Der Fall Árbenz und die Regime Change Factory CIA
Dr. Hartmut König, Panketal
Zu Mario Vargas Llosas Roman »Harte Jahre«
Jüngst erschien bei Suhrkamp die deutsche Fassung des neuen Romans von Mario Vargas Llosa »Harte Jahre«. Darin verdichtet der peruanische Literatur-Nobelpreisträger die Vorgänge um den Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten Guatemalas Jacobo Árbenz im Jahre 1954. Er beschreibt dessen Ringen um eine Landreform zugunsten der indigenen Bauern, die zugleich die Beschneidung der usurpatorischen Privilegien der US-amerikanischen United Fruit Company (UFCO) bedeuten musste. Er verfolgt die Spur jenes Fakes, nach dem Árbenz, von der Partei der Arbeit indoktriniert, Guatemala unter den Einfluss Moskaus bringen wollte. Einer Lüge, die von dem gewieften Propaganda-Netzwerker Edward Bernays erdacht und vom UFCO-Chef, Sam Zemurray, an der mitfühlendsten Adresse platziert wurde: beim CIA-Direktor Allan Dulles. Der war – wie sein Bruder, der Außenminister – als Rechtsanwalt und Lobbyist für die UFCO tätig und folglich zwiefach an einem Regime-Change in Guatemala-Stadt interessiert. Dem 1953 vereidigten US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower passte Árbenz‘ Sturz in seine antikommunistische Roll-Back-Doktrin, und er beauftragte die CIA mit der Operation SUCCESS, die das zentralamerikanische Land aus seiner bürgerlichen Demokratie in die Diktatur riss. Zur Freude und unter Mithilfe der Despotenhöfe in Honduras, Nicaragua und der Dominikanischen Republik, wo die Alarmglocken nicht weniger schrill ertönt waren als im Weißen Haus.
Positionen des Autors
Mich hatte Vargas Llosas Sicht auf die Intervention der USA in Guatemala interessiert, denn dieser Coup galt – und gilt noch heute – im lateinamerikanischen »Hinterhof« des angemaßten Weltgendarmen als Präzedenzfall. Zwar war sie nicht das erste Release der Regime-Change-Fabrik CIA, bedenkt man den gemeinsam mit dem britischen Geheimdienst herbeigeführten Sturz des gleichfalls frei gewählten iranischen Präsidenten Mossadegh. Er hatte die Verstaatlichung der Anglo-Iranian Oil Company betrieben und war ein Jahr vor Árbenz nach analogem Muster entmachtet worden. Für Mittel- und Südamerika aber war der Fall Árbenz das CIA-Debüt und diente den USA über ein halbes Jahrhundert lang als Blaupause für die Beseitigung undankbarer Regierungen, die sich nicht am Nasenring durch ihre Nationen führen lassen wollten.
Ich gestehe, dass ich den Roman nicht vorurteilsfrei zu lesen begann. Hatte der Autor nicht in seinen autobiografischen Erinnerungen »Der Fisch im Wasser« seine Abkehr von den linken Positionen so vieler lateinamerikanischer Intellektueller in einen systemkonvergenten Liberalismus beschrieben, und war nicht Vargas Llosas langjährige Freundschaft mit dem kolumbianischen Schriftstellerkollegen Gabriel García Márquez zerbrochen, nachdem er den integren Autor des Welterfolges »Hundert Jahre Einsamkeit« in seiner Rede auf dem PEN-Kongress 1986 als Höfling Castros abkanzelte? Sein Spott auf linke Geister in der lateinamerikanischen Intelligenz, deren Interesse an der sozialistischen Staatenwelt er als kritiklose Anbiederei abtat, oder die neoliberale Konsistenz seiner Wahlkampfagenda, mit der er 1990 erfolglos gegen Alberto Fujimori für das Amt des Staatspräsidenten kandidierte – all das ließ mich fragen, wie groß Vargas Llosas Bereitschaft sein würde, die skrupellose Systematik des US-amerikanischen Zerstörungsapparates gegen unbotmäßige Demokratien in aller Tiefe zu enthüllen. Ich freute mich mit jeder Minute, die ich weiterlas, über den Realismus seiner Beobachtungen. Der Blick des schonungslos recherchierenden Journalisten hatte dem Dichter bei der literarischen Ausformung der zeitgeschichtlichen Spielräume des Romans und der Charakterisierung seiner Protagonisten die Hand geführt.
In Guatemala 1954 ...
