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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Linkssein mit Che

Dr. Hartmut König, Panketal

 

Vor 55 Jahren wurde Ernesto Che Guevara ermordet

 

Es war nur ein Zwischenaufenthalt in Buenos Aires. Aus einer Häuserschlucht unweit des Rio de la Plata klang ein Lied, das ich oft gehört hatte. Hier gesungen von einem schmächtigen, in Flickenkleider gehüllten Jungen. Auf eine Decke gekauert, und nicht mal eine Blechbüchse hingestellt fürs Kleingeld. Der Gesang – ein Wechsel von Zärtlichkeit und Schrei: »Aqui se queda la clara, / la entrenable transparencia / de tu querida presencia / Comandante Che Guevara«. Kehrreim der berühmten Hymne von Carlos Puebla, in dem es auf Deutsch etwa heißt: Was uns bleibt, ist deine klare / deine strahlende Gegenwart / Comandante Che Guevara. Die meisten Passanten blieben stehen, einige sangen mit. Und wieder wardie ideelle Anwesenheit dieses charismatischen Rebellen so selbstverständlich, wie ich es oft in Lateinamerika erlebte. Es war das »Presente!« eines Toten, gefühlt von jenen, die seine kämpferische Leidenschaft achteten oder teilten. Die aus seinem tragischen Tod nicht die Aussichtslosigkeit künftiger Attacken auf volksfeindliche Usurpatoren herleiteten. Ches ikonisches Bild, unterm Barett mit dem Stern träumerisch weit hinausschauend, war denen eine Aufforderung zu revolutionärer Vibration geblieben. Andere, die es nur als trendiges Mode-Label in die Diskos trugen, googelten vielleicht irgendwann nach den Lebenskehren des coolen Typen auf ihrer Brust und man hoffte, dass sie bei solcher Vita ins Grübeln kamen. Und so ist es bis heute. Dieser Tage vor 55 Jahren wurde Che im bolivianischen Operationsgebiet seiner Guerilleros ermordet.

