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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Am Ende der rosaroten Welt

Juha Päätalo

Bei den Beschäftigten der Telekom AG schwankt die Stimmung zwischen Ohnmacht und Wut. Viele sehen sich in ihrer Existenz bedroht. Vier vom Standort München schildern hier ihre Lage.

Die vier Hochhäuser in der Dingolfinger Straße in München, unweit des Ostbahnhofs, tragen ein graues Kleid aus Aluminium. Sie ragen hoch in den Himmel, und ganz oben, im 14. Stock, verbindet eine Brücke den dritten Turm mit dem vierten. Mit dem rosaroten "T" unten vor den Türmen sieht das Ganze aus wie ein Monolith der schönen neuen Kommunikationswelt. Innen erinnern die Großraumbüros, in denen der Kundenservice der T-Com in München mit seinen 3.000 Mitarbeitern zu Hause ist, an Aquarien: Jedes wird von Glaswänden in kleinere Einheiten geteilt. Man sitzt eng zusammen an Tischen aus hellem Holz, auf denen keine Fotos der Kinder zu sehen sind, nicht mal Kaffeetassen. Das hat der magentarote Konzern den Mitarbeitern verboten. Die Tische sollen aufgeräumt sein, damit am nächsten Tag ein anderer dort Platz nehmen kann.

Im 12. Stock des Turms mit der Hausnummer 9, im vorletzten Aquarium links, ist der Arbeitsplatz von Gordana Djordjevic-Stankov. Die 32-Jährige mit dunklen Haaren und lebendigen Augen bearbeitet mit 37 Kolleg/innen in ihrer Abteilung die schriftlichen Beschwerden der Kunden. Sie gibt Gutschriften ein, sucht den Kunden gegenüber einen milden Ton. In ihrer eigenen Arbeitswelt kann sie das aber nicht mehr. "Hier hat jeder Existenzangst", sagt sie. "Du kommst morgens rein und siehst nur bedrückte Menschen."

Djordjevic-Stankov hat lange geschwankt zwischen der Angst um ihren Arbeitsplatz und der Wut, die sie zu lautstarkem Protest treibt. Beim Warnstreik hat sie dann doch vor der versammelten Münchner Presse gesprochen, im Kolpinghaus in der Münchner Innenstadt. Als der Saal wieder leer ist und alles leise, wirkt sie immer noch aufgewühlt, überrollt von den Ereignissen der vergangenen Stunden, Tage, Wochen.

Die Telekom war die Chance ihres Lebens


"Ich spüre Wut", sagt Djordjevic-Stankov. "Aber auch Hilflosigkeit." Zur Zeit bekommt sie 1.050 Euro netto in die Hand. Das reicht gerade so, um mit ihrem zehnjährigen Sohn über die Runden zu kommen. Und wenn Telekom ihre Forderungen durchsetzt? "Dann weiß ich nicht mehr, was ich tun soll", sagt sie mit feuchten Augen. "Ich war schon mal Sozialhilfeempfängerin, und das ist nicht schön. Mein Sohn möchte jetzt ins Gymnasium, hat Ziele vor Augen. Ich weiß aber nicht, ob ich ihn unterstützen kann. Als ich neulich Geburtstag hatte, habe ich ihn zum Essen eingeladen. Da hat er nur gefragt: ,Mama, haben wir überhaupt das Geld dafür?‘"

Es gab eine Zeit, da war die Telekom für Djordjevic-Stankov die Chance ihres Lebens. "Als ich 2001 im Bewerbungsgespräch saß, haben sie mich gefragt, warum ich zu Telekom will", erzählt sie. "Da habe ich geantwortet: Weil ich Kunde bin und weiß, woran es hapert. Ich wollte es besser machen mit dem Service. Und damals haben sie mir gesagt, daß sie genau solche Leute wollen." Sie hat im T-Punkt geschuftet, oft mehrere Schichten, weil kein Personal da war. Als Folge hat sie jetzt einen mehrfachen Bandscheibenvorfall. "Ich habe den Buckel krumm gearbeitet für diesen Konzern", sagt sie. "Und was habe ich nun davon?"

