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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Die Himmelsstürmer von Paris

Günter Herlt, Berlin

 

Dieser Titel zur Würdigung der Pariser Kommune (18. März bis 28. Mai 1871)  stammt aus berufener Feder. Er findet sich in einem Brief von Karl Marx an seinen Freund Ludwig Kugelmann. Darin heißt es: »Die Geschichte hat kein Beispiel ähnlicher Größe. Wenn sie unterliegen, so ist nichts daran schuld als ihre 'Gutmütigkeit' …« (Geschrieben am 12. April 1871)

Zwischenfrage von Nachgeborenen: Wer war dieser Kugelmann?

Er lebte 1830-1902, war Arzt in Hannover, hat in Düsseldorf bei der 1848er Revolution mitgekämpft, wurde verfolgt und musste in verschiedenen Ländern untertauchen. Er stand zwölf Jahre lang in einem lebhaften Briefwechsel mit Marx. So half er auch mit seinen weltläufigen Erfahrungen – wie Friedrich Engels – bei der Herausgabe des »Kapital«.

Es waren bewegte Wochen, als das Volk von Paris 1871 die reaktionäre Regierung des Großbürgertums verjagte. Die anwachsende Arbeiterklasse stellte, zusammen mit revoltierenden Kleinbürgern wie den Jakobinern, auch große Teile der Nationalgarde in Paris. Sie versuchten, das wankelmütige Bürgertum zu einer anderen Weltsicht und Politik zu bewegen. Das Gemeinwohl sollte nicht länger in die Gosse gedrückt werden. Das scheiterte aber an den Klasseninteressen und dem Untertanengeist – oben und unten. Doch mit dem Rat der Kommune war ein neuartiges Machtorgan geschaffen, das aus der Verbindung von Gesetzgebung und Ausübung seine Kraft schöpfte. So wurde z.B. Volksbewaffnung beschlossen. Doch kaum war das verkündet, rückten die Regierungstruppen an, um alle Geschütze zu rauben.    

Was gehörte zum Programm der Kommune?

Zu den ersten Maßnahmen gehörten: Die Verteidigung des umzingelten Paris gegen die Regierungstruppen und Regimenter der preußisch-deutschen  Okkupationsarmee.

Das stehende Heer wurde aufgelöst. Die revolutionären Massen jagten die reaktionäre Regierung nach Versailles zum Kaiserschloss.

Die Arbeiter besetzten verlassene Amtsgebäude und stellten ihr Programm in der Kathedrale Notre Dame vor. Dazu gehörte die Gleichberechtigung der Frauen, die Trennung von Staat und Kirche. Betriebe die von ihren Besitzern verlassen waren, wurden durch Arbeiter-Genossenschaften weitergeführt. Berufsschulen sollten entstehen. Die Geldstrafen in den Betrieben wurden abgeschafft, die Nachtarbeit für Jugendliche verboten und Arbeitsschutz gefördert. Es gab dringende Aufträge zur Verbesserung der sozialen Lebenslage des Volkes. Die Parlamentarier mussten Rechenschaft ablegen und konnten abgewählt werden, was die Demokratie stärken sollte.

Doch ehe diese Maßnahmen zum Tragen kamen, schlugen die Herrscher von gestern und ihre deutschen Verbündeten alle Aufstände mit Kanonen nieder.

Natürlich hatten die Kommunarden nicht immer mit Glaceehandschuhen gekämpft. Das erschreckte viele Monarchisten und Kleriker Europas. Aber die Truppen der Konterrevolution brachten es dann auf 30.000 Ermordete und 60.000 Eingesperrte und Zwangsarbeiter. 120.000 deutsche Söldner halfen dabei.

Marx und Engels, Bebel und W. Liebknecht halfen mit Rat und Tat, die Pariser Kommune als Fackel einer neuen Ära nicht verlöschen zu lassen. Obschon die Arbeiter damals in der Mehrzahl noch Analphabeten waren. Sie konnten nicht bei den Vordenkern nachlesen, was zu beachten ist. Oder was die Preußen als Pflicht gegenüber ihren französischen »Erzfeinden« ansahen. Das ist auch sehr widersprüchlich und hier nur gerafft anzudeuten. 

