… oder wir sind verloren, schon in Kürze.
Bundessprecherrat der KPF
Erste Überlegungen des Bundessprecherrates nach den EU-Wahlen
Mit unter drei Prozent sei DIE LINKE nahezu bedeutungslos, so lautete am Tag nach den EU-Wahlen der Kommentar im ZDF-Morgenmagazin. Das kann sich sehr bald als zutreffend erweisen, wenn der politische Kurs unserer Partei in entscheidenden Fragen weiter so realitätsfern bleibt wie im Wahlkampf und bereits davor. Die Friedensfrage wurde faktisch ausgeklammert, mit der Begründung, diesbezüglich sei unsere Wählerschaft gespalten und man konzentriere sich daher auf das einende Thema soziale Sicherheit. Manche Protagonisten meinen gar, der Frieden sei wichtig für ältere potenzielle Wähler, vor allem im Osten. Was für ein Fehlurteil! Der Frieden ist wichtig für alle, die überleben wollen.
Im Deutschlandtrend vom 30. Mai 2024 war daher das Thema Friedenssicherung für 26 Prozent der Befragten das wichtigste und stand somit in der Umfrage an erster Stelle. Das bedeutet nicht, dass ein Viertel der Bevölkerung über dieses Thema das Gleiche denkt; aber es bedeutet wohl, dass eine Partei, die in dieser Frage kneift, für Wählerinnen und Wähler nicht mehr interessant ist. Die hohen Zustimmungswerte für die AfD haben nicht zuletzt etwas damit zu tun, dass ihre Positionen zum Ukraine-Krieg von vielen Menschen als vernünftig empfunden werden. Wer sich mit der Programmatik dieser Partei nie befasst hat und ihre Pro-NATO-Positionen sowie ihre »patriotische« Haltung zur Bundeswehr und deren irrsinniger Aufrüstung nicht wahrnimmt, der hält die AfD für eine Friedenspartei. Ein schlimmer Trugschluss. Noch haben auch wir die extreme Gefährlichkeit des Rechtsrucks in Deutschland und in der EU nicht in ihrer ganzen Tragweite begriffen; dass die AfD als zweitstärkste Partei aus den EU-Wahlen hervorging, ist der Ausdruck einer von einflussreichen Kreisen des Kapitals für denkbar gehaltenen Option, die Reste der bürgerlichen Demokratie auch noch zu schleifen. CDU und CSU werden die sogenannte Brandmauer nach noch weiter rechts auch zukünftig stückchenweise abbauen.
Nur eine linke Partei kann die gesellschaftlichen Ursachen für die Rechtsentwicklung entlarven; nur eine linke Partei kann den Klassencharakter der Kriegsvorbereitungen offenlegen, es sei denn, sie opfert diese Alleinstellungsmerkmale Pseudo- und Augenblicksinteressen – wobei die Parteiführung offensichtlich nicht einmal letztere realistisch eingeschätzt hat. Wir müssen die starken opportunistischen Tendenzen in unserer Politik überwinden, oder wir sind verloren, schon in Kürze.
Natürlich zeigt sich in unserem Wahlergebnis auch die negative Auswirkung des konkurrierenden Wahlantritts des BSW. Die AfD hat lediglich 140.000 Stimmen an das BSW verloren, DIE LINKE eine knappe halbe Million. In allen ostdeutschen Bundesländern ist die AfD mit mehr als 27 Prozent stärkste Kraft geworden, in einigen ländlichen Bereichen hat sie 40 Prozent der Stimmen gewonnen, trotz ebenfalls beachtlicher Erfolge des BSW im Osten.
Es wäre fahrlässig, würden wir unser desaströses Wahlergebnis allein der Parteiabspaltung zurechnen. Wir wiederholen es bewusst: DIE LINKE hat das die Menschen an erster Stelle bewegende Thema der Friedenssicherung als Nebensächlichkeit behandelt. Und als einen Grund hierfür unterstellen wir, dass wir mit unseren friedenspolitischen Grundsätzen potenzielle Wählerinnen und Wähler nicht verschrecken wollten, die – enttäuscht von den Grünen – ihr Kreuz bei uns machen sollten. Trotz der miesen Wahlergebnisse der Grünen hat sich auch das als Fehlkalkulation erwiesen. Dass die Ampelregierung insgesamt deutlich Federn gelassen hat, soll hier nur erwähnt werden. Wer Neuwahlen fordert, nimmt Friedrich Merz billigend in Kauf.
Wahrnehmbarer gegen eine »Kanonen statt Butter«-Politik
Unmittelbar nach den stattgefundenen Wahlen zum EU-Parlament ist eine umfassende Analyse der Wahlergebnisse unserer Partei natürlich noch nicht möglich. Allerdings finden am 1. September 2024, also in nicht einmal einem Vierteljahr, die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen und am 22. September 2024 die in Brandenburg statt. Es ist also schnell zu schlussfolgern, was wir in diesen düsteren Zeiten richtig und was wir falsch gemacht haben. In aller Kürze unsere Auffassung: Es war und es bleibt richtig, der sozialen Frage entscheidenden Raum zu geben. Es war und es bliebe falsch, nur am Rande zu bemerken, dass die enorm zunehmenden sozialen Belastungen für die Bevölkerungsmehrheit mit den rapide wachsenden Kriegsvorbereitungen zusammenhängen, mit der Politik: »Kanonen statt Butter«.
