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4. Tagung der 19. Bundeskonferenz

Kämpfen lohnt immer

Thomas Hecker, Bundessprecher der KPF: Referat auf der 4. Tagung der 19. Bundeskonferenz der Kommunistischen Plattform

 

Liebe Genossinnen, liebe Genossen, auf unserer Bundeskonferenz am 8. Dezember 2018 haben wir uns ausführlich mit der Rolle der LINKEN als Friedenspartei befasst. In den seither vergangenen vier Monaten stieg unsere Verantwortung als Partei des Friedens noch einmal rapide an. Mit dem Austritt der US-Regierung aus dem INF-Vertrag hat sich die Gefahr eines atomaren Infernos weiter erhöht. Manche meinen nun, die Russen hätten ja das Gleiche getan – nur etwas später. Auf das »etwas später« kommt es allerdings an. Die Russen haben reagiert. Jeder, der die Russen und auch Angehörige anderer Völkerschaften der früheren Sowjetunion näher kennengelernt hat, weiß, dass die Menschen dort sich eins geschworen haben: Nie wieder werden wir uns durch einen Überfall überraschen lassen. Und so, wie das Trauma jüdischer Menschen akzeptiert werden muss, so ist das Trauma der Menschen nicht nur der russischen Föderation, sondern ebenso der Bewohner anderer ehemaliger Sowjetrepubliken zu akzeptieren, die insgesamt 27 Millionen Opfer zu beklagen haben. Ja, die Gegenreaktion der Russen am 2. Februar war hart und bestimmt. Fast immer weggelassen in der hiesigen Berichterstattung wurde allerdings die abschließende Bemerkung in Putins Rede bei seinem Treffen mit dem Außenminister der Russischen Föderation Lawrow und dem Verteidigungsminister Schoigu: »Wir gehen davon aus, dass Russland […] weder in Europa noch in anderen Regionen der Welt Waffen kurzer und mittlerer Reichweite stationieren wird, solange solche Waffen aus amerikanischer Produktion in den entsprechenden Regionen der Welt nicht auftauchen werden.«[1]

Das ist ein ganz klarer Appell an die europäischen NATO-Staaten, sich dem US-amerikanischen Wahnsinn entgegenzustellen. Gegenwärtig geschieht das Gegenteil davon. Realisiert wird eine NATO-Investition, die »zu einem Programm zur Modernisierung von etwa 250 Infrastrukturobjekten in ganz Europa [gehört]. Häfen, Bahnlinien, Straßen und Brücken sollen für den Transport von Militärgerät ›ertüchtigt‹ werden. All dies soll bis 2021 fertiggestellt werden. Dann will die NATO im Rahmen einer ›Bereitschaftsinitiative‹ fähig sein, innerhalb von 30 Tagen 30 Bataillone, 30 Staffeln Kampfflieger sowie 30 Kriegsschiffe kurzfristig nach Osten zu verlegen.«[2] Gegen solch verhängnisvolle Entwicklungen muss mit aller Kraft gekämpft werden, so auch am bevorstehenden Wochenende im Rahmen der Ostermärsche, zu denen auch wir in den bis dahin verbleibenden Tagen weiter mobilisieren müssen.

Programmatische Grundsätze beibehalten

Wir haben Genossen Bernd Biedermann, seinerzeit Oberst der NVA, gebeten, heute über Parallelen zwischen den Auseinandersetzungen um den sogenannten NATO-Doppelbeschluss von 1979 bis 1983 und den gegenwärtigen, nicht zuletzt aus dem US-Austritt aus dem INF-Vertrag resultierenden Auseinandersetzungen zu referieren. Von uns daher an dieser Stelle nur noch einmal eine grundsätzliche Bemerkung zur Verantwortung der Partei DIE LINKE für den Friedenskampf hierzulande. Der Frieden, das ist eine Binsenweisheit, ist entscheidend für die Fortexistenz der menschlichen Zivilisation. Deutschland ist die erste Macht in der Europäischen Union. Es hat einen unverwechselbaren Einfluss auf das Verhältnis zwischen der EU und Russland. Dieses Verhältnis ist von elementarer Bedeutung für den Weltfrieden. Im Guten wie im Schlechten. Das während der letzten Jahrzehnte vernunftbetonte Verhältnis der BRD zu Russland hat sich in den vergangenen Jahren enorm verschlechtert, maßgeblich durch den verheerenden Einfluss der US-amerikanischen Politik und die jegliche russische Interessen ignorierende Ukraine-Politik der EU. Doch das politische Agieren der BRD entspricht nicht der diesbezüglichen Stimmung der Bevölkerungsmehrheit. Nehmen wir nur ein aktuelles Beispiel. Im ZDF-Politbarometer vom 8. Februar 2019[3] zeigten sich 56 Prozent der Befragten wegen Putins Politik stark besorgt. Wegen Trumps Politik 82 Prozent, also fast anderthalbmal so viele. DIE LINKE kann diesen Stimmungen parlamentarisch und außerparlamentarisch Einfluss verleihen, wenn sie sich nicht von den völlig untauglichen Erwägungen der Äquidistanz leiten lässt. Es geht um die Beibehaltung unserer programmatischen Grundsätze, die besagen: »Wir fordern die Auflösung der NATO und ihre Ersetzung durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands, das Abrüstung als zentrales Ziel hat. Unabhängig von einer Entscheidung über den Verbleib Deutschlands in der NATO wird DIE LINKE in jeder politischen Konstellation dafür eintreten, dass Deutschland aus den militärischen Strukturen des Militärbündnisses austritt und die Bundeswehr dem Oberkommando der NATO entzogen wird. Wir fordern das sofortige Ende aller Kampfeinsätze der Bundeswehr.«

Soweit das Erfurter Programm. Eine solche programmatische Aussage ist gleichbedeutend mit der Ablehnung des sogenannten Verteidigungsbündnisses NATO. Und das besagt zugleich, dass unsere Partei nicht der Auffassung ist, dass Deutschland von außen bedroht wird, dass sie gegen jedwede Auslandseinsätze der Bundeswehr ist und auch die Responsibility to Protect strikt ablehnt. Das gilt auch im Zusammenhang mit einem Antrag an den Deutschen Bundestag, den 25. Jahrestag des bestialischen Völkermordes in Ruanda betreffend.

Anträge zu Russland und Venezuela im Bundesausschuss angenommen

Das Parteiprogramm wurde im Oktober 2011 beschlossen. Offenkundig soll es revidiert werden. Schon auf dem Leipziger Parteitag wurde ein entsprechender Versuch gestartet. Und darum ging es letztlich auch vor sieben Wochen auf dem Bonner Parteitag. Der Bundessprecherrat der KPF hat am 25. Februar 2019, unmittelbar nach dessen Abschluss, eine Einschätzung des Parteitages »Bonn und die Gesslerhüte« veröffentlicht. Sie ist in unseren März-Mitteilungen dokumentiert. Heute und hier soll nur das erste, in dieser Erklärung gezogene Fazit wiederholt werden. Dort heißt es: »Der Parteitag hat einen weiteren Schritt in Richtung Äquidistanz getan. Wir müssen feststellen, dass dies die friedenspolitischen Prinzipien der Partei berührt, weil hiermit die Verantwortung vor allem der US-geführten NATO, aber auch der EU für die zunehmende Gefährdung des Weltfriedens relativiert wird. Wenngleich der Parteitagsverlauf für nicht wenige Genossinnen und Genossen demotivierend sein wird, bitten wir darum, die in diesem Jahr anstehenden Wahlkämpfe nicht zu vernachlässigen. Denn dies würde bedeuten, den innerparteilichen Auseinandersetzungen einen größeren Stellenwert einzuräumen als dem Kampf gegen Rechts. Wir müssen beides leisten: Für die Partei kämpfen, wenn es um ihre gesellschaftliche Rolle auf der Basis des Parteiprogramms geht, und in der Partei kämpfen gegen die offenkundig zunehmenden Bestrebungen, sich von elementaren Programmpositionen, die friedenspolitischen Prinzipien und die EU betreffend, zu verabschieden.«

