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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Linkssein mit Fidel

Dr. Hartmut König, Panketal

 

Es war Sommer 1978 in Havanna. Die DDR hatte den Stafettenstab für die Weltfestspiele der Jugend und Studenten an Kuba weitergereicht. Die demokratisch, mehrheitlich auch antiimperialistisch orientierten nationalen und internationalen Jugendorganisationen hatten den Austragungsort mit geschichtlichem Hintersinn gern akzeptiert. Als pfiffige Ohrfeige für den US-amerikanischen Rambo nebenan, der nichts unversucht ließ, um diesem vermaledeiten kubanischen Hotspot revolutionärer Visionen mit seinen ganz erheblichen Sympathien unter den Völkern den Hals umzudrehen.

Der Mix völkerrechtswidriger Anschläge war und blieb ekelhaft. Er reichte von Embargos und politischen Erpressungen dritter Staaten über ideologische und paramilitärische Intervention bis hin zu einer Kaskade von Mordaufträgen gegen die kubanische Führung. War die Wahl des Festival-Ortes ein »Basta«-Ruf der internationalen Solidarität, so bedurfte er bei der geografischen und wirtschaftlichen Lage Kubas allerdings einer effektiven materiellen Hilfe durch die sozialistische Gemeinschaft. Neben Bussen aus der Staatsreserve und vielen anderen Gütern lieferte die DDR ein nicht unwichtiges Detail: den Stadionteppich für die Festivaleröffnung. Er war von einem Turn- und Sportfest nachgenutzt und durch einen Fachmann, den wir den »Teppichkleber von Leipzig« nannten, im Festivalstadion von Havanna zusammengefügt worden. Ein tropischer Regenguss verwandelte das Geflecht aber noch vor dem Einmarsch der Festivaldelegationen in einen Buchtel-Kuchen. Die Eröffnung war gefährdet. Da sah ich, wie der bereits anwesende Fidel besorgt zu seinem Fernglas griff. Er beschaute den Schaden und verfolgte aufmerksam, wie der Teppichkleber samt einem Heer besenschwingender Soldaten die Buchteln mit stabsmäßigem Geschick ebnete. Das erinnerte mich an ein Foto, wie Fidel bei der CIA-Attacke in der Schweinebucht durch seinen Feldstecher die Lage peilte, und ich dachte, es kann kein Fehler sein, wenn sich ein Revolutionär – noch dazu »el Jefe« – das Geschehene so nah wie nötig ins Gesichtsfeld holt. Nahe, damit er erkennt, wie im großen Rasterbild die Punkte stehen. Und Fidel setzte das Glas nicht ab, als die Delegationen das Stadion füllten. Ich denke, er zoomte Gesichter heran und genoss darin die Freude so vieler Einzelner, ohne die sich das leidenschaftliche revolutionäre Panorama in der Arena nicht gebildet hätte.

Geboren am 13. August 1926. Oder?

Diese Zeilen sind anlässlich des 95. Geburtstages von Fidel Castro geschrieben. Das heißt, sein offizielles Geburtsjahr 1926 wird hier vorausgesetzt. Einige Biografen haben daran Zweifel und mutmaßen, sein Vater habe die Vordatierung um ein Jahr erkauft, um Fidel den Besuch einer jesuitischen Bildungseinrichtung zu ermöglichen. Aber nicht wann genau, sondern dass er geboren wurde, ist von historischem Belang. Mit seinem Leben und Kampf verbindet sich ein revolutionärer Wirbel in der Geschichte Lateinamerikas, der die ganze Welt faszinierte. Der hehre Sieg Davids über Goliath war mit der Vertreibung des US-Vasallen Batista in die Gegenwart geholt. Die Quasi-Kolonie aus der würdelosen Umklammerung der Bordell- und Casino-Mafia, aus den Tentakeln der Zuckerbarone und United-Fruit-Exploiteure befreit. Das Land urbar gemacht für die Verwirklichung der Ideale von José Martí und Karl Marx. Letzterer, so sagte Fidel in einem der berühmten Nachtgespräche mit dem Dominikanerpater Frei Betto, hätte ohne Zögern die Bergpredigt unterschreiben können.

