann nicht einerseits die Spaltungsgefahr beschwören oder aber in Abrede stellen und zugleich Schritte unternehmen, die innerhalb der LINKEN polarisierend wirken müssen und natürlich auch außen so wahrgenommen werden. Wir sagen es heute unverblümt: Wir halten es für einen Fehler, dass sich der Parteivorstand zu einem so frühen Zeitpunkt ablehnend zu Aufstehen geäußert hat. Er hat damit an den verständlichen Stimmungen beachtlicher Teile der Parteibasis vorbei agiert. Wir haben uns – ohne dabei auf Kritik an Sahra zu verzichten – auch prinzipiell zu Versuchen geäußert, Sahra zu demontieren. So in unserem Schreiben an Thomas Nord vom 8.11.2018, so in unserem Offenen Brief »Die Züge anhalten!« vom 28.11.2018 als auch in einem unveröffentlichten Schreiben an Katja, Bernd und Jörg Schindler vom 27.11.2018.
Notwendig ist jetzt, mit Geduld zu analysieren, wie sich die Dinge entwickeln. Kein Argument, so hat es Lenin sinngemäß formuliert, ist so überzeugend, wie die soziale Erfahrung. Wir sollten daher folgende Entwicklungen sehr aufmerksam beobachten:
· Wie entwickelt sich das Verhältnis der Sammlungsbewegung zur Partei DIE LINKE?
· Welche Aussagen trifft die Sammlungsbewegung zu einer Regierungsbeteiligung im Bund und wie ist gegebenenfalls ihr Verhältnis zur Staatsräson?
· Wie verhalten sich die Protagonisten der Sammlungsbewegung zu den im Parteiprogramm festgeschriebenen friedenspolitischen Prinzipien der LINKEN?
· Agiert Aufstehen internationalistisch oder macht sie Zugeständnisse an nationalistische Tendenzen?
· Welche Rolle spielt die Sammlungsbewegung in Vorbereitung der Wahlen zum EU-Parlament respektive des Europa-Parteitages vom 22.02.-24.02.2019?
· Wird Aufstehen zu einer Bewegung oder bleibt sie weitgehend virtuell?
Ausgehend von Entwicklungstendenzen im Kontext mit diesen Fragen, Tendenzen, die sich nur im Rahmen realer politischer Prozesse abzeichnen können, werden wir unser Verhältnis zur Sammlungsbewegung bestimmen.
Jeder Versuch, momentan innerhalb unserer Partei eine Entscheidung über pro oder kontra Sammlungsbewegung herbeizuführen, nutzt den politischen Feinden aller Linken. Jede Polarisierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt bedient Spaltungstendenzen, über die von Befürwortern und Skeptikern gleichermaßen gesagt wird, genau diese wolle man nicht.
Wir möchten zugleich nicht verschweigen, welche zwei möglichen Optionen zukünftiger Entwicklungen wir sehen. Zum einen: Die Protagonisten der Sammlungsbewegung werden Wort halten, dass keine neue linke Partei, respektive eine entsprechende Wahlalternative, gegründet wird. Wie werden sich dann – im Vorfeld der kommenden Bundestagswahlen – die Protagonisten der Sammlungsbewegung mit der Vorstandsmehrheit über Kandidaturen und Listenplätze verständigen? Zum anderen ist, trotz aller gegenteiligen Bekundungen, die Option vorstellbar, dass die Sammlungsbewegung die politischen und juristischen Voraussetzungen schafft, eigenständig bei den Bundestagswahlen anzutreten. Das käme der organisatorischen Spaltung der LINKEN gleich, die eine Eigendynamik zur Folge hätte, die sich zu einem italienischen Weg der verbliebenen deutschen Linken auswachsen könnte.
Die Kommunistische Plattform bleibt in der gegenwärtigen Situation bei der Grundaussage ihrer Bundeskonferenz vom 3. Dezember 2017, die sie auf ihrer Apriltagung dieses Jahres und in ihrer Einschätzung des Leipziger Parteitages vom 11. Juni 2018 bekräftigt hat: » Würden linke Kräfte – in Sonderheit DIE LINKE – mittels einer … Sammlungsbewegung gestärkt oder soll eine linke Kraft durch eine neue ersetzt werden? Für Letzteres stünden wir als Kommunistinnen und Kommunisten in der Partei DIE LINKE nicht zur Verfügung.«
Europaparteitag vorbereiten
Gestern Abend haben Gina und Frauke Pietsch uns ein großartiges kulturelles und zugleich politisches Erlebnis gestaltet. In fünf Wochen ehren wir Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht und wir möchten auch von dieser Konferenz aus aufrufen, an der Demonstration oder auch dem Stillen Gedenken am 13.01.2019 teilzunehmen.
Vor uns steht der Europaparteitag vom 22. bis Februar 2019. Am jetzigen Wochenende behandelt der Parteivorstand den aktuellen Entwurf des Europawahlprogramms. Dieser wird dann den Delegierten als Leitantrag vorgelegt. Es wäre nicht effektiv, sich auf unserer Konferenz zu einem schon nicht mehr geltenden Programmentwurf zu äußern. Wir werden gemäß der im heutigen Bericht dargestellten Positionen unsere Änderungsanträge zum Leitantrag einreichen. Gemeinsam mit anderen Zusammenschlüssen, die an einer linken Konsensfindung interessiert sind, werden wir die nächsten Schritte der Parteitagsvorbereitung gehen. Unsere besondere Unterstützung bei der Aufstellung der Kandidatinnen und Kandidaten unserer Partei zur Wahl des EU-Parlaments gilt Johanna Scheringer-Wright.
Die uns darüber hinaus in den kommenden Monaten bevorstehenden Aufgaben haben wir in dem Euch vorliegenden Beschlussentwurf formuliert und bitten um Eure Zustimmung.
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[1] Jörg Kronauer: »Berlin prescht vor«, junge Welt, 09.10.2018
[2] SIPRI, Presseerklärung, 02.05.2018
[3] Gerhard Feldbauer: »Faschistische Allianz«, junge Welt, 10.10.2018
[4] Gregor Schirmer: »Wessen Europa?«, junge Welt, 19.11.2018
[5] Claudia Wangerin: »Streitkultur nicht ausgestorben«, junge Welt 13.10.2018
[6] Andreas Arndt: »Das Vernünftige soll gelten«, junge Welt, 20.10.2018
[7] Flüchtlingsrat Berlin: »Horror-Sammelabschiebung unter Federführung Berlins«, Pressemitteilung vom 22.10.2018
[8] Gerhard Feldbauer: »Streik der Erntehelfer«, junge Welt, 11.08.2018
[9] Christa Schaffmann: »Normalfall Migration«, junge Welt, 24.09.2018
[10]www.katja-kipping.de/de/article/1472.aufbruch-und-machtwechsel.html