Darum geht es. Die Enttäuschung, die mit dem Bonner Parteitag einhergeht, ist doch kein Grund, aufzugeben. Sie ist vielmehr ein Grund, das Ringen um die Beibehaltung des Erfurter Programms zu intensivieren. Das zeigte sich auch auf der Sitzung des Bundesausschusses am 10. März 2019. Dort wurden sowohl unser Antrag »Für friedliche Beziehungen zu Russland – der Vergangenheit und der Zukunft wegen« als auch der von der KPF unterstützte Antrag von Cuba Sí gegen die Einmischung in die inneren Angelegenheiten Venezuelas mit deutlicher Mehrheit angenommen. Gleiches geschah mit dem Antrag »Nein zum neuen Polizeigesetz Brandenburg«. Wir haben diese drei Beschlüsse in unseren April-Mitteilungen dokumentiert und in diesem Kontext den Werdegang unseres Russlandantrages. Es würde heute den Rahmen sprengen, zu schildern, wie die entsprechenden Tagesordnungspunkte im Bundesausschuss abgehandelt wurden. Aber wir können hier versichern: Ohne Kampf war das Abstimmungsergebnis nicht zu haben. Und es ist von prinzipieller politischer Bedeutung, dass die Anträge zu Russland und Venezuela angenommen wurden. Ein anderes Ergebnis wäre ein Desaster gewesen. Also: Kämpfen lohnt immer.

Unsere Wahlempfehlung

Manche sagen uns, ihr habt schon so viele Niederlagen erlitten. Ihr seid doch Illusionisten, wenn ihr politische Erfolge, die weitaus seltener sind, immer wieder schätzt. Mag sein – die Antwort ist der Geschichte vorbehalten. Wir fragen heute: Aber ist es denn illusionsfrei, denen die Partei zu überlassen, deren höchstes irdisches Streben vermutlich darin besteht, irgendwann – möglichst aber schon 2021 – in einer Bundesregierung mitzumachen? Was wäre damit geregelt, die Partei zu verlassen oder sie nicht mehr zu wählen? Nichts! Also ist es eine Illusion, anzunehmen, damit politisch irgendetwas voranzubringen. Ja, auszutreten ist eine Protestform, die denen, die bleiben, den Kampf in der Partei überlässt und erschwert. Manche sagen uns, euer Kampf ist doch sinnlos. Wir antworten: Solange DIE LINKE Friedenspartei bleibt, solange sie eine verlässliche antifaschistische Kraft ist, solange sie, trotz aller opportunistischen Sünden, die sie in Landesregierungen auch begeht, für soziale Gerechtigkeit steht, solange lohnt es sich, in dieser Partei für diese Partei zu kämpfen. Und – das mag für manche nach dem Bonner Parteitag provokant klingen – sie zu wählen. Welche Wahlempfehlung soll denn gegeben werden für Sachsen, da die AfD dort die stärkste Partei zu werden droht? Welche für Thüringen, wo ein offener Faschist an der Spitze dieser Partei steht? Welche Empfehlung wollen wir denn geben für den 26. Mai 2019? Bleibt zu Hause? Und wir wollen hier auch in aller Offenheit sagen: Es gäbe natürlich inhaltlich wählbare Alternativen. Nur werden die in keines der Landesparlamente kommen und ebenso nicht ins Europaparlament. Wir haben nicht schlechthin zu entscheiden, wen wir wählen. Wir haben zu entscheiden, ob die Linken – nicht nur DIE LINKE – noch eine wahrnehmbare Stimme haben oder an ihrer Zersplitterung zugrunde gehen. Wenn die LINKE in der Bedeutungslosigkeit versunken wäre, könnte sie nicht nur nichts mehr falsch machen, sie machte auch nichts mehr richtig. Nehmen wir Frankreich und zitieren aus der jungen Welt: »Ohne gemeinsame Wahlplattform, das wissen die Protagonisten des linken Lagers …, werden sie nicht nur bei den EU-Wahlen, sondern auch bei den auf nationaler Ebene folgenden Abstimmungen verlieren. Eine neue linkspolitische Formation … bemüht sich seit zwei Monaten unter dem Namen ›Place publique‹ um ein linkes Wahlbündnis. Eine [hierzu] … einberufene Konferenz endete allerdings ohne Ergebnis. Melenchon und die Spitzen der PS schlugen die Einladung schlichtweg aus. … Melenchon, der bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2017 noch als aussichtsreicher, ernst zu nehmender Kandidat ins Rennen gegangen war, erreicht derzeit nicht einmal zehn Prozent und dümpelt mit rund acht Punkten einer klaren Niederlage gegen … Le Pen entgegen.«[4]

Solche Tatsachen, die sich besonders bitter auch in Italien zeigen, sollten uns Warnung sein. Die Rechten marschieren in Europa und die Linken haben dem wenig entgegenzusetzen. Wir haben in diesem Moment – da wir das sagen und Euch einen entsprechenden Beschlussentwurf vorlegen – schon eine recht präzise Vorstellung, welche E-Mails uns zu unserer Aufforderung, DIE LINKE zu wählen, erreichen werden. Deshalb sei prophylaktisch bemerkt: Wir plädieren nicht deshalb dafür, DIE LINKE zu wählen, weil wir irgendwelche Posten anstreben. Unsere Interessen leiten sich von den politischen Notwendigkeiten ab, die wiederum der gefährlichen Situation geschuldet sind, in der wir leben. Und die dringlichste Aufgabe unserer Zeit ist der Kampf um die Erhaltung des Weltfriedens, der damit beginnt, die maßgeblichen Verantwortlichen für die entstandene weltpolitische Lage zu benennen. Dies zu tun, ist die vielleicht maßgeblichste gesellschaftliche Funktion aller Linken.

»Wär ich nicht arm, wärst Du nicht reich.«

Jedes Land vertritt zuvörderst seine Interessen. Das ist zunächst einmal normal. Problematisch wird es, wenn ein Land seine Interessen unter Missachtung der Interessenslagen anderer mit jeglichen Mitteln durchzusetzen trachtet. Für dieses rücksichtslose Agieren steht heutzutage niemand auch nur annähernd so, wie die USA mit der NATO im Schlepptau. Wer dies anerkennt, kann auf dieser Basis durchaus sachliche Kritik an anderen Mächten üben, zum Beispiel an Russland oder China. Wer dies nicht anerkennt und stattdessen meint, es gäbe keinen Hauptschuldigen an der gefährlichen Weltlage und es sei nur objektiv, alle zu kritisieren, der entzieht sich der Parteinahme im Friedenskampf. Doch ohne Parteinahme gegen den US-Imperialismus und jene, die ihm vasallengleich folgen, gibt es keinen ernsthaften Kampf um das Überleben der Zivilisation.

