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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Falsche Träume aus Wasserstoff

Lorenz Gösta Beutin, MdB für DIE LINKE

Wirtschaftsminister Peter Altmaier ist Machtpolitiker genug, um zu wissen, wie man den Menschen trotz ungebremster Klimakrise, stotternder Energiewende und Millionen von Klimaschutzdemonstrant*innen ein neues Geschäftsmodell für die Erdöl- und Gasindustrie schmackhaft macht. »Die Zeit für Wasserstoff und die dafür nötigen Technologien ist reif. Sie bieten enorme industriepolitische Potenziale und können neue Arbeitsplätze schaffen. Deshalb müssen wir schon heute die Weichen dafür stellen, dass Deutschland bei Wasserstofftechnologien die Nummer 1 in der Welt wird«, ließ der Ex-Umweltminister und Kanzleramtschef a.D. Anfang November 2019 in der FAZ prominent als Namensbeitrag verkünden. »Die Zeit ist reif«, begründete der enge Vertraute von Kanzlerin Angela Merkel, die im geopolitischen Dauerspagat gerade neue LNG-Flüssiggas-Häfen für US-Erdgas und mit Nord-Stream 2 eine neue Mega-Pipeline für Gas aus Russland bauen ließ, den Wasserstoff-Werbeblock. Und wer mit offenen Augen durch die Städte lief, dem fielen zunehmend Plakatkampagnen von großen Gaskonzernen auf, die mit »klimafreundlichem Gas« das Weltklima retten wollen.

Dass die Zeit eigentlich reif für mehr erneuerbare Energien ist, dass mehr Wasserstoff eigentlich mehr Gas heißt, auch diese in Zeiten des beschlossenen Abschieds von Öl, Kohle und Gas gänzlich unpopuläre Wahrheit hielt Altmaier nicht unter der Decke. »Erdgas hat eine Brückenfunktion. Energieintensive Industrien und der Gebäudebestand brauchen diesen Energieträger. Zweitens: Unsere ambitionierten Klimaschutzziele verlangen, dass der Gasbedarf langfristig durch CO2-freie beziehungsweise CO2-neutrale gasförmige Energieträger ersetzt wird«, kündigte der CDU-Politiker an »jetzt die Weichen für den Markthochlauf von Wasserstofftechnologien zu stellen«. Überall könne Wasserstoff verwendet werden: »Wir wollen langfristig alle fossilen Energieträger durch klimafreundliche erneuerbare Energien ersetzen – nicht nur den Stromverbrauch, sondern auch Wärme und Verkehr.« Und um jeglichen Zweifel über die vermeintliche Klimafreundlichkeit des neuen Wunderenergieträgers zu zerstreuen, fügte Altmaier seinem publizistischen Testballon gleich noch das Versprechen vom »grünen Wasserstoff« hinzu. Dieser rein aus Erneuerbaren Energien gewonnene Wasserstoff könne, »anders als Batterien, als ganzjähriger Energiespeicher dienen, er kann zur Wärmeerzeugung und zur Stahlerzeugung ebenso benutzt werden wie zur Herstellung klimaneutraler synthetischer Kraftstoffe.«

Es kann nicht anders gesagt werden: Hier wurde der Öffentlichkeit ein starkes Stück fossile Politik untergejubelt. Und das ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt: Gerade lag ein Jahr historischer Klimaproteste hinter Deutschland. Die Proteste um Greta Thunberg hatten voll eingeschlagen. Die Antwort der Großen Koalition auf die Massenproteste war mit Kohleausstiegskommission und ihrem Kohleausstieg bis 2038 sowie einem neoliberalen »Klimapaket« allen unabhängigen Beobachtern zufolge deutlich zu wenig, um das Pariser Klimaschutzabkommen auch nur ansatzweise einzuhalten. Zudem lagen 2019 die Klimaziele für 2020 in weiter Ferne. Auch an die EU drohen Milliarden-Strafzahlungen wegen verfehlter CO2-Reduktionen.