Fidel Castro kam als uneheliches Kind des Plantagenbesitzers Ángel Castro Argiz und dessen Köchin, Lina Ruz Gonzáles, in Birán zur Welt. Sein Vater stammte aus dem galizischen Dorf San Pedro de Láncara und hatte als Soldat der spanischen Kolonialarmee auf Kuba gedient. Hier suchte er sein Glück, kam zu moderatem Reichtum und überdies zu einer Kinderschar aus verschiedenen Beziehungen. Nach seiner Scheidung heiratete er 1943 Lina Ruz, worauf Fidel legitim den Namen Castro trug. Der katholisch erzogene Fidel hatte in Birán die Grundschule besucht und sich inmitten der armen Landbevölkerung ohne jeden Dünkel bewegt, besserer Herkunft zu sein. Nach diversen Colegios in Santiago de Cuba wurde er 1942 in das hauptstädtische Jesuitenkolleg Belén aufgenommen. Im September 1945, als Europa seine Wege aus den Weltkriegstrümmern suchte, begann Fidel Castro an der Universität von Havanna ein Jurastudium. Hier bildete sich sein politisches Charisma, das im Verfolg von Interessen nationaler Würde, Gleichheit und Gerechtigkeit innerhalb der kubanischen Gesellschaft, dann auch im karibischen Raum schnell rebellische Züge annahm. Erst der flammende Protest gegen die Erhöhung der Bus-Fahrpreise, dann die politische Arbeit bei den »Ortodoxos«, der Partei des Kubanischen Volkes von Eduardo Chibás. Schließlich seine Klage beim Verfassungsgericht in Havanna gegen den Staatsstreich Batistas. Durch dessen Coup waren die Wahlen abgesagt worden, sodass Fidel Castro nicht für die Orthodoxe Partei kandidieren konnte.

Von der Moncada zum Einmarsch in Havanna

Nachdem seine Klage abgewiesen und der Zustand der Gesellschaft unter Batistas Diktatur immer unerträglicher geworden war, berief sich Fidel Castro auf das in der Verfassung verankerte Recht auf Widerstand. Es begannen die Vorbereitungen für den Sturm auf die Moncada-Kaserne in Santiago. Mit ihm sollte im Osten ein Volksaufstand entfacht werden, der sich, so das Kalkül der Rebellenschar, in der Folge auf die anderen Landesteile ausbreiten würde. Unter Leitung Fidel Castros griffen 115 Revolutionäre die 1.500-köpfige Moncada-Besatzung an. Es war ein beseelter Sturm mit geringer Aussicht auf Erfolg. Acht Mitstreiter Fidels und 13 Soldaten wurden getötet. Batista befahl blutige Rache, und nur durch den Einspruch des Erzbischofs von Santiago entgingen Fidel und andere Kämpfer den Lynchorgien der Militärs. Vor Gericht gestellt, quittierte Fidel Castro das gegen ihn verhängte Urteil – 15 Jahre Haft auf der Isla de Pinos – mit dem berühmt gewordenen Satz: »Die Geschichte wird mich freisprechen.« Bis in kommunistische Kreise hinein war die halsbrecherische Operation Moncada zunächst als vermeintliche Revolte kleinbürgerlicher Elemente umstritten. Aber die aufrührerische Flamme war mit der Niederlage nicht erloschen, sondern lebte in der »Bewegung des 26. Juli« (benannt nach dem Datum der Moncada-Erstürmung) fort und wuchs sich in den Folgejahren zu einer veritablen kubanischen Revolution aus. Sie gewann die Unterstützung des Volkes und einte Castros Bewegung endgültig mit den Kommunisten.

Der Sieg der Revolution war ein komplizierter und entbehrungsreicher Weg. Nach der Amnestie 1955 freigekommen, verließ Fidel Castro die Orthodoxe Partei und ging noch im Juli mit einer Gruppe von Kämpfern ins mexikanische Exil. Von Alberto Bayo, einem spanischstämmigen Offizier, der an der Seite der Interbrigadisten gegen Franco gekämpft hatte, erhielt er eine Guerilla-Ausbildung. Hier traf er auf Ernesto Che Guevara. Mit ihm und seinem Bruder Raúl, mit Camillo Cienfuegos, Juan Almeida und anderen Guerilleros bestieg er im mexikanischen Tuxpan den überladenen Seelenverkäufer »Granma« und landete am 2. Dezember 1956 an der Küste der Provinz Oriente. Als Comandante en jefe führte Fidel das noch kleine Rebellenheer in die Sierra Maestra. Es begann ein zweijähriger Guerillakrieg, in dessen Verlauf die Kaserne von La Plata eingenommen und immer mehr Landgewinne verzeichnet wurden. Im Juli 1957 unterschrieb Fidel Castro das »Manifest der Sierra Maestra«. Mit ihm wurde die Opposition im Lande aufgerufen, sich in einer revolutionären Front zu vereinen. Camillo Cienfuegos und Che brachen mit eigenen Kontingenten des Revolutionsheeres in westliche Richtung auf.