Die Gefährdung des Weltfriedens ist die mörderischste Konsequenz aus der Jagd nach Profit. Die Umweltzerstörung, gegen die sich die Bewegung »Fridays for Future« so eindrucksvoll wehrt, ist ebenso ein Resultat dieses Wahnsinns. Und es ist untrennbarer Bestandteil des Wirkens des Profitmechanismus, dass das Gemeinwesen zerstört wird durch die immer tiefer werdende Kluft zwischen den Besitzenden und den unter deren Ausbeutung Leidenden. Diese soziale Destruktion wird begleitet von einem internationalen Rechtsruck, der letztlich eines bewirken soll: Die Klassenfrage zu verschleiern durch die Demagogie, das Völkische sei die Lösung der anstehenden Probleme während die Migranten der maßgebliche Teil dieser Probleme seien. Um die prinzipielle Bedeutung dieser verschleiernden Herangehensweise zu unterstreichen, sei hier aus der dritten Erklärung Mussolinis vom 23. März 1919 zitiert: »Unsere westlichen Zivilisationen, beginnend mit der deutschen, sind feuerfest. Wir erklären dem Sozialismus den Krieg, nicht weil er sozialistisch ist, sondern weil er der Nation widerspricht.«[5]

Voraussetzung für wirksamen Antifaschismus ist daher, die Klassenfrage nicht zu verschweigen, die ihren eklatantesten Ausdruck in stetig wachsender sozialer Polarisierung findet. Nicht zu verschweigen ist ebenso das Maß der Bespitzelung, auch, um jeden Widerstand im Keim ersticken zu können, sollte den Herrschenden das nötig erscheinen. Sie bauen ohnehin schon vor; denken wir nur an die Aberkennung der Gemeinnützigkeit z.B. für Attac, weil sich der Verein politisch betätigt. Ähnliches droht dem VVN-BdA NRW, dem unsere besondere Solidarität gilt. Das Kapital ist in vielerlei Hinsicht ein scheues Reh. Die Kluft zwischen Arm und Reich hat im Jahr 2019 gefährlich zugenommen. Man kann es auch anders formulieren: Der Grad der Ausbeutung hat sich enorm erhöht, der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit spitzt sich spürbar zu.

Kurz vor Beginn der Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums in Davos stellte Oxfam in einem Bericht vor, dass das Vermögen der Milliardäre um durchschnittlich 2,5 Milliarden US-Dollar pro Tag gestiegen ist. Das ist ein Plus von 12 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Indes, so Oxfam, habe die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung 11 Prozent – also 500 Millionen US-Dollar – pro Tag verloren.[6]

Es ist pervers: Diese ärmere Hälfte – also ca. 3,4 Milliarden Menschen – verliert in etwa 4 Tagen so viel, wie 2.000 Milliardäre an einem Tag hinzu bekommen. Stellvertretend für letztere sei nur einer benannt. Das Vermögen von Amazon-Chef Jeffrey Bezos, dem reichsten Mann der Welt, ist 2018 auf 112 Milliarden US-Dollar angewachsen. Zum Vergleich: Das Gesundheitsbudget Äthiopiens entspricht einem Prozent seines Vermögens.[7] Die Zahl der Milliardäre hat sich in den vergangenen zehn Jahren weltweit nahezu verdoppelt. Es entspricht der Logik der Profitmaximierung, dass sich das Tempo, in dem extreme Armut abnimmt, seit 2013 halbiert hat.

Genau diese Logik wird bestritten. Die von Oxfam geschilderte Ungleichheit sei ein »Dauerlamento der Hilfsindustrie«, ist in der FAZ vom 21. Januar zu lesen. Ohne auf die Fakten einzugehen, behauptet deren Wirtschaftsredakteur Plickert, den »PR-Profis von Oxfam« sei nur daran gelegen, »Schlagzeilen zu kreieren«. Andreas Peichel vom unternehmernahen Münchner Ifo-Institut kommentiert: »Es stimmt auf jeden Fall nicht, dass die Armen immer ärmer werden, weil die Reichen reicher werden.«[8]

Solche Kommentare verweisen darauf, dass das Kapital nichts so sehr fürchtet, wie die Entlarvung des Tatbestandes, dass Ausbeutung Reichtum und brutale Ausbeutung horrenden Reichtum schafft. Doch schon Brecht wusste:

»Reicher Mann und armer Mann
Standen da und sahn sich an.
Und der Arme sagte bleich:
Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.«[9]

Antikapitalistische Aufklärung und Mobilisierung beginnt bei der Benennung ebendieses Zusammenhangs, auch hierzulande.

Aufklären in verständlicher Sprache

Auch in Deutschland ist die Vermögens- und Einkommensungleichheit auf hohem Niveau, die Armutsquote befindet sich sogar auf einem Höchststand: Das reichste Prozent der Deutschen verfügt laut Oxfam über ebenso viel Vermögen, wie die 87 ärmeren Prozent der Bevölkerung. Im Oxfam-Bericht heißt es dann, extreme Ungleichheit sei jedoch kein Naturgesetz, sondern Folge einer verfehlten Politik und diese Politik müsse im Jahr der Europawahl verändert werden.[10]

Wir wissen: Nicht in verfehlter Politik liegt die Hauptursache für extreme Ungleichheit. Betrachtet man die Politik unter dem Aspekt von Kapitalinteressen, so ist sie überhaupt nicht verfehlt. Sie begünstigt Ausbeutungsverhältnisse. Es ist dieses Ausbeutungssystem, welches Kriege am laufenden Band gebiert, Fluchtbewegungen in bisher ungekanntem Ausmaß, high-tec-gestützte Repression und eine Umweltzerstörung sondergleichen. Man sollte annehmen, weil jeder das sehen kann, kann es auch jeder wissen. Doch dem ist nicht so.

In einem nd-Interview vom 15./16.12.2018 wird der Intendant der Münchener Kammerspiele Matthias Lilienthal von Hans-Dieter Schütt gefragt, ob ihm die Begriffe »links« und »rechts« etwas sagen. Die Antwort Lilienthals lautet: »Mich interessieren Koalitionen jenseits dieser alten Linien links oder rechts.« Und Lilienthal weiter: »Seltsam: Unternehmerverbände sind sich mit linken Gruppen einig im sehr praktischen Einsatz für Flüchtlinge, und in gleichem Maße sind sich andere Linke mit AfD-Nahen einig im Willen zur Begrenzung. Die neue Konflikt-Frontlinie ist: National oder internationalistisch; national oder global.«[11]

Ist es wirklich gleichgültig, dass sich Linke aus völlig anderen Gründen für Flüchtlinge einsetzen, als es Konzernbosse tun? Die einen sind Menschenfreunde und die anderen wollen – menschenfeindlich – bestmögliche Bedingungen für Profitmaximierung: Billigste Arbeitskräfte und daraus resultierend einen immer weiter wachsenden Niedriglohnsektor. Machen diejenigen, die auf diesen Tatbestand verweisen, gemeinsame Sache mit der AfD und anderen Faschisten? Natürlich nicht. Allerdings müssen sie sich einer Gefahr bewusst sein, sonst wird es kritisch: Wird die Aufklärung über den Pseudointernationalismus des Kapitals verbunden mit Überlegungen der Zuwanderungsbegrenzung, so begibt man sich auf sehr dünnes Eis. Niemals darf die Entlarvung von Kapitalinteressen eine Schnittmenge mit völkischen »Lösungs«-Ansätzen bieten. Die Linke braucht keinen wie auch immer gearteten Populismus, sondern muss sich um die Fähigkeit bemühen, über gesellschaftspolitische Zusammenhänge in verständlicher Sprache aufzuklären. Verkürzungen helfen da nicht weiter.

