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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Russland – Deine Helden

Dr. Hartmut König, Panketal

 

Am 22. Juni 1941 überfiel Hitlerdeutschland die Sowjetunion. Bereits 2016, als seit jenem Tag ein Dreivierteljahrhundert Geschichte durch die Welt mäandert war, hatte ich in einem Aufsatz an den Wahnsinn dieses Eroberungskrieges und seine Lehren erinnert. Den Text hatte ich mit Die Befreiung der Aggressoren überschrieben, weil ich mir, wenn ich das Ausmaß untilgbar erscheinender Schuld und die Chancen des Neubeginns bedachte, keine gütigere und zukunftsweisendere Lage für das deutsche Volk vorstellen konnte als seine Erlösung von der physischen und geistigen Knebelung im NS-Staat. Dreist wenn es manchen Zeitgenossen schwerfiel oder niemals gelang, die Saga von der schmachvollen deutschen Niederlage in ein Bewusstsein nationaler und individueller Befreiung umzumünzen – so war diese mit dem Sieg der Anti-Hitler-Koalition doch objektiv vollzogen und reinigte den Boden, auf dem ein neues Deutschland reifen konnte.

Deutschland wird leben – das war am Kriegsende die Botschaft der sowjetischen Führung. Sie hätte anders klingen können. Das Land hatte 27 Millionen Tote als Folge der faschistischen Invasion zu beklagen. Aber Hass sollte die Vision von einem zur Vernunft kommenden deutschen Volk, dessen Geschenk an die Welt Goethes »Faust« und Beethovens »Neunte« gewesen war, nicht überwuchern. Es ging nicht um die Zerschlagung der deutschen Nation, sondern um die Auslöschung ihres Hakenkreuzes. Damit den Völkern die Furcht vor einer »Räuberin Deutschland« genommen war und das aus Ruinen auferstehende Land in die humanistisch gesinnte Weltgemeinschaft zurückkehren konnte.

Den Geschichtsfälschern ins Wort fallen!

Im Großen Vaterländischen Krieg trieb die Rote Armee an der Seite der Alliierten, die – verräterisch spät - am D-Day 1944 die zweite Front eröffneten, das Faschistenheer nach Deutschland zurück, kämpfte sich opferreich bis an Hitlers Rattenloch in der Mitte Berlins, befreite auf ihrem Vormarsch, starr vor Entsetzen, die Hölle Auschwitz und hoffte bei Torgau auf die politische Haltbarkeit des sowjetisch-amerikanischen Handschlags. Diese Hoffnung erstickte im Kalten Krieg, den Churchill mit seiner antikommunistischen Philippika in Fulton rhetorisch eingeleitet hatte. Nach den Balanceakten des Kalten Krieges, immer an der Grenze zum heißen, möglichweise atomaren Waffengang, und einer Folgeperiode von Détente kannte der westliche Siegesrausch beim Erlöschen bipolarer Machtverhältnisse keinen Halt. Mit dem Fall der sozialistischen Gemeinschaft in Europa erklärten die imperialistischen Hauptmächte den Kampf der antagonistischen Gesellschaftskonzepte für unabänderlich zu ihren Gunsten entschieden. Dieser Voreiligkeit folgte der Versuch, die historischen Leistungen des niedergerungenen sozialistischen Anlaufs aus dem Menschengedenken zu tilgen. Dabei zog der westliche Führungsdrang nach einer Schamfrist (damit seine Kruzifixe Gorbatschow und Jelzin nicht geschrammt wurden) die antisowjetische/antirussische Karte. Dazu gehört inzwischen die bis zur Ignoranz reichende Umdeutung des entscheidenden Beitrags der Sowjetunion zum Sieg über den Faschismus. Der Dank, den wir Deutschen den Streitkräften der Anti-Hitler-Koalition schulden, sollte unteilbar bleiben. Deshalb muss, wer einen Funken Anstand im Leib hat, den russophoben Geschichtsfälschern ins Wort fallen. Heute, 80 Jahre nach dem Überfall der deutschen Faschisten auf die Sowjetunion, wie an allen verbleibenden Lebenstagen werde ich die Verteidiger von Moskau, von Lenin- und Stalingrad, die Helden, die uns die Befreiung brachten, ehren und jeden verachten, der aus politischem Dünkel an ihrem Andenken zu radieren wagt.

Die Kaskade der Demütigungen baute sich zu Jelzins Zeiten auf, als die in Deutschland stationierten russischen Streitkräfte demonstrativ separiert von den westalliierten Kontingenten in ihre Heimat geschickt wurden. Die Trennlinie wurde klar. Und dabei gab es noch gar keine Wiedereingliederung der Krim in die russische Föderation und auch keine Nowitschok-Verdächtigungen, mit der die späteren Brüskierungen Moskaus begründet wurden: Absenz bei den Siegesparaden auf dem Roten Platz, Suspendierung Russlands aus der G8-Gruppe, Ausladung von den Feierlichkeiten zum Jahrestag der alliierten Landung in der Normandie, Verhängung einer Endloskette politischer und wirtschaftlicher Sanktionen oder Boykotte multilateraler Sicherheitsinitiativen (wie im Februar in Sotschi zur Befriedung Syriens). Als Schurke im Kreml war Putin ausgemacht. Nach dem Scheitern Gorbatschows, dessen reformerischer Gesellschaftsentwurf im Wirtschaftschaos versank, und dem Elend unter Jelzin, der raffgierig ins Lager der Sowjetfresser überlief, hatte er sich mit seinem Willen Respekt verschafft, Russland den Status einer stolzen Großmacht zurückzugeben. 