Der argentinische Kubaner

Ernesto Rafael Guevara wurde am 14. Juni 1928 in der argentinischen Provinz Santa Fé geboren. Zumindest steht es so in der Geburtsurkunde. Mit zwei Jahren erkrankte er an asthmatischer Bronchitis. Als er vier war, lehrte ihn die Mutter in Buenos Aires Lesen und Schreiben. Bald zog die Familie wegen der Leiden des Sohnes nach Alta Gracia, einen Ort mit trockenerem Klima. Dort ging Ernesto zur Schule, besuchte im nahen Cordoba das Gymnasium, machte sein Abitur, bevor sich die Familie wieder in der Hauptstadt niederließ. Hier wird Ernesto wegen Untauglichkeit nicht zum Militär gezogen und schreibt sich für ein Medizinstudium ein. Per Fahrrad, Schiff (als Krankenpfleger an Bord) oder per Motorrad reist er quer durch Argentinien und später ganz Lateinamerika. Guatemala besucht er zu Zeiten der Präsidentschaft von Jacobo Árbenz. Er erlebt dessen progressive rurale Reformbestrebungen sowie die harschen Reaktionen von CIA, United Fruit und ihren guatemaltekischen Satrapen. Hier begegnet er auch kubanischen Exilanten, die ihm vom fehlgeschlagenen Versuch einer Gruppe junger Rebellen um Fidel Castro auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba erzählen. Als verräterische Militärs gegen Árbenz putschen, wird Ernesto gesucht und flieht nach Mexiko. Hier trifft er auch »seine« Kubaner wieder, die den eigenartigen Dialekt des argentinischen Medicus bespötteln. Wegen seiner Angewohnheit, die Sätze mit »Che« zu beginnen (das kommt angeblich aus der Sprache der Guarani-Indianer, wird im lateinamerikanischen Süden gern benutzt und heißt so viel wie: Hör mal!), verpassen sie ihm den wohl berühmtesten Spitznamen der Welt. Als Ernesto heiratet, ist Raúl Castro sein Trauzeuge. Aber auch mit dessen Bruder Fidel ist er inzwischen vertraut. Mit ihm und seiner Gruppe trainiert Che in Mexiko für den Guerilla-Kampf. Sie werden verraten und landen in mexikanischem Gewahrsam. Wieder auf freiem Fuß, besteigen sie mit weiteren 80 bewaffneten Rebellen den für 25 Passagiere zugelassenen Seelenverkäufer »Granma«. Trotz aller Warnungen der kubanischen Kommunisten, die den bewaffneten Kampf für zu abenteuerlich halten, stechen sie in eine raue See. Eigentlich sollten Ausländer nicht an Bord, und Che wird ja erst nach dem Sieg der Revolution die kubanische Staatsbürgerschaft erhalten. Aber er wird mitgenommen, schließlich braucht man einen Arzt. Bereits ohne Treibstoff, strandet das leckgeschlagene Schiff am 2. Dezember 1956 in der kubanischen Provinz Oriente. Der Trupp verfehlt zeitlich und räumlich die wartenden Unterstützer, muss schwerbepackt durch unwegsame Mangrovenwälder waten. Die Kämpfer werden von der Küstenwache entdeckt und aus der Luft, später auch zu Lande beschossen. Eine Munitionskiste aufgehuckt, wird Che verletzt, wähnt sich schon verloren und überlebt, weil er von Juan Almeida hochgetrieben wird. Wie der weitere Kampf in der Sierra Maestra verläuft, wie Che von Fidel zum Comandante ernannt wird, die ihm übergebene Kolonne erfolgreich führt und noch die Provinzhauptstadt Santa Clara einnimmt, bevor Diktator Batista und seine Entourage am 1. Januar 1959 aus Kuba fliehen, ist die weltweit erzählte Geschichte eines opferreichen Kampfes für die Ideale der Volksbefreiung. Zweifellos war der Sieg nur mit jenem Höchstmaß revolutionärer Entschlossenheit zu erringen, das Che eigen war.

Was ist revolutionär nach dem Sieg?