Der italienische marxistische Philosoph Stefano G. Azzarà verweist völlig zu Recht darauf[12], »dass der Populismus aufgrund seiner Unmittelbarkeit immer nach rechts drängt. Angesichts einer dramatisch unzulänglichen Organisiertheit und der politisch-kulturellen Konfusion, die heute im progressiven Lager Italiens herrscht«, so Azzarà weiter, »ist es viel wahrscheinlicher, dass diejenigen, die versuchen, dem ›Volk‹ von links nahe zu kommen, ihrerseits unter die rechte Hegemonie geraten, als dass sie die anderen Kräfte, die ihnen das Feld streitig machen, unter ihre Hegemonie bringen.« Und wohl nicht nur italienische Verhältnisse meinend, setzt Azzarà fort: »Es ist unverständlich, wieso fortschrittliche Menschen … den eindeutig reaktionären, europhob-populistischen politischen Positionen beipflichten … Unverständlich ist auch, wieso sie nicht vielmehr die Zentralität des Klassenkonflikts hochhalten und versuchen, dem Kapital auf Augenhöhe entgegenzutreten. Das hieße, den Konflikt im Innern des Nationalstaates zu reanimieren und zugleich die Kämpfe auf kontinentaler Ebene zusammenzuführen. Und etwas zu realisieren, was bislang noch nicht existiert – eine Arbeiterbewegung mit europäischer Dimension.«

Verantwortliche oben suchen

Zugleich gilt: Der Verzicht auf die Benennung von Kapitalinteressen, wenn deren Protagonisten offene Grenzen fordern, würde bedeuten, die Verlogenheit dieses Pseudointernationalismus einfach hinzunehmen. Das eine wie das andere – der Pseudointernationalismus und der Nationalismus – tragen zur Verdummung und somit objektiv zur Verstärkung faschistoider Tendenzen bei. Und das betrifft nicht nur deren ideologische Seite. Zahlreiche AfD-Funktionäre blicken auf eine Militärkarriere zurück. »Gerüchte besagen: Derzeit jetzt sind über 2.000 der 35.000 AfD-Mitglieder Berufssoldaten.«[13] Keine Kleinigkeit für den Fall der Fälle. Auch das muss im Blick sein. Vor allem aber müssen wir aussprechen, dass die brutalste Form der Kapitalherrschaft – damals wie heute faschistisch geprägt – die völkische Ideologie zur Bedingung hat, die suggeriert, es seien die Armen arm, weil die noch Ärmeren ihnen die Lebensgrundlage entzögen.

Die Lebensgrundlagen entzieht der mörderische Kapitalismus. Wenn Linke das nicht klar aussprechen und sich stattdessen über die Formulierung »offene Grenzen« streiten, weil man sie für klaren Antikapitalismus der Politikunfähigkeit bezichtigt, dann ist der Kampf gegen die Rechten schon verloren. Wir haben nicht die Aufgabe, uns auf die Seite von Kapitalfraktionen zu schlagen. Dass Le Pen grauenhaft ist, macht Macron nicht besser. Und dass – erinnert sei an das Zurückrufen des französischen Botschafters aus Rom im Februar – in der Kritik von Salvini an Macron ebenso ein rationeller Kern steckt wie in der Charakterisierung selbiger durch den französischen Präsidenten, macht die derzeitige italienische Regierung nicht weniger faschistoid und nimmt von Macrons sozialer Eiseskälte und dem imperialen französischen Agieren nichts weg. Also noch einmal und wie bereits auf unserer Bundeskonferenz vom 8. Dezember 2018 ausgeführt: Wir schlagen uns nicht auf die Seite von Kapitalfraktionen, sondern verschreiben uns der Aufgabe, das Kapital zu entlarven und antikapitalistisches Handeln zu organisieren. Das beginnt beim Kampf um den Frieden und gegen Nazis und endet nicht bei der Aktion »Deutsche Wohnen enteignen«.

José Mujica, von 2010 bis 2015 Staatspräsident von Uruguay, der unter der Militärdiktatur 12 Jahre im Gefängnis verbrachte, hat den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Rechtsentwicklung in knappen Worten charakterisiert: »… ich glaube, es ist der indirekte Preis, den ein Teil der Menschheit für die vom transnationalen Kapital vorangetriebene Globalisierung bezahlt. Die Mittelschichten haben aufgehört zu wachsen, und das hat zu einer großen Frustration derjenigen geführt, die – anstatt die Verantwortlichen oben zu suchen – Sündenböcken die Schuld geben, wie es aktuell bei Afrikanern, Mexikanern oder Syrern getan wird.«[14]

Diese Herangehensweise Mujicas empfehlen wir allen, die das Thema »offene Grenzen« als die Hauptfrage unserer Zeit erfunden haben. Die Verantwortlichen oben suchen, das ist die entscheidende Frage. Und es ist auch an der Zeit, im siebzigsten Jahr der Gründung der DDR und im dreißigsten, da ihr Untergang mit Riesenschritten eingeleitet wurde, daran zu erinnern, dass es schon einmal ein großes Stück Europa gab, in dem das Kapital nicht mehr an den Schalthebeln der Macht saß und wo trotz aller Schwächen, Irrtümer, Fehler und auch Ungerechtigkeiten und Missständen nicht der Profit das Maßgebende war, sondern das Streben, für die Mehrheit der Menschen ein besseres Leben zu schaffen.

An welche Kraft erinnert Marzahn?

Am 5. Januar 2019 lud das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf Gäste aus dem Bezirk und aus Berlin zu einem Festakt zum 40. Gründungstag des Bezirks ein. Genau am 5. Januar 1979 hatte der Magistrat die Gründung eines neuen – damals neunten – Stadtbezirks im Osten Berlins rings um das alte Dorf Marzahn beschlossen. Fast in den heutigen Grenzen wuchs der Bezirk rasant an, in 13 Jahren wurden 100.000 Wohnungen errichtet – eine Leistung, die der Regierende Bürgermeister Michael Müller in seiner Laudatio als große Kraftanstrengung anerkannte, nicht zuletzt lobte er den besonderen Charakter der Wohnquartiere. Müller muss die heutige Wohnungsmisere vor Augen gehabt haben, als er bemerkte, solche Kraft wünsche er sich auch heute noch. Späte Erkenntnisse. Aber besser spät als nie. Vielleicht ist der Regierende Bürgermeister von Berlin der DDR insgeheim sogar dankbar für deren Wohnungsbauprogramm.

Welche Kraft war es, an die Müller da erinnerte. Es war die Kraft des ökonomisch wesentlich schwächeren und kleineren Teils des gespaltenen Deutschlands. Weil in diesem Teil Deutschlands die Interessen der Werktätigen wichtig waren. Profitinteressen gab es nicht; in Ermanglung von Kapitalisten. Im Juni 2016 erschien in unseren Mitteilungen ein Artikel »Zum Wohnungsbauprogramm der DDR«, verfasst von Egon Krenz, Siegfried Lorenz, Helmut Müller und Gerhard Poser. Zwei Mitglieder des damaligen SED-Politbüros und zwei Sekretäre der Berliner SED-Bezirksleitung, die sehr direkt mit diesem Wohnungsbauprogramm zu tun hatten. Ausgehend von den lobenden Worten des Namensvetters von Helmut Müller sollen im 70. Jahr der Gründung der DDR aus diesem Artikel noch einmal wesentliche Passagen wiederholt werden.

»Das Wohnungsbauprogramm der siebziger und achtziger Jahre sah vor, durch Neubau und Modernisierung im Zeitraum von 1971 bis 1990 2,8 bis 3 Millionen Wohnungen zu schaffen. Alle, die sich mit der Materie auskennen, bestätigen: Diese anspruchsvolle Aufgabe wurde zu hundert Prozent erfüllt. Einige Historiker oder Ökonomen, die dem aktuellen Trend folgen, alles schlecht zu reden, was in der DDR geschaffen wurde, misstrauen dieser Tatsache. Der 1990 durch die Bundesrepublik übernommene Wohnungsbestand der DDR jedoch straft sie Lügen. Zudem: Die Gesamtkosten der DDR für das Wohnungsbauprogramm betrugen mehr als 300 Milliarden Mark. Dazu kamen jährlich bis zu acht Milliarden Mark für die Subventionen der niedrigen Mieten. Konkret: Pro eine Mark Miete kamen zwei Mark aus dem Staatshaushalt dazu, Bestandteil – wie es damals hieß – der zweiten Lohntüte.