»Haben Sie vergessen, dass Guatemala ein souveränes Land ist und Sie nur ein Botschafter sind, kein Vizekönig und kein Statthalter?« fragt der guatemaltekische Präsident in einer Schlüsselszene des Romans den Chefdiplomaten der US-Vertretung. Dessen Antwort, schallendes Gelächter, antizipiert, was längst besiegelt ist: Árbenz‘ Sturz. Dabei hatte der 1951 in das höchste Staatsamt gelangte Sohn eines Schweizer Einwanderers keineswegs die Absicht, sein Land in die sowjetische Einflusssphäre zu führen. Er wollte der kapitalistischen Entwicklung Guatemalas nach all den entsetzlichen Erfahrungen unter der Militärdiktatur Jorge Ubicos, eines Bewunderers Francos und Mussolinis, der alle Parteien verbot und keine Wahlen zuließ, durch demokratisch legitimierte Reformen mehr Akzeptanz verschaffen. Ubico hatte der United Fruit Company bereits Mitte der 30er Jahre weite Anbauflächen kostenlos und steuerfrei überlassen. Für infrastrukturelle Baumaßnahmen, vornehmlich zum Eigennutz der Company, wurde landwirtschaftlicher Boden der eingeborenen Bauern enteignet. Eine für 99 Jahre erteilte Konzession zum Bananenanbau in der Küstenregion befreite den Konzern wiederum von Steuern und Zollabgaben, während die Regierung eine Senkung der Lohnkosten dekretierte.
Jacobo Árbenz hatte nach dem frühen Freitod seines Vaters nur über eine militärische Laufbahn Anschluss an die gehobene Gesellschaftsschicht finden können. Die Heirat mit Maria Vilanova, einer Tochter aus reichem salvadorianischem Hause, tat ein Übriges, wenngleich die Auflehnung seiner Frau gegen den Konservatismus ihrer Familie und ihre entschiedene Ablehnung der Ubico-Diktatur Árbenz‘ Denken maßgeblich beeinflusste. Und dann geschieht alles mit lateinamerikanischer Rasanz. Der verhasste Ubico wird von einer Junta unter General Federico Ponce gestürzt. Wieviel dessen demokratischer Mantel wert ist, zeigt sich, als Wahlen ins Haus stehen, die Opposition den Politiker Juan José Arévalo als Gegenkandidaten nominiert und Ponce ihn nach seiner Ankunft aus dem Exil verhaften lässt. Nun revoltieren Árbenz und Major Arana gegen Ponce und bilden nach dessen Flucht, der Ubico flugs folgt, mit dem Unternehmer Toriello eine Junta zur Ordnung der Verhältnisse. Das Land erhält eine liberale Verfassung, aus Präsidentschaftswahlen geht Arévalo als Sieger hervor. Árbenz wird sein Verteidigungsminister und 1951 mit großer Stimmenmehrheit ins Präsidentenamt gewählt. Das ist die Stunde, in der Árbenz wieder über sein wichtigstes Projekt, eine Agrarreform, nachdenkt. Er schickt sich an, Ubicos Geschenke an die United Fruit Company teilweise zu widerrufen und gegen Entschädigung enteignetes Land an die Bauernschaft zu übergeben – der Casus belli, der die nordamerikanische Regime-Change-Factory handeln lässt. Dass 1952 die Guatemaltekische Partei der Arbeit wieder legalisiert wird und Árbenz, der um den Einfluss der Partei in den Bauernverbänden weiß, sich in Sachfragen mit ihrer Führung berät, muss als Argument für seine kommunistische Anfälligkeit herhalten.
Dem Leser werden zeitliche und örtliche Sprünge zwischen den Episoden zugemutet, aus denen sich der Roman konstituiert: die Vorgeschichte und Genese der Intrige, die gesellschaftliche Stellung und charakterliche Positionierung der geschichtsbekannten wie der fiktiven Akteure, die direkte Vorbereitung des Putsches, die Ränkespiele in der heimischen Armeeführung, die skrupellose Beihilfe ausländischer Despoten vom Schlage Somozas oder Trujillos, die arrogant instrumentierte Allmacht der CIA, vor Ort die des amerikanischen Botschafters Peurifoy in der Pose des Statthalters, schließlich Árbenz‘ verzweifeltes Asyl in der mexikanischen Botschaft sowie die Inthronisierung und Ermordung des Putschistenführers Carlos Castillo Armas. Man muss Konzentration aufwenden, um das Puzzle zu ordnen. Dann enthüllt sich am guatemaltekischen Beispiel mit illusionsloser Klarheit, wie der politische und wirtschaftliche Egoismus der Vereinigten Staaten dazu überging, Länder und Kontinente ohne Respekt vor dem Willen der Völker zu destabilisieren.
… und später anderswo
Der Fall Árbenz ist eine Momentaufnahme aus der frühen Phase des Kalten Krieges.