Fidel hat Che am 2. Januar befohlen, nach Havanna aufzubrechen und die Militärfestung La Cabana einzunehmen. Das ist am Folgetag erledigt. Fünf Tage später erlebt Che den unbändigen Jubel, als der »Jefe« von den Siegesfeiern in Santiago de Cuba nach triumphalem Marsch durchs Land in der Hauptstadt eintrifft. Es ist eine kubanische Revolution, muss der Argentinier denken. Die besondere Lebensart der Insulaner pulsiert in diesem Sieg. Er selbst steht im Hintergrund, ist nicht der Held der ersten Bilder. Sein Naturell gebietet ihm bei aller Freude Sachlichkeit. Praktisch überdenkt er die nächsten Aufgaben und dringt bei ihrer Lösung auf strenge moralische Standards. Die gelten selbst im Persönlichsten. Als die Eltern ihn in Kuba besuchen und sein Vater die Sierra Maestra im Jeep erkunden will, möchte Che von ihm die Kosten für den volkseigenen Sprit ersetzt haben. Schon wenige Tage nach dem Sieg eröffnet er in La Cabana eine Academia Cultural Militar, damit die oft aus den einfachsten Volksschichten kommenden Kämpfer Lesen und Schreiben sowie das Grundlegendste der Natur- und Gesellschaftswissenschaften lernen. Die Liquidierung der Batista-Armee – »saubere Militärs« können bleiben – bezeichnet er als unabdingbar für die Konsolidierung der errungenen Macht. Mörder und Folterer des alten Regimes, die sich nicht in die USA abgesetzt haben, werden von Revolutionstribunalen abgeurteilt. Che leitet die Berufungsinstanz und bestätigt in extremen Fällen die Todesurteile. Nach einer Verfassungsänderung erhält er die kubanische Staatsbürgerschaft »von Geburt an« und kann somit künftig Staatsämter bekleiden. Nachdem er ein Vierteljahr durch die nichtpaktgebundene Staatenwelt gereist ist, baut er im Nationalinstitut für Agrarreform eine Abteilung für Industrialisierung auf, eröffnet acht Wochen später die Kampagne zur freiwilligen Arbeit in Kuba, wobei er selbst zupackt und überzeugt ist, das Bewusstsein der Arbeiter werde durch die Freiwilligenarbeit am meisten entwickelt. Drei Tage später wird er zum Direktor der Nationalbank ernannt. 1960 explodiert das französische Schiff La Coubre, das belgische Waffen nach Kuba gebracht hat, im Hafen von Havanna. Bei der Trauerfeier für die Toten gelingt dem Fotografen Alberto Korda jenes Bild von Che, das bis heute wie ein revolutionärer Mythos um die Welt geht. Als Chruschtschow in der karibischen Krise die sowjetischen Raketen zurückbeordert, verurteilt Che (mit der kubanischen Führung) Moskaus vermeintlichen Kotau vor den USA. Die Doktrin friedlicher Koexistenz hält er für kontraproduktiv zum nationalen Befreiungskampf der Völker. Er besucht das unabhängig gewordene Algerien, und sein Freund Ben Bella erhält kubanische Militärhilfe. Im Dezember 1964 redet Che, demonstrativ in Rebellenuniform, vor der UNO-Vollversammlung in New York. Danach bereist er drei Monate lang den afrikanischen Kontinent, nur unterbrochen von einer Visite in China. Seine ausgedehnte Afrika-Recherche wird oft als Vorplanung späterer Guerilla-Aktivitäten auf diesem Kontinent angesehen, wobei der ägyptische Präsident Nasser ihm als Weißen von einem solchen Kommando abgeraten haben soll. Die Miseren Afrikas vor Augen, greift Che jetzt deutlicher die »auf gegenseitigem Vorteil beruhenden« Handelsbeziehungen sozialistischer Länder zur Dritten Welt als vermeintliche Komplizenschaft mit imperialistischer Ausbeutung an. Bei seiner Rückkehr nach Havanna sei es, sagen einige Analysten, mit Fidel zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen. Andere meinen, Fidel sei auf den Flughafen geeilt, um Che zu stützen. Wir wissen es nicht, der Gesprächsinhalt blieb geheim. Che aber scheint die Dämmerung längst zu spüren, die zwischen seine ihn zerreibende Ämterarbeit und die Sehnsucht nach der Hitze revolutionärer Platzgewinne getreten ist.

Scheitern zu unreifer Zeit

Seiner Mutter hatte Che prophezeit, er werde den Weg der Volksbefreiung weitergehen, wenn die Gerechtigkeit in Kuba gesiegt hat. Er sucht ihn nun bei den kongolesischen Rebellen. Che verabschiedet sich von Fidel in Freundschaft und mit Respekt vor dessen nationaler Aufgabe: »Andere Völker verlangen nach meinen bescheidenen Bemühungen. Ich kann tun, was Dir verwehrt ist, weil Du als Führer der Revolution in Kuba die Verantwortung trägst.« Er hat aber die ideologischen und materiellen Potentiale überschätzt, die er im Kongo vorfindet. Als der Rebellen-Basis in Kibamba eine Einkreisung durch die Regierungstruppen droht und er von Fidel die Warnung erhalten hat, »alles Menschenmögliche, aber nichts Absurdes« zu unternehmen, ist Ches Einsatz bereits vor Ablauf eines Jahres aussichtslos. Er fühlt sich einsam wie nie, »als wäre ein Ankertau gerissen«. Seinen Bericht über die Mission verfasst er als »Geschichte eines Scheiterns«. Kritisch und selbstkritisch in der Analyse, betrachtet er dennoch die Niederlage als Lektion für künftige Aktionen im Namen des proletarischen Internationalismus. Der Weg in sein altes kubanisches Leben ist versperrt, und er würde ihn auch nicht gehen. Sein Bekenntnis zum Guerillakampf verortet sich wieder in Lateinamerika und zielt auf Bolivien. Fidel hat nach dem Kongo-Desaster für Ches sicheren Zwischenaufenthalt in Prag und seine konspirative Reise nach La Paz gesorgt, von wo aus er in eine geheim eingerichtete Finca als Basis für seinen Rebellentrupp aufbrechen kann. In jener Zeit nicht ausgeräumter Irritationen zwischen der KPdSU und der KP Chinas operieren bereits ein paar kleine unter chinesischem Einfluss stehende und der bolivianischen KP suspekt erscheinende studentische Guerilla-Gruppen im Land. Auseinandersetzungen im Spektrum der nationalen Linkskräfte über die Ausrichtung und politische Führung der anrückenden Che-Abteilung bleiben folglich nicht aus. Die Befürchtungen der dortigen KP orientieren sich an sowjetischen Auffassungen, die damals von den meisten osteuropäischen Bruderparteien der KPdSU geteilt werden: Der Sozialismus braucht für seinen Aufbau friedliche Koexistenz. Aussichtslos geführte Befreiungskämpfe werfen uns alle zurück. Eine revolutionäre Situation muss reifen.