Teil des Wohnungsbaus und der Modernisierung war ein einzigartiger Plan für den Ausbau der städtischen Infrastruktur. Dazu zählten der Neubau von Schulen, Kinderkrippen und Kindergärten, von Kultur-, Jugend- und Gesundheitseinrichtungen, von Handels- und Dienstleistungseinrichtungen sowie der Ausbau der Verkehrsverbindungen, der Wasser- und Abwasserentsorgung, der Post- und Fernmeldeverbindungen. Beispielsweise standen 1988 für drei- bis sechs-jährige Kinder zu hundert Prozent Kindergärtenplätze zur Verfügung. Wenn heute die Bedingungen für die Unterbringung in den Kindereinrichtungen Ostdeutschlands wesentlich besser als in Westdeutschland sind, dann hängt das auch mit dem Wohnungsbauprogramm der DDR zusammen.

Mit dem komplexen Wohnungsbau verbesserten sich für über zehn Millionen Bürger, weit mehr als die Hälfte der DDR-Bevölkerung, die Wohn- und Lebensverhältnisse. Die Ausstattung der Wohnungen mit Innen-WC, mit Bad bzw. Dusche und moderner Heizung erhöhten ihre Lebensqualität erheblich. Gemessen an diesem Resultat und an den ökonomischen Möglichkeiten der DDR ist das eine bemerkenswerte Leistung, die nicht hoch genug bewertet werden kann. Hinzu kommt, dass der Preis für einen Quadratmeter Wohnraum über die Jahre hinweg stabil zwischen 0,80 und 1,20 Mark der DDR lag. Die Mieten betrugen im Durchschnitt weniger als drei Prozent des Haushaltseinkommens eines Arbeiter- und Angestelltenhaushaltes. Bedenkt man, dass heutzutage die Kosten fürs Wohnen oft bei 40 bis 50 Prozent des Einkommens liegen, erkennt man den hohen sozialen Standard des DDR-Mietniveaus.«

Das mag idealisierend klingen. Natürlich ist uns bewusst, dass das Wohnungsbauprogramm und die damit einhergehenden hohen staatlichen Subventionen nicht nur positive Seiten hatten. Parallel zu einem gewaltigen Zuwachs von Neubauwohnungen verfiel in Größenordnungen Altbausubstanz. Der Verfall der Mittel- und Kleinstädte war nicht zu übersehen und erst in den letzten Jahren der DDR nahmen entsprechende Sanierungen einen größeren Platz ein. Die Architektur der Neubausiedlungen war nicht die aufregendste. Es galt: Ohne Plattenbauweise keine hohe Anzahl von neuen Wohnungen. Und die Quantität hatte zunächst einmal Vorrang. Über damit im Zusammenhang stehende gesellschaftliche Probleme findet sich großartige DDR-Literatur. Gedacht sei z.B. an Brigitte Reimanns Roman »Franziska Linkerhand« oder an »Morisco« von Alfred Wellm. Nähme man heutige Beschreibungen des DDR-Literaturbetriebes zum Maßstab, so hätten diese beiden Romane nie erscheinen dürfen. Das nur am Rande im 70. Jahr der Gründung der DDR, die eine Kunst und Kultur hervor brachte, von der man heute nur träumen kann.

Wir kannten keine Existenzangst

Zurück zum Wohnungsbau. Es lässt sich auch darüber streiten, ob die in der DDR übliche Miethöhe volkswirtschaftlich noch sinnvoll war. Summa summarum: Es gibt durchaus genügend Problematisches im Zusammenhang mit dem Kampf um die Lösung der Wohnungsfrage als soziales Problem. Und doch bleibt: Dieser Kampf wurde mit aller Kraft und mit sehr respektablen Resultaten geführt, mit einer Kraft, über die, es sei wiederholt, der Regierende Bürgermeister Berlins Müller sagte, eine solche wünsche er sich auch heute noch. Die DDR brachte sie auf, weil der Mensch schon in diesem unfertigen Frühstadium des untergegangenen Sozialismus keine Manövriermasse für Profitmaximierung war. Der Profitmechanismus war in den Ländern des frühen Sozialismus außer Kraft gesetzt. Dieser Frühsozialismus war im Wettbewerb mit dem Profitsystem unterlegen und doch demonstrierte er bereits, dass es für die Mehrheit der Menschen in Grundfragen ihrer Existenz von Vorteil ist, wenn sich das große Eigentum nicht mehr in privatkapitalistischem Besitz befindet. Wir kannten keine Existenzangst. Die Arbeitslosigkeit war keine Geißel mehr und in den Betrieben gab es nicht wenig Mitbestimmung durch die Werktätigen. Die Chancengleichheit von Frauen war beachtlich. Die Bildungsschranken waren niedergerissen und die Gesundheit kein Geschäftsposten. »Praktisch nicht vorhanden waren Lohnsteuer-, Sozialversicherungs- und Rentenkassenbürokratie. Kaum ins Gewicht fielen auch die Konsumpreise für den täglichen Bedarf, Energiepreise und Verkehrstarife, die zudem 40 Jahre lang stabil blieben«.[15] Das hatte nicht wenig mit einer gut entwickelten Landwirtschaft zu tun. Und last but not least: Kein Bettler saß auf der Straße und kein Obdachloser lag unter einer Brücke. Nicht weil es verboten war, sondern weil es keine Bettler und Obdachlosen gab. Und Straftaten gab es nicht annähernd so viele wie heutzutage. Und nicht minder wichtig: Nazis hatten keinerlei strukturelle Chancen und die NVA führte als einzige deutsche Armee nie einen Krieg. All das und vieles andere mehr waren keine Utopien, sondern real existierende Errungenschaften in der sozialistischen DDR.

Nun sagen nicht wenige: Warum aber haben die Menschen diese Errungenschaften dann so leichtfertig aufgegeben? Und manche fügen hinzu: War es nicht gerade das Soziale, dass Euch den Todesstoß versetzt hat, weil es unbezahlbar war? Wir antworten: Ja, die Errungenschaften wurden leichtfertig auf dem Basar der Konsumversprechen geopfert und letztlich ging es um den Konsum und noch einmal um den Konsum. Zu viele glaubten, die Sozialpolitik der DDR und das Warenangebot des Kaufhauses des Westens ließen sich zusammenbringen. Zu groß waren die Illusionen über den Kapitalismus, wofür wir natürlich nicht nur das Westfernsehen verantwortlich machen können.

Zurück zu unseren Errungenschaften. Diese waren so sehr Teil des Alltags, dass sie als solche kaum noch wahrgenommen wurden. Keine Arbeitslosigkeit, das war zumindest für die jüngeren Generationen keine Errungenschaft, sondern wurde als etwas so Normales wahrgenommen wie die Luft zum Atmen. Unsere Agitation und Propaganda war zudem völlig ungeeignet, an dieser Wahrnehmung etwas zu ändern. Und dass unsere Sozialpolitik nicht nur ein ungeheurer gesellschaftlicher Vorzug war, sondern zugleich eine schwere Bürde – vor allem hinsichtlich der Investitionspolitik in der Wirtschaft, sodass die Akkumulationsrate stetig sank –, das ist uns bewusst. Doch entscheidend am ersten sozialistischen Versuch war nicht, dass wir uns letztlich gegenüber dem wesentlich wirtschaftsstärkeren Kapitalismus nicht durchzusetzen vermochten, der uns zudem mit allen erdenklichen Mitteln bekämpfte. Entscheidend war, dass dieser Versuch den Beweis erbrachte, dass es ohne Kapitalisten geht. Das nimmt das Kapital ernster als manchmal wir selbst. Dafür hassen sie uns wie die Pest. Deshalb nimmt ihre Hetze gegen den gewesenen Sozialismus nicht mit den Jahren ab, sondern wird immer stärker. Zumal der Kapitalismus täglich mehr sein unverfälschtes Wesen zeigt. Wir hatten ihn zu sozialerem und zu friedlicherem Verhalten genötigt. Anscheinend muss er das nun nicht mehr.