Ich habe manche bewegende Episode aus dem Alltag jener Märsche gehört. Diese ist eine der schönsten: Raúl Castro erzählte uns während eines Kuba-Aufenthaltes zur Vorbereitung der Weltfestspiele, wie er seine spätere Frau, Vilma Espín, in der Wildnis der Berge umwarb. »Wie schön sie war! Eine Blume unter uns rauen Kerlen! Man dachte an das Leben, wenn die Revolution gesiegt hat.« Vilma Espín wurde ein bisschen drastischer: »So viel Liebe in so viel Staub. Wenn er seine Uniform auszog, stand die wie eine Eins im Wind.« – Das Leben, wenn die Revolution gesiegt hat …

Am Neujahrstag 1959 war es so weit. Batista und seine Entourage flohen außer Landes. Die USA-Regierung sondierte die Lage, hielt sich aber noch zurück. Die CIA hatte das Batista-Regime und seine Totschläger bis zur letzten Sekunde gestützt. Inzwischen war Santiago de Cuba durch Fidels Revolutionsheer befreit, und der Comandante en jefe marschierte am 8. Januar in Havanna ein. Hunderttausende Hauptstädter hörten seine Rede. Ein neues Leben begann.

Das Vaterland und die Welt

Aber den Sieg verteidigen! Das Volk aus Überzeugung an die Revolution binden! Eine aufgeschreckte Nachbarschaft diplomatisch besänftigen! Castro reist in die USA, trifft Vizepräsident Nixon. Ein Vierteljahr später wird er Ministerpräsident. Volksnahe Regierungsprojekte wie das Gesetz über die Agrarreform bringen Washington zur Weißglut.

US-Präsident Eisenhower stimmt dem Plan der CIA zu, Castro binnen eines Jahres zu stürzen und sieht sich darin später durch die Enteignung der United Fruit Sugar Company, die Beschlagnahme US-amerikanischer Ölraffinerien und die Verstaatlichung der Yankee-Banken bestätigt. Im September 1960 werden acht Attentatspläne gegen Fidel Castro aufgedeckt. (Die Zahl der Mordversuche wird Jahrzehnte später von den kubanischen Sicherheitskräften mit 638 beziffert. Aber der Dreibund aus CIA, Mafia und exilkubanischen Reaktionären ist jedes Mal gescheitert.)

Fidel hat der Welt eine Menge zu erklären und redet fast viereinhalb Stunden vor der UNO. Kaum entwickelt sich in Kuba, dessen sozialistischer Weg sich abzeichnet, die Alphabetisierungskampagne erfolgreich, da landet eine CIA-gelenkte Söldnerbande in der Schweinebucht. Nach 72 Stunden ist sie zerrieben, und die düpierte US-Administration klammert sich nun vorrangig an ihre Wirtschaftsblockaden. In der Raketenkrise Ende Oktober 1962 einigt sich Chruschtschow mit Kennedy, sowjetische Raketen-Stationierungspläne auf Kuba gegen westliche Zugeständnisse aufzugeben. Wie man weiß: zum Missbehagen der kubanischen Genossen. Aber Fidel spricht nach einem halben Jahr wieder in Moskau vor. Im Oktober 1965 wird er Erster Sekretär des ZK der neugegründeten Kommunistischen Partei. Die Wirtschaftssanktionen schüren Mangel. Kuba ist seit 1972 RGW-Mitglied, aber die Hilfe der sozialistischen Gemeinschaft allein kann die Engpässe nicht kompensieren. Bei meinen Aufenthalten in Kuba zur Festivalvorbereitung spüre ich, dass Mangel nicht zwangsläufig revolutionäre Gesinnung frisst. Die Alltagsbeschwerden, auf die Washingtons Sanktionen stets abzielten und die das Land auch mit Auswanderungswellen konfrontierten, werden durchaus gegen unleugbare Errungenschaften der kubanischen Revolution gewogen. Die suchen in vielen Ländern des Kontinents ihresgleichen: Recht auf Arbeit und Wohnraum, ein sozial gerechtes Bildungs- und Gesundheitswesen, freier Zugang zu Kunst und Kultur. Auf den Niedergang der sozialistischen Staatengemeinschaft in Europa reagiert Kubas Führung mit einer »Sonderperiode«, deren neue Sparzwänge von den USA in der Folgezeit durch verschärfte Blockaden befeuert werden (Torricelli-Gesetz 1992, Helms-Burton-Gesetz 1996). Als der Straßenton in Havanna gereizter wird, begibt sich Fidel zu den Diskutanten und demonstriert eine Volksnähe, die ihm im bürokratischen Alltag gewisser Führungskreise verloren scheint. Bereits mit der Kampagne zur Rectificación (Korrektur) hatte er auf die Erneuerung dieser revolutionären Eigenschaft gedrungen.