Aber Che und seine kubanischen und bolivianischen Guerilleros gründen Anfang November 1966 das Nationale Befreiungsheer Boliviens (ELN). Gelungenen Aktionen stehen taktische Fehler gegenüber. Bereits zu Beginn erweist sich ein dreiwöchiger Gewaltmarsch, mit dem das schlecht kartografierte Operationsgebiet erkundet werden soll, als moral- und kräftezehrender Fehlschlag. Der Besuch ausländischer Sympathisanten, die später gefasst werden, führt die von der CIA instruierte Regierungsarmee auf Ches Spur. In den nun vorgezogenen Kämpfen ist Hilfe von der einheimischen Landbevölkerung nicht zu erwarten. Die Kämpfer der ELN geraten in einen Hinterhalt. Viele sterben, mit ihnen auch Tamara Bunke, die im kubanischen Geheimauftrag an der Vorbereitung der Guerilla-Mission beteiligt war. Che gerät verletzt in Gefangenschaft und wird in der Dorfschule von La Higuera erst von einem Oberst Selich und anderntags von Félix Rodriguez, einem CIA-Mann, verhört. Wohl um Che das Podium einer Gerichtsverhandlung zu verwehren, erhält der angetrunkene Unteroffizier Mario Terán am 9. Oktober 1967 den Befehl, den meistgesuchten Rebellen Lateinamerikas zu erschießen. In die Kaserne der 8. Armeedivision verbracht, wird Ches Leichnam zur Schau gestellt. Man schneidet ihm die Hände ab als Beweis, dass tatsächlich der gesuchte revolutionäre Satan unschädlich gemacht wurde.

Das unauslöschliche »Presente!«

Unschädlich gemacht? Eine irrgläubige reaktionäre Hoffnung. Was an Che sterblich war, kehrte heim nach Kuba. Die abgeschlagenen Hände und die nahe der bolivianischen Stadt Vallegrande gefunden Überreste, die in Santa Clara, der Stadt seines militärischen Triumphes, beigesetzt wurden. Aber was lebendig war und blieb, hatte Kuba nie verlassen und strahlte nur noch kräftiger in die Welt. Seine revolutionäre Beseeltheit. Die Härte und Opferbereitschaft im Kampf. Zugleich die Sanftheit seines internationalistischen Traums: Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker. Nach der Befreiung Kubas zu unreifer Zeit alles gewagt? Ja, aber Zeiten können reifen, in denen Ches unauslöschliches »Presente« aussichtsreicher nachgerufen wird.

 

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2022-08: Das Beste an ihm ist sein Werk

2022-06: Auf dem Poetenweg durch die Zeit

2021-11: »Keine Atomraketen in Europa!«

2021-08: Linkssein mit Fidel