Diese Frage stellt sich auch Steffi Langzettel. Als sie nach ihrer Ausbildung zur Kommunikationselektronikerin mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag übernommen wurde, war die rosarote Welt noch in Ordnung. Es war 2001 und Langzettel in Frankfurt an der Oder. "Ich war so stolz, meine Berufsklamotten zu tragen und dabei zu sein in diesem großen Konzern, wo du keine Angst haben mußt, gleich wieder rausgeworfen zu werden", erinnert sie sich. "Aber mittlerweile lebt man nur von Tag zu Tag, kann nichts mehr planen, die Zukunft schon gar nicht."

Jeder neue Chef macht das Unternehmen weiter kaputt

Heute trägt die 25-jährige Monteurin keine Telekom-Klamotten mehr, sondern Baseball-Kappe und Piercing im linken Mundwinkel. Ihr Motorrad steht an diesem sonnigen Warnstreiktag im April gleich neben ihr. "Auf das Unternehmen kann ich nicht mehr stolz sein, besonders auf die Spitze nicht. Jeder neue Chef macht das Unternehmen nur noch ein Stück weiter kaputt", sagt sie. "Bisher wurden in jeder Umstrukturierung Leute, die Ahnung hatten, durch solche ersetzt, die keine Ahnung hatten. Das hat nur Chaos verursacht."

Im Streik der nächsten Wochen will Langzettel um ihre 1.600 Euro Nettogehalt kämpfen, glaubt aber, daß sie am Ende auf etwas verzichten muß. Für den Fall, daß die Telekom ihre Forderungen komplett durchsetzt, spielt sie auch mit dem Gedanken von einem neuen Leben. Im Ausland, mit einer Ausbildung, die etwas mit Kunst zu tun hat. "Ich habe ja noch Träume, ich will vorwärts kommen", sagt sie. "Aber hier sieht es eher so aus, als müßte ich rückwärts gehen." Sie fürchtet, wieder in ein WG-Zimmer ziehen und ihr Motorrad verkaufen zu müssen, für das sie vier Jahre lang gespart hat. "Für einen Neuanfang wäre ich aber bereit, auch das zu tun", sagt sie. "Ich bin ja jung und flexibel."

Adolf Feckl ist es nicht mehr. Der 45-Jährige hat Frau, Haus und zwei Kinder im Alter von 18 und 15 Jahren. Vor 30 Jahren hat er eine Lehre als Fernmeldehandwerker gemacht. Heute koordiniert der Mann mit kurzen grauen Haaren und einem markanten Gesicht die Planungsstelle für Datenleitungen. Feckl verdient nicht schlecht, über 2.100 Euro netto. Selbst die 300 Euro, die er durch die Kürzung um neun Prozent verlöre, würden für ihn kein Verhungern bedeuten. Trotzdem wirkt er durch die aktuelle Situation wie gelähmt. "Mein Jahrgang ist absolut beschissen dran", sagt er. "Die Jungen können weg, die Alten in die Rente. Aber ich bin 45 und schwerbehindert, ich finde sonst gar nichts mehr."

Die Bundesregierung hat zugestimmt

Feckl, der seit 1986 unter einer chronischen Darmentzündung leidet, hat doppelte Angst um seinen Arbeitsplatz. Zum einen weiß er, daß die verbesserte Technologie mit dem Namen "Next Generation Networks" in den nächsten fünf Jahren jeden zweiten Arbeitsplatz in der Infrastruktur für Datenübertragung überflüssig machen wird. Zum anderen hat er das Gefühl, daß es der Bundesregierung nur recht ist, wenn Telekom Arbeitsplätze abbaut, schließlich hat sie als größter Telekom-Aktionär dem Ausgliederungsplan von Obermann zugestimmt. "Deutschland wird zu einem Billiglohnland gemacht, mit Einverständnis der Politik", sagt er. "Sie vernichten Arbeitsplätze, und alle schauen nur zu. Das ist eine Riesensauerei."

Von Gustav Schwab wird man keinen so emotionsgeladenen Kommentar hören. Scheinbar unberührt analysiert der 52-jährige Monteur die Situation. "Aus seiner Sicht macht Obermann genau das Richtige", sagt er. Und: "Eigentlich hat Telekom eher zeitverzögert auf die Änderungen auf dem Arbeitsmarkt reagiert." Dabei ist die Stimme des Mannes mit Halbglatze und den kleinen Augen hinter der runden Brille verblüffend ruhig.