Wer der LINKEN unterstellt, sie sei keine Friedenspartei mehr, ist unredlich. Wenn einzelne ihrer Protagonisten Waffenlieferungen an die Ukraine fordern, so heben sie damit weder Programmpositionen, noch Parteitagsbeschlüsse, noch Mehrheitsmeinungen an der Parteibasis auf. Schlimm genug ist es dennoch. Nicht weniger problematisch ist es, dass unser Eintreten gegen Kriege und für Verhandlungen zu wenig wahrnehmbar ist. Auch hierfür gibt es nicht nur einen Grund. Die Medien verschweigen gerade unsere entsprechenden Positionen, weil dies unseren berechtigten Ruf als Friedenspartei weiter beschädigt. Aber auch wir sind nicht schuldlos an diesem lädierten Ruf. Wir sind zu ängstlich. Es war und es bliebe ein falsches Herangehen, zu sagen: Da es zur Friedensproblematik unter unserer Mitglied- und Wählerschaft unterschiedliche Auffassungen gibt, sprechen wir über das Thema, worüber Einigkeit besteht; über die soziale Frage – als würde der massive Sozialabbau unabhängig von den Kriegsvorbereitungen stattfinden. Dieses Herangehen verunsichert all diejenigen, für die unser Markenkern – unsere friedenspolitischen Grundsätze – das Wichtigste an unserer Partei ist. Und diejenigen, denen unsere friedenspolitischen Prinzipien – aus welchen Gründen auch immer – nicht nachvollziehbar sind, werden uns selbst dann nicht wählen, wenn wir sie nur halbherzig vertreten. Wir leben in schlimmen Zeiten, können nicht wissen, ob wir sie überleben. Da geht nichts für lau. Eigentlich versteht ein jeder, der nicht verdrängt, wie die Lage ist. Warum tun wir uns dennoch so schwer? Die Hauptursache sehen wir in der Befürchtung, für unsere Antikriegspositionen denunziert zu werden; ob es die Ukraine oder den Nahen Osten betrifft. Zu Letzterem hat der Augsburger Parteitag einen vernünftigen Beschluss gefasst.
»Am feinsten«, so Emil Gött, »lügt das Plausible«. Plausibel scheint: Russland führt einen völkerrechtswidrigen Krieg in der Ukraine. Die muss sich daher verteidigen können und braucht demzufolge Waffen, die auch wir ihnen liefern müssen. Hinter diesem Rauchvorhang des Plausiblen, Einleuchtenden verbirgt sich das Schweigen über all jene Entwicklungen – nicht zuletzt die wortbrüchige NATO-Osterweiterung – die zu diesem Krieg in der Ukraine führten, aus dem ein Stellvertreterkrieg zwischen der NATO und Russland geworden ist – ausgefochten auf ukrainischem Boden. Es würde dieses Papier überfordern, versuchten wir, hier Näheres dazu zu beschreiben oder auch zu erklären. Wir verweisen stattdessen zum Beispiel auf die Vorträge von Prof. Gabriele Krone-Schmalz 6. Mai 2024 in Rüdersdorf [1] und am 30. April 2024 in Berlin [2], mit deren Inhalten wir uns weitgehend identifizieren.
Doch wie auch immer wer zu dem Krieg in der Ukraine steht: Wir sollten niemals Verständnis dafür aufbringen, was die Herrschenden hierzulande unter US-amerikanischer Regie im Rahmen der NATO veranstalten. Da ist die ideologische Kriegsvorbereitung. Die Russen wollen Berlin nicht einnehmen. Das haben sie nur einmal getan; nachdem sie 27 Millionen Menschen in einem Vernichtungskrieg verloren haben, der in Berlin geplant und befohlen worden war. 1947 war mit dem »Friedensflug nach Osten« die erste FDJ-Jugenddelegation in der Sowjetunion. Danach waren es Millionen. Viele von uns im Osten können noch aus eigener Erfahrung sagen: Niemals haben wir von sowjetischen Menschen für das, was unsere Großväter und Väter dort verbrochen hatten, auch nur die Spur des Hasses erfahren, im Verhältnis zu dem, was heute an brennendem Hass gegen die Russen geschürt wird. Dafür gibt es keine Rechtfertigung, schon gar nicht in einem Land, welches in zwei Weltkriegen gegen Russland bzw. die Sowjetunion gezogen war.