Die kubanische Revolution, so sehr sie für nationale Belange stritt, hatte immer ein Ideal, das sie nie in die Enge nationalistischer Egoismen geraten ließ: ihre antiimperialistische Solidarität. Man denkt an die Hilfe für die angolanische MPLA, die gegen die von der CIA und von Südafrikas Apartheidregime alimentierte Konterrevolution siegreich war. Oder an die Unterstützung antiimperialistischer Volkserhebungen in Nicaragua, Chile, Brasilien, Bolivien, Venezuela wie auch anderer Bewegungen gegen volksfeindliche Regime vor allem im »Hinterhof« der USA. Als die Vereinigten Staaten im Oktober 1983 das kleine Grenada überfielen, konnte sich die FDJ-Brigade der Freundschaft in die sowjetische Botschaft retten. Junge kubanische Bauarbeiter aber starben im Kugelhagel der Invasoren. Trotzdem versiegte die solidarische Hilfe nie. Kubanische Ärzte, Lehrer, Aufbauhelfer waren und sind in bedürftigen Ländern der Welt aktiv. Neben der materiellen Unterstützung vor Ort war das stets auch eine ideelle Ermutigung des linken Weltlagers. Es stärkte die Überzeugung, dass es eine Alternative zu neokolonialistischer Ausbeutung und aggressiver Einmischung in die Selbstbestimmung der Völker gibt. Ein Staat, umkreist von rabiaten Geiern, bewahrt seine Würde und findet dabei die Kraft, anderen Völkern auf dem steinigen Weg zu wahrer Demokratie - Herrschaft des Volkes - zu helfen.

Das revolutionäre Erbe ist ein Denk-Mal

Als Fidel Castro die Amtsgeschäfte in die Hände seines Bruders Raúl legte, hatte er seit 1959 zehn US-Präsidenten erlebt. Zwei von ihnen, Ex-Präsident Jimmy Carter und Barack Obama, bereisten Kuba. Was man nun als amerikanische Lesart der Formel vom Wandel durch Annäherung hätte deuten können, zerriss der narzisstische Blonde im Weißen Haus unter dem Beifall seiner kubanischen Exil-Claqueure in Stücke. Faustschlag statt tätschelnder Würgegriff – eine widerwärtige Klarheit. Und Biden scheint ihm zu folgen. Gesundheitliche und Altersgründe hielten Fidel nicht davon ab, der Gesellschaft ex officio seine Ansichten zur Zeit und zu den Entwicklungen im Lande mitzuteilen. Ein halbes Jahrzehnt lang erschienen »Überlegungen des Genossen Fidel«. Sie fügten sich zu einem Ideenkonvolut, das für linke Geister auch heute interessante Lektüre ist. Dies wie sein ganzes Leben und seinen Kampf sah er als sein Erbe an. Das allein sollte – im Wortsinn – sein Denk-Mal sein. Eins aus Bronze und Marmor wollte er nirgendwo errichtet haben. Und Straßen sollten nicht seinen Namen tragen, denn der Wind der Geschichte würde ja durch sie wehen. Am 25. November 2016 starb Fidel Castro neunzigjährig in Havanna. Er wurde auf dem Friedhof Santa Ifigenia in Santiago de Cuba beigesetzt. Sein letzter Weg führte ihn dorthin zurück, wo die Revolution ihren Anfang nahm.

Linkssein mit Fidel! Seiner revolutionären Kompromisslosigkeit und Vitalität politisch verbunden zu sein, das war und blieb für viele Genossen weltweit eine Kraftquelle im eigenen Kampf. Auch für mich. Natürlich hat reaktionärer Landgewinn in Lateinamerika die Sprachrohre der antikubanischen Entente mit der giftigen These befüllt, Castros Versuche, den Funken der Revolution weiterzugeben, seien vergeblich gewesen und würden es allezeit bleiben. Erneuerte linke Hoffnungen wie jüngst in Bolivien, Ausdruck für die Langlebigkeit des bolivarischen Traums, reizen lebhaft zur Antithese. Der Funke darf und wird nicht erlöschen. Tun wir was dafür! Und behüten wir unsere Solidarität vor der naiven Einrede, als Demokraten müssten Sozialisten auch konterrevolutionäre Eruptionen am Malecón ertragen!

Hartmut König, »Warten wir die Zukunft ab: Autobiografie«. Neues Leben, 3. Auflage, 2020, ‎560 Seiten, ISBN:‎ 978-3355018661, Gebunden: 24,99 €.

 

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