Deutsche Wohnen & Co enteignen

Vergleichen wir die sozialen Errungenschaften des gewesenen europäischen Sozialismus mit einigen Fakten von heute: Bleiben wir zunächst bei der Wohnungsfrage unter den gegebenen kapitalistischen Verhältnissen, die heute oder morgen eine gewaltige Anzahl von Menschen betrifft. Eine Datenauswertung des ARD-Magazins Panorama ergab, dass neu gebaute Mietwohnungen für viele Durchschnittsverdiener kaum noch zu bezahlen sind und in vielen Städten Haushalte mehr als 27 Prozent ihres Nettoeinkommens für die Kaltmiete aufbringen müssen. Ein Wert über 27 Prozent gilt als problematisch, da dann nur noch relativ wenig Geld für die sonstigen Lebenshaltungskosten verbleibt. In Berlin liegt die sogenannte Mietbelastungsquote mit 41,3 Prozent weit über diesem Grenzwert. Die durchschnittliche Berliner Familie müsste also mehr als 40 Prozent ihres Nettoeinkommens für eine Dreizimmerneubauwohnung ausgeben. Nicht nur große, sondern auch viele mittelgroße Städte haben eine Mietbelastungsquote von mehr als 27 Prozent. Insgesamt listet die in Panorama benannte Untersuchung 64 deutsche Städte und Kreise auf, in denen diese übertroffen werden. Und das in einem der reichsten Länder der Erde. Doch Menschen beginnen, sich dagegen zu wehren. Rund 55.000 Demonstranten protestierten am 7. April in 19 deutschen Städten gegen den Mietenwahnsinn, allein in Berlin waren es etwa 40.000. Zeitgleich begann in der Hauptstadt die Unterschriftensammlung für das Volksbegehren »Deutsche Wohnen & Co enteignen«. Und auf so manchen der selbstgefertigten Plakate fanden sich antikapitalistische Losungen. Auch deshalb greifen Rechte aller Couleur dieses Volksbegehren an. FDP-Chef Lindner ist sich sicher, »gegen steigende Mieten helfen nur mehr Wohnungen und nicht DDR-Ideen«.[16] Woher soll Lindner auch wissen, dass die grundlegende Idee der DDR hinsichtlich der Lösung der Wohnungsfrage darin bestand, mehr Wohnungen zu bauen? Und zwar sehr viel mehr!

Der Kapitalismus kann diese Lösung nicht bieten, so Friedrich Engels schon 1872: »Das Kapital, das ist jetzt endgültig festgestellt, will die Wohnungsnot nicht abschaffen, selbst wenn es könnte«.[17] Und an anderer Stelle schreibt er: »… nicht die Lösung der Wohnungsfrage löst zugleich die soziale Frage, sondern erst durch die Lösung der sozialen Frage, d.h. durch die Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise, wird zugleich die Lösung der Wohnungsfrage möglich gemacht …«[18]

Gegen Hetze wehren

Noch ein Beispiel aus unserem schönen kapitalistischen Alltag. Auf einer Tagung des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung am 22.01.2019 zur Frage, ob Hartz IV eine Zukunft habe, verwiesen Referenten auf die Mechanismen, die damit in Verbindung stehen. Das »Sicherheitsgefühl« der Beschäftigten sei »massiv eingeschränkt« worden, es gebe eine »Abstiegsangst« bis tief hinein in die »Mitte der Gesellschaft«, oftmals prekäre Arbeitsplätze seien durch Lohnverzicht und Dequalifizierung erkauft worden. Aber auch den Beschäftigten, die nie erwerbslos geworden seien, habe die Hartz IV-Gesetzgebung geschadet: Ihre Verhandlungsmacht sei gemindert, die Reallohnentwicklung in der Folge gebremst worden oder sogar rückläufig.[19]

All das – und es betrifft die übergroße Mehrheit der Menschen – spielt in der Berichterstattung der bürgerlichen Medien eine völlig untergeordnete Rolle. Tamás Krausz, Professor für Geschichte Osteuropas an der Eötvös Loránd Universität in Budapest bringt diesen gesellschaftlichen Umgang mit sozialen Problemen auf den Punkt. Er schreibt: »Für … – die liberalen Tonangeber – erschöpft sich die ›soziale Frage‹ darin, dass sie die Rechte der sichtbarsten Opfer des neuen kapitalistischen Systems, die Obdachlosen, die Minderheit der Roma und auch die unter extremer Armut Leidenden verteidigt«, dabei sind sie – die liberalen Tonangeber – »nicht in der Lage, die Interessen der unteren Schichten der Gesellschaft zu verteidigen; zumindest nicht in einem Maße, dass ein Teil ihrer Stammwähler, vor allem die Arbeiter, gegen die Sirenengesänge der Rechten und extremen Rechten gefeit gewesen wäre.«[20] Genau hier liegt die eigentliche Ursache für den Zusammenhang zwischen zumindest relativer Verelendung und Abstiegsängsten einerseits und dem Aufgreifen rechter »Lösungsangebote« durch nicht wenige sozial Betroffene. Tamás Krausz bietet keine populistischen Lösungen an, sondern eine klassenbezogene, wenn er sagt, dass für eine systemkritische Linke »… eine Bedingung für jegliche Zusammenarbeit mit den Liberalen die Wahrung ihrer antikapitalistischen Linie sein muss, also die schonungslose, ökonomisch fundierte Kritik der bestehenden oligarchischen Ordnung. Wenn die Freiheit, die abstrakte Forderung nach Emanzipation nicht mit der Forderung nach sozialer Befreiung, nach wirtschaftlicher Demokratie zusammengedacht wird, wird es keine linke Alternative geben – der Kapitalismus wird dann alternativlos bleiben«.[21]

Kommen wir in diesem Kontext noch einmal auf das DDR-Wohnungsbauprogramm zurück, zum Zusammenhang zwischen den Produktionsverhältnissen und einer sozialen Wohnungspolitik. Im 70. Jahr der Gründung der DDR ist es an der Zeit, deren Vorzüge zu benennen. DIE LINKE muss endlich den Mut haben, über diese nicht weniger offen zu sprechen als über unsere Fehlleistungen. Und sie muss den Mut zum sozialen Vergleich aufbringen. Und gleichermaßen offensiv gilt es, zu entlarven, was Tamás Krausz in die Worte kleidete: »Der frühere Sozialismus, seine Kultur, dient ihnen«, den Propagandisten des Kapitals, »als eine Art Sündenbock, als wollten sie die kapitalistischen Verhältnisse immer noch dadurch aufwerten, dass sie den Staatssozialismus kriminalisieren.«[22] Er trifft den Nagel auf den Kopf. Je weiter entfernt unsere Niederlage, je entfesselter – nicht zuletzt durch diese Niederlage – das Agieren des Kapitals, desto skrupelloser und verlogener die antisozialistische Propaganda. Wir werden es gerade anlässlich des Jahrestages der Grenzöffnung von 1989 und im Jahr 2020, da sich der sogenannte Beitritt zum dreißigsten Mal jährt, erleben und wir sind politisch und moralisch verpflichtet, uns gegen die zu erwartende Hetze zu wehren.

Warum druckt das nd so etwas?