Hatte den deutschen Herrschern das Fell gejuckt?

Durchaus, doch zugleich war ihnen ihre gepanzerte Weste zu eng geworden.
Als andere Nationen aufblühten und ihre ökonomische Macht in politischen Einfluss ummünzten, blieb Deutschland noch ein Flickenteppich von 34 Monarchien. Hier gab es Königreiche wie Bayern und Württemberg, einige Großherzöge und zehn Fürstentümer. Zumeist hatten sie eigene Gesetze, Münzen und Zoll-Tarife. Die Fabrikanten erstickten daran und die nationalistischen Träume von Studenten, Kleinbürgern und Adligen flammten auf. Am Ende war Preußens Sieg über Frankreich der Kitt für die teilweise Vereinigung Deutschlands »durch Blut und Eisen von oben«. Manche feiern heute noch die Schlacht um Sedan und den Sieg 1871 in Paris. Schon wegen der reichen Beute für die Gründerjahre. Im Folgejahr entstanden 780 Aktiengesellschaften. 110 Banken erhielten über eine halbe Milliarde Mark aus dem französischen Kontributionsfonds. Die Spekulation blühte!

Ich möchte nicht zu viele Namen einbringen. Der Markanteste unter den damaligen Staatsmännern in Preußen war Otto Fürst von Bismarck. Der füllt als Weichensteller ganze Geschichtsbücher. Er war ein überaus listiger Politiker, der durch mehrere Kriege und Beistandspakte für zwei deutsche Kaiser zur Weltgeltung kam. Nach dem Sieg über Frankreich wurde er der erste Kanzler des Deutschen Reiches von 1871. Doch wenig später zeigte sich sein Zweites Gesicht, als er versuchte, mit dem Sozialistengesetz die rebellierende Arbeiterklasse in Deutschland zu bändigen. Mit der Einführung einer Sozialversicherung fand er mehr Anerkennung. Er festigte den preußischen Obrigkeitsstaat, bis die Hohenzollern ihm einen Fußtritt gaben.

Ein Lied geht um die Welt

Meine Verbeugung gehört umso mehr der Pariser Kommune. Das war, wie Marx 1871 schrieb, im Wesentlichen eine Regierung der Arbeiterklasse. Sie strebte mit einem nationalen Programm und im internationalen Geist für das Gemeinwohl. Das entsprach ihrem gewachsenen Selbstbewusstsein für eine neue Ära der Geschichte.

Alle großen Umbrüche der Geschichte wurden von Liedern begleitet. So war die »Marseillaise« zur Hymne der Großen französischen Revolution von 1789 für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit geworden. 80 Jahre später kam die »Internationale« mit dem Ruf: »Völker hört die Signale!« hinzu. Wie oft bei großen Hits gab es hinterher manchen Urheberstreit. Es gab nämlich unterschiedliche Texte von proletarischen Dichtern, die nur in kleinen Heften und Flugblättern bekannt wurden. Manche Texte wurden an bekannte Melodien angepasst. Doch der Durchbruch gelang erst, wenn ein begnadeter Komponist aus den Volks-Chören den passenden Strophen die Flügel verlieh, weil beide Schöpfer auf den gleichen Barrikaden standen.

Bei dem wackeren Kommunarden Eugén Edné Pottier dauerte es bis 1888, ehe seine Internationale auf dem Gewerkschaftsfest der Zeitungsverkäufer gesungen wurde. Wenn die Polizei die Texte abhörte, setzte die Verfolgung ein. Die Autoren ließen oft ihre Namen auf dem Notenblatt weg, wie z.B. der Texter Degeyter, der seinen Bruder vorschickte. Damit ging später vor Gericht ein Streit los, der bis 1926 währte. Doch dann wurde der Texter eines Tages nach Moskau eingeladen, wo die »Internationale« 1918 zur Staatshymne erklärt worden war, was bis 1943 galt. Dem greisen Komponisten Pottier wurde von der UdSSR eine Ehrenpension von monatlich 100 Dollar zugesprochen. Inzwischen sind alle Misstöne zur Urheberschaft bereinigt. Die Hymne der Kommunarden ist in fast alle Sprachen der Welt übersetzt. Sie wurde unsterblich – wie die Tage der Pariser Kommune. 

 

 

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