Doch ideologische Kriegsvorbereitung, das ist noch viel mehr als Russenhass zu erzeugen. »Ich denke, da gibt es sehr viele Elemente, die uns die Damen und Herren beibringen können«, so der Fußballbundestrainer Julian Nagelsmann am 30. Mai 2024 zum »Teambuilding-Event« mit einer SEK-Einheit im Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft in Blankenhain. Hierzu passt: Der Rüstungskonzern Rheinmetall ist beim Fußballbundesligisten Borussia Dortmund als Sponsor eingestiegen. Dazu der BVB-Geschäftsführer Watzke, Sicherheit und Verteidigung seien Eckpfeiler der Demokratie. Deshalb hielten wir (der BVB) es für die richtige Entscheidung, »uns sehr intensiv damit zu beschäftigen, wie wir diese Eckpfeiler schützen«. Und der SPD-Chef Klingbeil kann die Entscheidung des BVB nachvollziehen. Vor Jahren, so Klingbeil bei »Hart aber fair«, wäre das ein Skandal gewesen. Und er scheint es gut zu finden, dass das jetzt »sehr ruhig verlaufen ist«. Klar: Des Kaisers und Hitlers Kriegslieferant und -profiteur schützt heute die Demokratie, und das noch dazu auf extrem profitable Weise. Der Aktienkurs dieser Mordwaffenfabrik stieg auf mehr als das Fünfzehnfache in weniger als zehn Jahren.
Das Tempo, in dem die deutsche Gesellschaft kriegstüchtig gemacht werden soll, ist mehr als beängstigend. Und natürlich fehlt die deutsche Generalität da nicht. Linke nennen das Militarismus und wissen: Der deutsche war und ist besonders aggressiv. Die NATO-Mitgliedschaft hat ihn nicht milde werden lassen. Ganz im Gegenteil! Das Bundeswehr-Manöver Quadriga 2024 wurde im Zusammenhang mit Steadfast Defender 2024, dem größten NATO-Manövers seit 1990, durchgeführt. Quadriga 2024 fand unter anderem ausgerechnet in Litauen statt und sei »ein Signal an unsere deutsche Gesellschaft«, so der Generalinspekteur der Bundeswehr Breuer und betont, die Bundeswehr ginge »konsequent den Weg in Richtung Kriegstüchtigkeit«.
Unsere Partei muss unüberhörbar laut sagen, dass diese Vorbereitung eines nuklearen Infernos ein extremes Verbrechen darstellt und den Traditionen des deutschen Militarismus entspricht. Darauf sollen schon die Kinder eingeschworen werden, wenn z.B. in der ZDF-Kindernachrichtensendung »Logo« auf »kindgemäße« Weise Reklame für die Lieferung deutscher Taurus-Raketen an die Ukraine gemacht wird.
Das waren nur wenige Beispiele dafür, wie Deutschland, das zwei Weltkriege zu verantworten hat, nun auf den Dritten vorbereitet werden soll. Darüber müssen wir hörbarer und überzeugender sprechen und über den Preis, nicht zuletzt den sozialen. Dagegen müssen wir als Teil der Friedensbewegung viel stärker als bisher mobilisieren – schon in den nächsten Wochen im Wahlkampf in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Im Gedicht »Gespräch mit einem Überlebenden« von Erich Fried heißt es: »Nur Eines weiß ich: Morgen wird keiner von uns leben bleiben, wenn wir heute wieder nichts tun.«
Ein Diskussionsangebot
Am 13. Juni 2024 um 18 Uhr wird ein Mitglieder-Zoom zur Auswertung der EU-Wahlen mit den Parteivorsitzenden und den Bundesgeschäftsführern stattfinden. In der Ankündigung dieser Debatte, gezeichnet von Janine Wissler, Martin Schirdewan, Katina Schubert, Ates Gürpinar, heißt es: »Die Zeit, in der wir geeint am Comeback der Linken arbeiten konnten, war noch zu kurz.« Wir fragen uns, ob die Antwort auf unser Wahldesaster erneut Selbstbetrug sein soll? Die Widersprüche in unserer Partei sind doch mit dem Weggang von Sahra Wagenknecht nicht verschwunden. Diejenigen, die beschlusswidrig Waffenlieferungen in die Ukraine fordern, sind doch nicht auch gegangen, um ein herausragendes Beispiel zu nennen. Wir haben uns in dieser Erklärung inhaltlich mit der von der Parteiführung verkannten Hauptfrage, dem Friedensthema, auseinandergesetzt. Es ist ein Diskussionsangebot der Kommunistischen Plattform, nicht zuletzt in Vorbereitung künftiger Wahlen. Wir erwarten, dass der Parteivorstand unsere ersten Überlegungen zu den Ergebnissen der EU-Wahlen und einer entscheidenden Schlussfolgerung daraus in die Vorbereitung des Mitglieder-Zooms einfließen lässt.
Veröffentlicht am Tag nach der Wahl zum EU-Parlament am 10. Juni 2024, siehe kpf.die-linke.de/erklaerungen/.
Anmerkungen:
[1] Gabriele Krone-Schmalz: »Eiszeit. Eisenzeit.«, Vortrag am 6. Mai 2024 in Rüdersdorf, moderiert von Kerstin Kaiser, www.youtube.com/watch.
[2] Gabriele Krone-Schmalz: »Russland und wie weiter?«, Vortrag am 30. April 2024 im Pfefferbergtheater, Berlin, www.youtube.com/watch.