Das hat die Kommunistische Plattform seit ihrer Gründung am 30./31.12.1989 stets getan. Was haben wir uns in den drei Jahrzehnten seither nicht alles anhören müssen. Dogmatiker, Stalinisten und Betonköpfe seien wir. Fragten wir nach, so war der reale Grund für diese Stigmatisierungen stets der gleiche: Wir verteidigten und verteidigen die Legitimität des frühen Sozialismus. Wir taten und tun dies nicht, weil wir ihm kritiklos begegnen, sondern weil der Profitmechanismus für uns absolut inakzeptabel ist und bleiben wird. Wir sehen in dem gewesenen Versuch, nach zwei mörderischen, im Kapitalinteresse entfesselten Weltkriegen, in Europa eine Gesellschaft ohne Kapitalisten aufzubauen, den historisch notwendigen Ausbruch aus dem Profitsystem und sind der Überzeugung, dass – wäre der Kapitalismus die letzte Antwort der Geschichte – auch die letzten Seiten der Zivilisationsgeschichte aufgeschlagen sind. Sozialismus oder Barbarei – diese unsere Überzeugung haben wir nie aufgegeben und wenn Wendehälse oder Leute, die die DDR nur vom Hörensagen kennen, uns dafür denunzieren, dann ist das ihr Problem. Wenn zwei junge Menschen, nach 1990 im Osten geboren, vor gut vier Monaten im nd über die DDR sprachen, als hätten sie sie erlebt, dann ist das heute zwar nicht unüblich, aber nichtsdestoweniger unseriös. Auf die Frage »Wie hängt die starke Rechte in Ostdeutschland mit den 1990er Jahren zusammen?« erfolgt die Antwort: »Rassismus und rechte Gewalt gibt es schon lange im Osten. Bereits in der DDR war Rassismus beispielsweise gegenüber ausländischen Vertragsarbeiterinnen und -arbeitern verbreitet.« Es folgt die Frage: »Heißt das, dass man sich auf die DDR nicht positiv beziehen kann?« Antwort: »Politisch stehen wir der damaligen linken DDR-Opposition näher. Von dem stalinistischen Staatsapparat, der seine Bürgerinnen und Bürger überwachen ließ, grenzen wir uns ab.«[23] Da wird eine komplett undifferenzierte bis falsche Sicht zum Urteil erhoben. Vielleicht ist das den jungen Menschen, die von morgens bis abends antikommunistisch berieselt werden, nicht einmal vorzuwerfen. Aber – warum druckt das nd so etwas?

Unsere Identität bestimmen wir selber

Wie haben sie uns auf der 1. Tagung des 4. Parteitages im Jahr 1995 beschimpft, als wir beantragten, dass es mit der Mitgliedschaft in der PDS unvereinbar sein muss, Antikommunist zu sein. Wir hatten diesen Antrag nicht aus heiterem Himmel gestellt und – dies sei hier vorweggenommen – er wurde zunächst einmal mit großer Mehrheit angenommen. In einem dem Parteitag vorliegenden Zehnpunkteprogramm sollten faktisch Unvereinbarkeitskriterien beschlossen werden. Der Antikommunismus gehörte nicht dazu. Die KPF hat zu keinem Zeitpunkt – faschistisches »Gedankengut« ausgeschlossen – Unvereinbarkeitsklauseln für die PDS oder später DIE LINKE für nötig befunden. Wenn aber andere eine solche Notwendigkeit sehen, dann muss wenigstens Vollständigkeit herrschen. Das sahen die Delegierten wohl zunächst ebenso. Doch nach der Abstimmung erfolgte eine persönliche Erklärung nach der anderen. Und es wurde stundenlang beschworen, dass die Annahme unseres Antrages eine politische Katastrophe sei. Die Parteiführung organisierte in aller Eile das Auftreten von Herrn Einsiedel und Herrn Zwerenz, die damit drohten, nicht mehr für die PDS im Bundestag sitzen zu wollen und die sich dazu bekannten, demokratische Antikommunisten zu sein – was immer das sein soll. Letztendlich wurde ein Kompromiss gefunden, mit dem wir leben konnten. Im Papier blieb die Formulierung bestehen, dass die PDS Antikommunismus ablehnt, nur an anderer Stelle als ursprünglich beantragt, und, wie bereits erwähnt, bei der ersten Abstimmung auch angenommen. Hätten wir nicht in diesen Kompromiss eingewilligt, so hätten wir gehen müssen und denen die Partei alleine überlassen, für die der Antikommunismus kein wesentliches Problem darstellt. Wie wir viel später erfuhren, sollte genau das geschehen. Wir sind allerdings nicht über den hingehaltenen Stock gesprungen. Seit jener Zeit wurden wir auch von links angegriffen. Das hält bis heute an. Manche meinen, wir seien keine Kommunisten, weil wir nicht eigenständig als solche organisiert wären. Sie greifen nicht unsere inhaltlichen Positionen an; die seien in Ordnung. Und dennoch müssten wir in einer KP sein, um das Recht in Anspruch nehmen zu dürfen, uns Kommunisten zu nennen. Da wir mit anderen Linken prinzipiell keine öffentlichen Auseinandersetzungen führen, sei dazu nur gesagt: Wir bestimmen unsere Identität selber und unser Selbstvertrauen ist stark genug, erneut festzustellen: Es ist die kommunistische Identität. Zu der gehört stets solidarisches Verhalten. Und so gilt heute unsere besondere Solidarität Julian Assange, dem größte Gefahr droht, weil er sich wirkungsvoll gegen das Imperium stellte, welches seine Auslieferung fordert. Wir verlangen hingegen Freiheit für den mutigen Whistleblower.

Austritte helfen nicht weiter

Die KPF ist ein von vielen Mitgliedern unserer Partei respektierter, als notwendig empfundener Zusammenschluss. Wir haben per 31. Dezember 2018 1.122 Mitglieder, sind in 13 Bundesländern strukturell organisiert, haben dort also Landessprecherräte und treffen uns dort in der Regel zweimal jährlich zu Landeskonferenzen, um uns zur Lage zu verständigen und nächste Schritte unserer Arbeit zu beraten und zu beschließen. Auf Bundesebene wirkt der jährlich fünfmal tagende Bundeskoordinierungsrat und zwischen dessen Sitzungen organisiert der Bundessprecherrat die Arbeit. Zweimal im Jahr treffen sich die Delegierten der Länder zu Bundeskonferenzen. Unsere Arbeit vollzieht sich nicht in abgekapselten Gruppen, sondern an der Basis der Partei, in den Kreisen und Bezirken sowie in den Ländern. Unser Platz als Kommunistinnen und Kommunisten ist in der LINKEN und nicht neben ihr. Die Mitteilungen sind unser intellektueller Ausweis und unsere organisatorische Hauptmöglichkeit. Die mehr als zwanzigtausend Euro, die wir seit 2012 jährlich als Spendenaufkommen erbringen, zeugen von der Anerkennung unserer Publikation ebenso, wie von unseren organisatorischen Fähigkeiten, ohne auch nur eine 450-Euro-Job-Stelle, auf rein ehrenamtlicher Basis, eine solche Summe zustande zu bringen. Dafür der Redaktion, all unseren Autoren und unserer Org-Gruppe um den Genossen Helmut Müller sowie vielen Helferinnen und Helfern in den Ländern heute unser herzliches Dankeschön. Zugleich werden in diesem Kontext unsere Schwächen deutlich. Die Anzahl unserer Leserinnen und Leser stagniert faktisch. Sie liegt bei ca. 1.800 – die Weitergabe nicht einbezogen. Insgesamt spenden nur 25% der Bezieher der Mitteilungen, wobei diese Zahl zwischen den Landesorganisationen stark schwankt: Zwischen 11% und 60%. Finanziell halten wir das gut aus, weil die Anzahl großzügiger Spender dieses Manko im Wesentlichen ausgleicht. Politisch-organisatorisch zeugt auch das allerdings von unseren Grenzen. Wir erreichen längst nicht alle, die wir erreichen müssten. Es lässt sich vielleicht so sagen: Unsere politische Rolle in der LINKEN ist gerade in den letzten Jahren gestiegen und doch werden wir weniger, weil mehr Genossinnen und Genossen sterben, als wir neue Mitglieder hinzugewinnen. Wir werden uns auf der Sitzung des Bundeskoordinierungsrates im Juni gesondert mit der Mitgliederentwicklung der KPF befassen. Doch eines lässt sich heute bereits sagen. Wenn es uns nicht gelingt, einerseits mehr Genossinnen und Genossen für die KPF zu gewinnen und andererseits das Verständnis dafür zu vertiefen, dass Austritte von KPF-Mitgliedern aus der LINKEN zugleich unsere Position empfindlich schwächen, dann haben wir spätestens in ein paar Jahren ein richtiges Problem.