Eine Entente auf Filzlatschen

Russlands Delegitimierer wussten: Regime-Change, so lehrte es die Geschichte des europäischen Postsozialismus, braucht seine »Farbenrevolutionen«. Die anfälligsten Ex-Sowjetrepubliken waren die ersten Ziele der amerikanisch geführten Wander-Task-Force, welche regelmäßig bei den US-Botschaften installiert wurde. Im Russland blieb das aussichtslos. Putin war von anderem Kaliber als sein Vorgänger Jelzin, der korrumpiert im Marionettenstadel mitspielte. Unlängst kannte ausgerechnet die neue westliche Lichtgestalt Biden, Befürworter des Irakkrieges und der Bombardierung Belgrads, im Zornestaumel kein Maß und nannte seinen russischen Amtskollegen »Mörder«. Soviel Schaum vorm Mund übertraf noch jedweden Trumpschen Irrationalismus, so dass Putins Gesundheitswünsche an den alten Herrn im Oval Office bei allem Spott noch höflich deeskalierten.

Zuvor war an einer Kampagne gestrickt worden, die sich um den Namen Alexej Nawalny rankt. In Kreisen urbaner Dissidenz ein Begriff, in den Weiten Russlands jedoch ohne Relevanz, empfahl der sich als Aufklärer von Korruption und Regierungskungelei. Die ihm folgen, sind fast ausnahmslos junge Menschen, die ihre Träume von der Zukunft und darum ihre Probleme mit Malaisen der Gesellschaft haben. Mit dem Oligarchentum, das seinen ergaunerten Reichtum zur Schau stellt. Mit der Raffke-Mentalität von Bürokraten und manchen anderen Gerechtigkeitsdefiziten in ihrem Alltag. Gewalt wäre den jungen Leuten ein falscher Lehrmeister, wo es doch zu begreifen gilt, dass der ihnen als »unerschrocken-frecher Held« präsentierte Nawalny mit seinem autokratischen Gestus, seiner Phobie gegen dunkelhäutige Mitbürger und seinem mangelhaften Respekt vor dem Andenken russischer Kriegsveteranen der falsche Adressat ihrer Sehnsüchte ist. Er wird benutzt von einem ideologisch invadierenden Apparat, der den politischen und ökonomischen Führungsanspruch des USA-hörigen Westens gegen die Dreistigkeiten russischen Widerstands durchsetzen will. Erneut hat sich eine Entente wie einst gegen Sowjetrussland formiert, diesmal nach Amerikas Pfeife und einstweilen »nur« auf ein Heer von Demagogen gestützt. Auf Filzlatschen dringt sie ein und erträumt den Moskauer Maidan. Majakowskis »Russland trotzt der Entente« sollte sie und ihre medialen Lautsprecher daran erinnern, wie kläglich die Interventen damals scheiterten.

Wie das Feindbild gehärtet wird

Matthias Platzek, früherer Ministerpräsident Brandenburgs und Chef des Deutsch-Russischen Forums, sagte Mitte Februar der Berliner Zeitung, in den Ost-West-Beziehungen herrsche jetzt eine Eiszeit, wie er sie in den letzten dreißig Jahren nicht mehr erlebt hätte. Unser Feindbild sei ebenso gefestigt wie unsere Überheblichkeit. Russland hätte »im Moment genug von uns und unseren permanenten Vorwürfen und einer Welt der Doppelstandards«. Statt als Besserwisser den Zeigefinger zu heben, sollten wir lieber unsere Werte überzeugend vorleben. Abgesehen davon, dass der reale Wert dieser »unserer Werte« noch auf dem geschichtlichen Prüfstand liegt, bleibt seine Mahnung zur Überwindung der Gräben für beide Seiten eine Überlebensfrage. Einfache Vernunft reicht aus, um zu verstehen, dass man mit dem größten Land und der zweitgrößten Atommacht der Erde nicht nach Herrenmanier umspringen kann, sondern dass man auf Augenhöhe nach einer tragfähigen neuen Sicherheitsarchitektur streben muss. Friedliche Koexistenz ist kein Unwort jüngerer Geschichte. Wir brauchen sie dringender denn je, und Kooperation auf vielen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens, in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Sport oder Touristik, könnte sie beleben. Schaut man auf die Umfragen, dann weiß man, dass dies auch Volkes Wille ist. Aber eine Allianz von NATO, Weißem Haus, Europäischer Union und Regierungen »farbrevolutionierter« Ex-SU-Republiken betreibt die Härtung des antirussischen Feindbildes. Einkreisung statt Deeskalation, astronomische Rüstungssteigerungen statt Lösung dringendster sozialer Probleme zu Hause, Sanktionen statt Hineindenken in die Sicherheitslogik des Gegenübers, Verächtlichmachung wissenschaftlicher Expertise wie im Falle von »Sputnik V«, obwohl von der Leyens Impfladen implodierte und einige EU-Länder dessen protektionistischen Hinterhalt längst umgingen – das ist die Botschaft an Moskau. Und eben auch der »Heldentausch«. Die Helden des Vaterländischen Krieges gegen die »Helden« an der Nawalny-Front. Will ich mein Herz erwärmen, denke ich an die ersten.

 

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