In Deutschland wird die Armut wieder eingeführt

Schwab sieht sich im klassischen Klassenkampf. Arbeitgeber gegen Arbeitnehmer. Kapital gegen Arbeiterklasse. Diese Kategorien waren auch bei Schwab fast im Museum gelandet. Bis vor zwei Jahren. "Ich habe Hartz IV als eine persönliche Kriegserklärung verstanden", erzählt Schwab. "Ich komme aus bitterarmen Verhältnissen, wir hatten in der Kindheit Eis an der Wand im Schlafzimmer. Dieser Armut bin ich entkommen, aber plötzlich habe ich bemerkt, daß die Armut in Deutschland wieder eingeführt wurde. Durch Schröder."

Als er dann noch erzählt, daß sein Verhältnis zum Arbeitgeber seit Jahren gebrochen sei, durch viele Vertrauensbrüche und Mobbing, beginnt man zu ahnen, daß hinter seiner scheinbaren Abgeklärtheit jede Menge Wunden stecken. Und Emotionen, die ihn antreiben. Es muß ja einen Grund geben, warum ihn Hartz IV so empört hat, wo er doch selber gar nicht betroffen ist.

"Der Grund ist, daß ich einen Sohn habe ...", beginnt Schwab, aber dann schießen ihm die Tränen in die Augen. Mehrere Minuten bleibt er erst mal still. "Die Frage ist, was man ihm antut, wenn man sich nicht wehrt", fährt er dann fort. "Ich habe da schon die Kontinuität meiner Kindheit gesehen." Schwabs Sohn ist jetzt sieben Jahre alt. Er erzählt, wie er dem Jungen Michael Endes Momo vorgelesen hat. "Und jetzt geht er gern mit zum 1. Mai, weil wir da gemeinsam gegen die grauen Herren kämpfen", sagt Schwab und lächelt.

Schwab sagt, daß er in seinem Kampf gegen den Arbeitgeber keine Angst hat. Und wenn schon, dann geht er eine Stunde in den Wald radeln, dann ist alles wieder in Ordnung. "Ich habe mir für diesen Streik als Ziel gesetzt, daß wir nicht nur die Gehälter behalten, die wir jetzt haben, sondern danach auch die normale Lohnerhöhungsrunde gewinnen", sagt Schwab. "Es ist gar nicht so, wie viele Kollegen glauben, daß der Kompromiß zu unseren Lasten gehen muß."

Schwab scheint sich auf den Streik zu freuen, so wie sich ein Boxer auf das Duell im Ring freut. Er ist sich auch bewußt, daß es teuer werden kann. "Es wird mindestens sechs Wochen dauern", meint Schwab. "Es kann auch sein, daß es so lange dauert, daß keine Streikgelder mehr bezahlt werden können. Auch das muß man dann durchstehen. Alles hängt von unserer Stärke ab."

Aus: ver.di-Publik, Mai 2007


Weshalb die Luft brennt

Der Grund für Angst und Wut bei der Telekom ist der Plan des Vorstandschefs René Obermann, mehr als 50.000 Mitarbeiter in drei neu zu gründende Gesellschaften unter dem Namen T-Service GmbH auszugliedern. Dabei ist eine Umstrukturierung nichts Neues bei der Telekom. Seit der Privatisierung 1995 hat der Kundenservice 18 Umorganisationen mitgemacht, statistisch alle neun Monate eine. Aber noch nie war die Aussicht so bedrohlich wie jetzt. Nach Obermanns Plan sollen die Mitarbeiter ab Juli für neun Prozent weniger Lohn vier Stunden mehr pro Woche arbeiten. Und bis Ende 2010 auf jede Lohnsteigerung verzichten. Dazu soll die Arbeitszeit im Kundenservice erst beim Einloggen ins System beginnen, im Außendienst erst bei der Ankunft beim Kunden. Auf den Stundenlohn gerechnet bedeutet all das einen Verlust von insgesamt über 40 Prozent. Zudem wird befürchtet, daß die Ausgliederung nur der Anfang ist, und T-Service irgendwann komplett verkauft wird. Dann droht vielen Beschäftigten wohl endgültig der Hungerlohn.