Für Altmaier ein scheinbar idealer Moment, um Wasserstoff als Retter aus der Not zu präsentieren. Wenige Monate nach der FAZ-Ankündigung verabschiedet die Bundesregierung tatsächlich eine Wasserstoffstrategie [1]. Zunächst sei gesagt: Ganz als fossiles Teufelszeug sollte Wasserstoff nicht abgetan werden. Überall da, wo Elektroantriebe schlicht unmöglich sind, wie bei Flugzeugen und Schiffen, können aus Wasserstoff gewonnene synthetische Kraftstoffe (Synfuels) in Brennstoffzellen eingesetzt werden. Auch als Speicher für Erneuerbare Energien, Stichwort Dunkelflaute, eignen sich Wasserstoff-Anwendungen. Auch in der Industrie, wo vor allem bei der Stahl- und Zementherstellung viel CO2 durch stoffliche Prozesse entsteht, wird Wasserstoff gebraucht. Und schließlich kann Wasserstoff in der Chemie-Industrie zum Einsatz kommen, um Erdgas und Erdöl als Grundstoff zu ersetzen.

Doch macht die nachhaltige Nutzung von Wasserstoff eben nur dann klimapolitisch Sinn, wenn es sich um »grünen Wasserstoff« handelt. Dieser müsste mit hohem Energieaufwand aus Ökostrom gewonnen werden, der heute und in absehbarer Zeit in den gebrauchten Mengen schlicht nicht zur Verfügung steht. Bei dieser Frage entpuppt sich Altmaiers Wasserstoff-Welt als Mogelpackung. Der Gesamtstromverbrauch, schon heute viel zu hoch, um auf einen grünen Ast zu kommen, müsste auf ein Mehrfaches gegenüber heute ansteigen. Eine bessere Klimabilanz hat Wasserstoff nämlich erst, wenn 70 Prozent des Stroms in Deutschland aus Wind, Solar und Co. gewonnen wird, sprich frühestens 2040 (Stand 2020: 55 Prozent). Bei Wasserstoff-Ersatzbrennstoffen für Diesel und Benzin müssten es 80 Prozent sein, was den Traum von E-Fuels, bei denen der alte Verbrennungsmotor munter weitermachen kann, völlig weltfremd erscheinen lässt. Ganz zu schweigen von der Notwendigkeit, dass Deutschland für seine Wasserstoffstrategie langfristig bis 80 Prozent des Wasserstoffs importieren will aus Ländern, wo Erneuerbare Energien und Wasser knapp sind.

Soll Deutschland wie von Altmaier erträumt über die Wasserstoff-Brücke laufen, so würde die Energiewende, schon heute wegen ihrer hohen und ungerecht verteilten Kosten unter Beschuss, noch teurer. Mehr Stromverbrauch hieße noch mehr Windkraftanlagen, mehr Solarpanele, mehr Netze, mehr Speicher. Der Traum von der Wasserstoff-Welt, in der Autos mit Wasserstoff-E-Fuels (Power to Liquid) fahren, in der die Industrie mit Wasserstoff einfach so weiter macht wie bisher, in der unsere Wohnungen statt mit Erdgas mit Wasserstoff beheizt werden, dieses Szenario rettet im besten Fall das fossile Geschäft von Shell, Gazprom und Amoco. Nicht aber das Klima. Altmaier muss sich die Frage gefallen lassen, warum er solche Wasserstoff-Luftschlösser weiter befeuert. Während der Energiewende, der Elektrifizierung von PKW, LKW und Bahn weiter Steine in den Weg gelegt werden. Der Verdacht liegt nahe, dass dieser Bundesregierung die Milliarden-Profite fossiler Großkonzerne wichtiger sind als mit einer schnellen Energiewende einen fairen und global gerechten Beitrag zur Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens zu leisten.

Lorenz Gösta Beutin ist Energie- und Klimapolitiker der LINKEN im Bundestag. Er kandidiert beim kommenden Parteitag für den Parteivorstand.

Anmerkung:

[1] Im Juni 2020 – Red.