Aber die Liste der Follow ups füllte sich reichlich. Nach dem Sieg der kubanischen Revolution stimmt Präsident Eisenhower dem Plan zu, Fidel Castro binnen eines Jahres zu stürzen. Als die United Fruit Sugar Company enteignet wird, US-amerikanische Ölraffinerien beschlagnahmt und US-Banken verstaatlicht werden, decken die kubanischen Sicherheitskräfte acht Mordversuche gegen Fidel Castro auf. Nach Jahrzehnten beläuft sich deren Zahl auf 638. Im Jahr 1961 misslingt die Landung CIA-gelenkter Konterrevolutionäre in der Schweinebucht. 1964 wird Brasiliens frei gewählter Präsident, Joao Goulart, maßgeblich wegen seiner Bodenreform zum Kommunisten erklärt und weggeputscht. Im selben Jahr erreicht die PPP des Ministerpräsidenten Cheddi Jagan in Guyana aufgrund ihrer Sozialprojekte einen Wahlerfolg von 46 Prozent. Mit einer Kampagne, die Präsident Kennedy zwei Millionen Dollar wert ist, wird er aus dem Amt vertrieben. Als in der Dominikanischen Republik Diktator Rafael Trujillo 1961 nach einem Attentat stirbt, erzielt der fortschrittliche Politiker Juan Bosch im Folgejahr bei freien Wahlen 60 Prozent der Stimmen. Die CIA unterstützt den Putsch, der ihn nach siebenmonatiger Amtszeit stürzt. Als die Volksmassen seine Wiedereinsetzung beinahe erzwungen haben, durchkreuzt ein US-Einmarsch ihren Sieg. In Chile geht 1970 der Sozialist Salvador Allende erfolgreich aus Präsidentenwahlen hervor. Soziale Reformen und Nationalisierungspläne seiner Regierung rufen die Regime-Change-Factory der USA auf den Plan, die den Schlächter Pinochet an die Macht hebt. Die argentinische Militärdiktatur unter General Videla hört 1976 von US-Außenminister Kissinger, er hoffe, das Regime würde sein »Terrorismusproblem so schnell wie möglich unter Kontrolle bringen«, und sieht sich in den folgenden sieben Jahren legitimiert, 30.000 Oppositionelle spurlos »verschwinden« zu lassen. Im Oktober 1983 besetzen die USA die kleine Karibikinsel Grenada, nachdem sich die progressive New-Juwel-Bewegung unter Maurice Bishop dem sozialistischen Weltlager angenähert hatte. 1984 lässt US-Präsident Reagan den einzigen Pazifikhafen Nicaraguas verminen, weil über ihn Hilfsgüter aus der sozialistischen Welt in das von der Somoza-Diktatur befreite Land kommen. Aus geheimen Waffenverkäufen finanziert er die Contra-Banden, deren Terror Daniel Ortega stürzen soll. Nachdem 2002 in Venezuela ein Putsch gegen die rechtmäßige Regierung Chávez scheiterte und auch in der Amtszeit seines Nachfolgers Maduro der erneute Versuch eines Coups wegen der Regierungstreue des Militärs aussichtslos ist, bläst man den glücklosen Juan Guaidó zum Interimspräsidenten auf und reserviert ihm den Zugriff auf im Ausland deponierte Staatsgelder und Goldreserven. Die Ränke, mit denen Boliviens indigener Präsident Evo Morales von der einheimischen Yankee-Front zum Rücktritt getrieben wurde, sind endgültig entlarvt, als seine Movimiento al Socialismo bei den Wahlen 2020 triumphiert und Morales wieder heimischen Boden betritt. Das alles gehört zur lateinamerikanischen Akte der US-Konspirationen, und sie ist keinesfalls erschöpft. Die angezettelten Kriege und Interventionen in der restlichen Welt addieren sich noch.
Tim Weiner, Autor der wohl detailreichsten Analyse der Krake CIA, beschreibt, wie US-Botschafter Peurifoy nach einem Besuch bei Präsident Árbenz die Haltlosigkeit der Vorwürfe einräumt, mit denen der Putsch legitimiert werden soll: »Ich bin fest davon überzeugt, dass der Präsident, auch wenn er kein Kommunist ist, schon ausreichen wird, bis uns einer über den Weg läuft.« Später mussten der erlogene Vorfall in der Bucht von Tonkin sowie die erdichteten Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins den Vietnamkrieg bzw. den Einfall im Irak begründen. Die Schauplätze wanderten, die Muster blieben – und die Welt ist unsicherer geworden. Der erhofften Renaissance von Détente ziehen die USA heute Giftpfeile gegen China und Russland vor. Harte Jahre ante portas? Die Konfrontation wäre zu mindern, wenn westliche Arroganz begreifen könnte, dass man weder den größten Ländern der Erde, noch der kleinsten souveränen Nation nach Gutsherrenmanier begegnen darf.
(Zuerst veröffentlicht am 24. März 2021 in freidenker.org)
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