Rote Haltelinien sind nicht überholt

In diesem Jahr finden neben den Wahlen zum EU-Parlament in Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Kommunalwahlen und in Bremen, Brandenburg, Sachsen und Thüringen Landtagswahlen statt. Wir werden als Kommunistinnen und Kommunisten in der LINKEN alles für ein gutes Abschneiden unserer Partei tun. Es sei wiederholt: Wir wissen, dass dort, wo wir an Landesregierungen beteiligt sind, nicht nur Progressives im Namen der LINKEN passiert und wir wissen auch, dass in der Politik letztlich immer deren mittelfristige und langfristige Wirkungen entscheidend sind. Doch das ist nur eine Seite der Medaille. Die andere ist unsere unbedingte Verpflichtung, den Wahlkampf vor allem gegen die AfD zu führen. Es erübrigt sich hier, dazu zu argumentieren. Zu der in diesem Kontext hier und da unverantwortlich geführten Debatte, dass man auch bereit sein sollte, auf Länderebene notfalls mit der CDU zu koalieren, um Schwarz/Blau zu verhindern, haben wir uns bereits auf unserer Konferenz im Dezember 2018 im Einzelnen und klar ablehnend geäußert.

Im Zusammenhang mit der innenpolitischen Situation und den bevorstehenden Wahlkämpfen werden – nicht zuletzt nach der Ankündigung Sahras, sie werde nicht wieder für die Fraktionsspitze kandidieren – Stimmen innerhalb der LINKEN wieder lauter, die für eine rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene eintreten. Sie erwecken den Eindruck, eine solche Regierung würde einem Linksblock nahe kommen und einen Politikwechsel herbeiführen. So sprach sich Bodo Ramelow Anfang Februar dafür aus, Gespräche über eine mögliche rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene wieder aufzunehmen. Er sei »jederzeit bereit und willens, diese Gesprächsformate auch auf Bundesebene wieder aufleben zu lassen.«[24] Diese Herangehensweise nimmt wieder zu. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass sich die Spitze der Sozialdemokraten auf einer Vorstandssitzung Mitte Februar auf ein neues Konzept zur Sozialpolitik geeinigt hat. Wir haben in den April-Mitteilungen einen junge-Welt-Gastkommentar von Christoph Butterwegge dokumentiert, in welchem er dieses Konzept analysiert und die Positionen benennt, die erforderlich wären, wollte die SPD Hartz-IV wirklich hinter sich lassen. Könnten wir als DIE LINKE uns einer Koalition mit SPD und Grünen noch verweigern, für den Fall, die SPD betreibe nicht nur Wahlkampf, sondern meine es ernst mit ihrem Sozialkonzept? Für uns sollte die Schwelle die sein: Würde die SPD offen erklären – bei Zustimmung der Grünen – dass sie sich weigert, zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes für die Rüstung auszugeben und demzufolge die Militärausgaben nicht bis 2024 auf mehr als 80 Milliarden Euro zu verdoppeln, sollte sie in diesem Zusammenhang die Bundeswehr aus jeglichen Auslandseinsätzen zurückziehen und sich verpflichten, keine neuen Atomraketen auf deutschem Boden zu stationieren und die bereits vorhandenen abzuschaffen, und sollte sie den Austritt der BRD aus den militärischen Strukturen der NATO zu ihrer Sache machen, dann sollten wir sehr ernsthaft prüfen, ob Rot-Rot-Grün eine Option ist, auf die man sich einlassen kann. Eine SPD und Grüne, die sich an jeglichen Kriegsvorbereitungen beteiligen, sind für uns keine Partner, selbst, wenn es einige soziale Verbesserungen geben sollte. Größere sind bei den Rüstungsausgaben ohnehin nicht möglich. An diese Stelle sei noch einmal betont, dass die im Parteiprogramm fixierten Roten Haltelinien nicht überholt sind. Im Gegenteil.

Liebe Genossinnen, liebe Genossen, kämpfen wir gemeinsam für den Erhalt der programmatischen Grundsätze unserer Partei. Kämpfen wir für den Erhalt des pluralen Charakters der LINKEN, den zu gewährleisten nach der Ankündigung Sahras, sich aus der Fraktionsspitze zurückzuziehen, nicht leichter werden wird. Ringen wir um den Schulterschluss mit anderen Zusammenschlüssen der Partei, mit denen uns Antikapitalismus und die gemeinsame Haltung zu den friedenspolitischen Grundsätzen unserer Partei verbinden. Kämpfen wir um die Stärkung unserer Kommunistischen Plattform, indem wir alles für unsere Akzeptanz an der Parteibasis tun, auch durch unsere Aktivitäten in den bevorstehenden Wahlkämpfen.

 

Anmerkungen:

[1] Vgl. www.kremlin.ru/events/president/news/59763

[2] Vgl. Reinhard Lauterbach: »Panzer jetzt, Soldaten später«, junge Welt, 25.03.2019

[3] Vgl. www.presseportal.de/pm/7840/4187608

[4] Hansgeorg Hermann: »Rechtsruck zur EU-Wahl«, junge Welt, 28.02.2019

[5] Vgl. Gerhard Feldbauer: »Mussolinis Terrorschwadronen«, junge Welt, 23.03.2019

[6] Vgl. Vanessa Fischer: »Vermögensrekorde bei wachsender Armut«, neues deutschland, 21.01.2019

[7] Vgl. Simon Zeise: »Clan-Kriminalität wächst«, junge Welt, 21.01.2019

[8] Vgl. Simon Zeise: »Zahlenjongleur des Tages: Philip Plickert«, junge Welt, 22.01.2019

[9] Aus: Bertolt Brecht »Alfabet«, 1934

[10] Vgl. Vanessa Fischer: »Vermögensrekorde bei wachsender Armut«, neues deutschland, 21.01.2019

[11] Vgl. Dieter Schütt: »Auch Unvernunft spendet Energie«, neues deutschland, 15./16.12.2018

[12] Vgl. Stefano G. Azzarà: »Die populistische Revolte«, junge Welt, 27.02.2018

[13] Vgl. René Heilig: »Die doppelte Aufrüstung der Bundeswehr«, neues deutschland, 04.04.2019

[14] Vgl. Luca Celada: »Wieder aufstehen, wenn man hinfällt, und Weg fortsetzen.« Gespräch mit José »Pepe« Mujica, junge welt, 21.01.2019

[15] Vgl. Hagen Bonn: »Volkseigene Großtaten«, junge Welt, 18.01.2019

[16] Vgl. Markus Drescher: »Enteignung und Entgeisterung. Die mögliche Sozialisierung von Wohnraum schreckt sogenannte Bürgerliche auf«, neues deutschland, 09.04.2019

[17] Engels Werke 18/250

[18] Engels Werke 18/243

[19] Vgl. Nico Popp: »Schrecken ohne Ende«, junge Welt, 23.01.2019

[20] Tamás Krausz: »Die Gescheiterten«, junge Welt, 23.01.2019

[21] ebenda

[22] ebenda

[23] Sebastian Bähr: »Wir fordern eine Ost-Quote«, neues deutschland, 1./2.12.2018

[24] Vgl. »Ramelow ruft SPD zu Gesprächen über Rot-Rot-Grün im Bund auf«, neues deutschland, 04.02.2019

 

Mehr von Thomas Hecker in den »Mitteilungen«: 

2017-05: Ohne Frieden ist alles nichts

2016-01: Mitgliedergewinnung für die KPF: Herausforderung an uns alle

2015-05: Bericht des Bundessprecherrates (Archiv)

2014-03: Nach der Wahl ist vor der Wahl: Noch 81 Tage bis zum Parteitag in Berlin